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Außergewöhnliche Belastungen bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden

BFH 18.6.2015, VI R 68/14

Maßgeb­li­cher Zeit­punkt für die wis­sen­schaft­li­che An­er­ken­nung ei­ner Be­hand­lungs­me­thode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeit­punkt der Be­hand­lung. Um fest­zu­stel­len, ob eine wis­sen­schaft­lich an­er­kannte Be­hand­lungs­me­thode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV vor­liegt, kann sich das FG auf all­ge­mein zugäng­li­che Fach­gut­ach­ten oder sol­che Gut­ach­ten stützen, die in Ver­fah­ren vor an­de­ren Ge­rich­ten zur Be­ur­tei­lung die­ser Frage her­an­ge­zo­gen wur­den; es muss dann die Be­tei­lig­ten auf diese Ab­sicht hin­wei­sen und ih­nen die ent­spre­chen­den Un­ter­la­gen zugäng­lich ma­chen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind ver­hei­ra­tet und wur­den im Streit­jahr 2010 zu­sam­men zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagt. Im Rah­men der Ein­kom­men­steu­er­erklärung mach­ten sie Auf­wen­dun­gen für die ope­ra­tive Be­sei­ti­gung von Lipöde­men bei der Kläge­rin im Streit­jahr i.H.v. 5.500 € als außer­gewöhn­li­che Be­las­tung gel­tend. Die Kran­ken­kasse hatte der Kläge­rin mit­ge­teilt, dass sie sich nicht an den Kos­ten der Li­po­suk­tion be­tei­li­gen könne, weil die The­ra­pie keine Leis­tung der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen sei. Ein amtsärzt­li­ches Zeug­nis oder eine Be­schei­ni­gung des Me­di­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­kasse wurde we­der vor den Ope­ra­tio­nen noch da­nach ein­ge­holt.

Die Kläge­rin legte Be­richte des Me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­trums, der Ra­dio­lo­gie, At­teste ih­rer Ärzte so­wie ein fachärzt­li­ches Gut­ach­ten vor. Da­nach sei die Erst­vor­stel­lung im Ok­to­ber 2009 er­folgt und als Dia­gnose "schmerz­haf­tes Lipödem der Beine Stad. II" bestätigt wor­den. Als ope­ra­tive Be­hand­lungsmaßnahme sei die Li­po­suk­tion an­ge­zeigt. Mit den neuen Möglich­kei­ten tech­ni­sier­ter, lym­ph­bahn­scho­nen­der Fett­absau­gun­gen be­stehe eine de­fi­ni­tive Hei­lungs­op­tion. Die über­wie­gende An­zahl der Pa­ti­en­tin­nen werde durch die Be­hand­lung von sämt­li­chen Sym­pto­men langjährig be­freit. Dem­ge­genüber verfügten die kon­ser­va­ti­ven Be­hand­lungs­me­tho­den nicht über diese Möglich­kei­ten. Durch eine ope­ra­tive Be­hand­lung müss­ten sich Pa­ti­en­tin­nen nicht mehr auf le­dig­lich sym­pto­ma­ti­sch lin­dernde le­bens­lang durch­zuführende Be­hand­lun­gen ver­wei­sen las­sen.

Die Kläge­rin machte die Auf­wen­dun­gen für die ope­ra­tive Be­sei­ti­gung der Lipödeme als außer­gewöhn­li­che Be­las­tun­gen nach § 33 EStG gel­tend. Das Fi­nanz­amt berück­sich­tigte die Auf­wen­dun­gen dem­ge­genüber im Ein­kom­men­steu­er­be­scheid 2010 nicht als außer­gewöhn­li­che Be­las­tun­gen.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die Re­vi­sion der Kläger hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Das FG ist rechts­feh­ler­frei zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, bei der Li­po­suk­tion han­dele es sich um eine wis­sen­schaft­lich nicht an­er­kannte Me­thode zur Be­hand­lung ei­nes Lipödems. Dem­nach hat es das Vor­lie­gen außer­gewöhn­li­cher Be­las­tun­gen zu Recht ver­neint, weil die Kläge­rin kein vor der Be­hand­lung er­stell­tes amtsärzt­li­ches Gut­ach­ten vor­ge­legt hat, aus dem sich die Zwangsläufig­keit der Maßnahme er­gibt.

