Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung. Die Gesamtmiete beträgt mtl. 530 €. Auf Antrag des Beklagten wurde am 17.6.2010 das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Die Treuhänderin erklärte am 1.7.2010 die "Freigabe" des Mietverhältnisses nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO.
Das AG gab der Räumungsklage statt; das LG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des AG zurück.
Die Gründe:
Die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO entfällt mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung (auch Freigabeerklärung genannt) nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO; eine außerordentliche Kündigung kann auch auf Mietrückstände gestützt werden, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind.
Die Enthaftungserklärung bewirkt, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen ist, sondern in die Verfügungsbefugnis der Vertragsparteien zurückfällt, so dass eine Kündigung grundsätzlich möglich ist. Sinn und Zweck der in § 112 Nr. 1 InsO geregelten Kündigungssperre stehen dem nicht entgegen, denn die Norm dient dem Schutz der Insolvenzmasse und einer möglichen Fortführung des Schuldnerunternehmens und gerade nicht dem persönlichen Schutz des bei Insolvenzantragsstellung im Zahlungsverzug befindlichen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der Wohnung.
Auch § 109 Abs. 1 S. 2 InsO soll lediglich verhindern, dass der Mieter ein Verbraucherinsolvenzverfahren nur um den Preis des Verlusts der Wohnung durch die Kündigung seitens des Treuhänders einleiten kann. Der soziale Mieterschutz wird auch im Insolvenzfall dadurch gewährleistet, dass der Mieter die Kündigungsfolgen durch Zahlung der Mietrückstände gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden kann; auch ist eine Befriedigung der Mietschulden von dritter Seite, insbesondere öffentlicher Stellen trotz des laufenden Insolvenzverfahrens möglich. Das Gleiche gilt auch während des Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 286 ff. InsO).
Soweit das LG dem Beklagten - neben der Minderung der Bruttomiete i.H.v. 20 Prozent - mtl. ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des vierfachen Minderungsbetrages, mithin i.H.v. 80 Prozent zugestanden und daher einen Zahlungsverzug insgesamt verneint hat, hat es das tatrichterliche Beurteilungsermessen durch die schematische Bemessung und zeitlich unbegrenzte Zubilligung des Zurückbehaltungsrechts überschritten. Es hat die Besonderheiten des auf dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses außer Acht gelassen und ist darüber hinaus weder dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht geworden. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB dient im Rahmen eines Mietverhältnisses dazu, auf den Vermieter, jedenfalls vorübergehend, Druck auszuüben, damit dieser - für die Zukunft - wieder eine mangelfreie Wohnung bereitstellt. Für die Zeit vor der Mängelbeseitigung wird das Äquivalenzverhältnis zwischen der (mangelhaften) Wohnung und der Miete durch die Minderung gewahrt.
Daher ist es verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen. Vielmehr kann es redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfüllt, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Auch muss der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Der Mieter ist hierdurch nicht rechtlos gestellt, denn unbeschadet des Minderungsrechts kann er u.a. auf Mangelbeseitigung klagen oder in geeigneten Fällen den Mangel - ggf. nach Geltendmachung eines Vorschussanspruchs - selbst beseitigen.
Linkhinweis:
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