Das sog. „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ sieht eine tiefgreifende Reform des Kartellrechts vor mit dem Ziel, die „Eingriffsinstrumente des Kartellrechts“ zu schärfen. Im Zentrum der Novelle steht eine erhebliche Ausweitung der Befugnisse des Bundeskartellamts im Anschluss an eine Sektoruntersuchung.
Neue Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts
Das Bundeskartellamt kann bereits seit der 7. GWB-Novelle im Jahre 2005 sog. Sektoruntersuchungen durchführen, wenn die Umstände, wie insbesondere „starre Preise“, vermuten lassen, dass der Wettbewerb in einem Wirtschaftszweig möglicherweise beeinträchtigt ist.
Sektoruntersuchungen richten sich nicht gezielt gegen einzelne Unternehmen wegen eines konkreten Verdachts einer Zuwiderhandlung, sondern untersuchen übergreifend die Strukturen und Wettbewerbsverhältnisse in einzelnen Wirtschaftszweigen. Maßnahmen des Bundeskartellamts gegen Unternehmen zur Beseitigung einer in diesem Zusammenhang festgestellten Störung des Wettbewerbs setzten bislang aber einen Kartellrechtsverstoß voraus.
Durch die verabschiedete Gesetzesänderung werden dem Bundeskartellamt nun im Anschluss an eine solche Sektoruntersuchung erhebliche Eingriffsmöglichkeiten eingeräumt, ohne dass eine Zuwiderhandlung vorliegt. Im Falle der Feststellung einer „erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbes“ kann das Amt künftig „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art“ ergreifen, die zur „Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind“.
Als Maßnahmen sind u. a. vorgesehen, dass Unternehmen, „die durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen“,
- Zugang zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen gewähren müssen,
- Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen, Vertragsgestaltungen oder der Offenlegung von Informationen gemacht werden können, oder
- zur organisatorischen Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen verpflichtet werden können.
In Extremfällen kann das Bundeskartellamt als ultima ratio sogar die Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen anordnen. Dieses erweiterte Instrumentarium stellt eine erhebliche systematische Neuerung dar, da Maßnahmen gegen Unternehmen unabhängig davon getroffen werden können, ob ihnen ein Kartellrechtsverstoß vorgeworfen werden kann.
Erweiterte Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen
Zudem kann das Bundeskartellamt Unternehmen im Anschluss an eine Sektoruntersuchung – unabhängig vom Erreichen der Aufgreifkriterien des § 35 GWB – verpflichten, bestimmte Zusammenschlüsse präventiv zur Fusionskontrolle anzumelden.
Ziel ist es dabei, Konzentrationstendenzen auf kleineren regionalen Märkten besser kontrollieren zu können. Eine entsprechende Regelung sieht das Gesetz mit § 39a GWB seit der letzten GWB-Novelle im Jahr 2021 bereits vor; diese wurde nun aber deutlich ausgeweitet. Durch die 11. GWB-Novelle werden die Schwellen, ab der diese „Sonder-Fusionskontrolle“ eingreift, deutlich herabgesetzt. Es ist ausreichend, dass
- der Erwerber Umsatzerlöse von mehr als 50 Mio. Euro und
- das Zielunternehmen Umsatzerlöse von mehr als 1 Mio. Euro
im letzten Geschäftsjahr in Deutschland erzielte. Damit können Unternehmen in bestimmten wettbewerbskritischen Branchen verpflichtet werden, (nahezu) jede Transaktion anzumelden, mit in der Folge entsprechenden zeitlichen Verzögerungen innerhalb der Transaktionsplanung und Untersagungsbefugnissen des Bundeskartellamtes.
Erleichterte Vorteilsabschöpfung
Ein weiterer Aspekt der Novelle ist die effektivere Ausgestaltung der Vorteilsabschöpfung. Durch die Vorteilsabschöpfung können Unternehmen die Vorteile des wettbewerbswidrigen Verhaltens entzogen werden. Das GWB sieht dieses Instrument zwar in § 34 GWB bereits seit der 7. GWB-Novelle vor, allerdings kam es bislang nie zur Anwendung. Nunmehr wird widerleglich vermutet, dass der wirtschaftliche Vorteil mindestens ein Prozent der tatbefangenen Umsätze beträgt, die im Inland erzielt wurden. Dadurch können den Unternehmen kartellrechtswidrig erlangte Gewinne einfacher wieder entzogen und Kartellverstöße (noch) effektiver sanktioniert werden.
Durchsetzung des Digital Markets Act
Schließlich wurde das Bundeskartellamt durch die Novelle in die Lage versetzt, die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) zu unterstützen. Durch den DMA werden großen digitalen Plattformen, sog. Gatekeepern, bereits seit dem 2.5.2023 besondere Verpflichtungen auferlegt. Zwar ist die EU-Kommission alleinige Durchsetzungsbehörde des DMA, vorgesehen ist laut DMA jdoch die Einbindung nationaler Wettbewerbsbehörden. Sie sind berechtigt, auf eigene Initiative mögliche Verstöße gegen den DMA auf ihrem Hoheitsgebiet zu untersuchen. Die hierfür erforderlichen Kompetenzen werden im Rahmen der 11. GWB-Novelle nunmehr dem Bundeskartellamt verliehen, § 32g GWB. Sie entsprechen den in Kartellverfahren bestehenden Kompetenzen.
Darüber hinaus sieht der Entwurf Erleichterungen für die private Rechtsdurchsetzung des DMA vor. Insbesondere sind nun die Gerichte in diesen Fällen auch an die (bestandskräftige) Feststellung der Gatekeeper-Eigenschaft durch die Europäische Kommission nach Art. 3 DMA gebunden.
Hinweis: Für mittelständische Unternehmen haben die neuen Regelungen der 11. GWB-Novelle insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten Relevanz:
- Die erweiterten Anmeldepflichten, die das Bundeskartellamt in wettbewerbskritischen Branchen infolge einer Sektoruntersuchung nun anordnen kann, betreffen bereits mittelständische Unternehmen mit über 50 Mio. Euro Umsatz in Deutschland bei nahezu jeder Akquisition bzw. jeder relevanten Beteiligung an einem anderen Unternehmen – auch im Falle von sehr kleinen Targets. Dies ist bei der Planung von Akquisitionen künftig zu berücksichtigen.
- Die Verschärfung des Sanktionsinstruments der Vorteilsabschöpfung erhöht das bereits erhebliche Sanktionsrisiko bei Kartellverstößen und macht noch einmal deutlich, dass auch mittelständische Unternehmen angemessene Maßnahmen zur Gewährleistung kartellrechtlicher Compliance treffen sollten.
- Neue Chancen bieten sich mittelständischen Unternehmen möglicherweise durch die vorgesehenen Erleichterungen bei der zivilrechtlichen Durchsetzung der Regelungen des DMA. Hierdurch können Unternehmen, die auf die Leistungen „zentraler Plattformdienste“ angewiesen sind, einfacher und effektiver gegen unzulässige Beeinträchtigungen, wie z. B. Self Preferencing, bestimmte Koppelungen und Nutzungen von Daten, vorgehen.