Nach § 33 EStG wird die Ein­kom­men­steuer auf An­trag ermäßigt, wenn einem Steu­er­pflich­ti­gen zwangsläufig größere Auf­wen­dun­gen als der über­wie­gen­den Mehr­zahl der Steu­er­pflich­ti­gen glei­cher Ein­kom­mens­verhält­nisse und glei­chen Fa­mi­li­en­stands (außer­gewöhn­li­che Be­las­tung) er­wach­sen. In ständi­ger Recht­spre­chung geht der BFH da­von aus, dass Krank­heits­kos­ten dem Steu­er­pflich­ti­gen aus tatsäch­li­chen Gründen zwangsläufig er­wach­sen. Al­ler­dings wer­den nur sol­che Auf­wen­dun­gen als Krank­heits­kos­ten berück­sich­tigt, die zum Zweck der Hei­lung ei­ner Krank­heit (z.B. Me­di­ka­mente, Ope­ra­tion) oder mit dem Ziel getätigt wer­den, die Krank­heit erträgli­cher zu ma­chen, etwa Auf­wen­dun­gen für einen Roll­stuhl.

Auf­wen­dun­gen für die ei­gent­li­che Heil­be­hand­lung wer­den ty­pi­sie­rend als außer­gewöhn­li­che Be­las­tung berück­sich­tigt, ohne dass es im Ein­zel­fall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich ge­bo­te­nen Prüfung der Zwangsläufig­keit dem Grunde und der Höhe nach Be­darf. Die Zwangsläufig­keit krank­heits­be­ding­ter Auf­wen­dun­gen für Arz­nei-, Heil- und Hilfs­mit­tel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGV V) hat der Steu­er­pflich­tige durch eine Ver­ord­nung ei­nes Arz­tes oder Heil­prak­ti­kers nach­zu­wei­sen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). Ein sol­cher qua­li­fi­zier­ter Nach­weis ist auch im Streit­jahr bei krank­heits­be­ding­ten Auf­wen­dun­gen für wis­sen­schaft­lich nicht an­er­kannte Be­hand­lungs­me­tho­den - z.B. Fri­sch- und Tro­cken­zel­len­be­hand­lun­gen oder Sau­er­stoff- und Ei­gen­blutthe­ra­pie - er­for­der­lich.

Wis­sen­schaft­lich an­er­kannt ist eine Be­hand­lungs­me­thode, wenn Qua­lität und Wirk­sam­keit dem all­ge­mein an­er­kann­ten Stand der me­di­zi­ni­schen Er­kennt­nisse ent­spre­chen. Dies wird an­ge­nom­men, wenn "die große Mehr­heit der ein­schlägi­gen Fach­leute" die Be­hand­lungs­me­thode befürwor­tet und über die Zweckmäßig­keit der The­ra­pie Kon­sens be­steht. Der Er­folg muss sich aus wis­sen­schaft­lich ein­wand­frei durch­geführ­ten Stu­dien über die Zahl der be­han­del­ten Fälle und die Wirk­sam­keit der Me­thode ab­le­sen las­sen. Maßgeb­li­cher Zeit­punkt für die wis­sen­schaft­li­che An­er­ken­nung i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. f EStDV ist der Zeit­punkt der Vor­nahme der Be­hand­lung.

Um zu be­ur­tei­len, ob eine wis­sen­schaft­lich an­er­kannte Be­hand­lungs­me­thode vor­liegt, kann sich das FG auf all­ge­mein zugäng­li­che Fach­gut­ach­ten oder sol­che Gut­ach­ten stützen, die in Ver­fah­ren vor an­de­ren Ge­rich­ten zur Be­ur­tei­lung die­ser Frage her­an­ge­zo­gen wur­den. Will das FG von die­ser Möglich­keit Ge­brauch ma­chen, muss es die Be­tei­lig­ten auf diese Ab­sicht hin­wei­sen und ih­nen die ent­spre­chen­den Un­ter­la­gen zugäng­lich ma­chen. Vor­lie­gend ist das FG nach all­dem ohne Rechts­feh­ler zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, die von der Kläge­rin durch­geführte Li­po­suk­tion sei keine wis­sen­schaft­lich an­er­kannte Be­hand­lungs­me­thode. Zwar werde durch eine Li­po­suk­tion das Fett­ge­webe re­du­ziert. Es sei aber wis­sen­schaft­lich nicht hin­rei­chend be­wie­sen, dass da­mit auch eine nach­hal­tige Re­duk­tion der Lipödem­be­schwer­den ein­her­gehe.

Link­hin­weis:

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