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Bevollmächtigung des nicht anspruchsberechtigten Elternteils durch anspruchsberechtigten Elternteil zur Geltendmachung eines Kindergeldanspruchs

BFH 23.8.2016, V R 19/15

Die Fik­tion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009 führt dazu, dass der An­spruch auf Kin­der­geld nicht dem in Deutsch­land, son­dern dem im EU-Aus­land le­ben­den El­tern­teil zu­steht, wenn die­ser das Kind in sei­nen Haus­halt auf­ge­nom­men hat. Auch wenn der an­spruchs­be­rech­tigte El­tern­teil den nicht an­spruchs­be­rech­tig­ten El­tern­teil be­vollmäch­tigt, Kin­der­geld gel­tend zu ma­chen, wird dies nicht ge­genüber dem Be­vollmäch­tig­ten, son­dern nur ge­genüber dem an­spruchs­be­rech­tig­ten El­tern­teil fest­ge­setzt. Bei meh­re­ren Be­rech­tig­ten (El­tern) ist das Kin­der­geld an den­je­ni­gen zu zah­len, in des­sen Haus­halt das Kind auf­ge­nom­men ist, auch wenn die Be­rech­tig­ten zi­vil­recht­lich et­was an­de­res ver­ein­bart ha­ben.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger ist deut­scher Staatsbürger, lebt in Deutsch­land und be­zieht und Leis­tun­gen nach SGB II. Seine 2007 ge­bo­rene Toch­ter A lebt im Haus­halt der von dem Kläger dau­ernd ge­trennt le­ben­den Kinds­mut­ter in Li­tauen. Die Kinds­mut­ter ist li­taui­sche Staats­an­gehörige und war im Streit­zeit­raum nicht er­werbstätig.

Nach­dem die Fa­mi­li­en­kasse zunächst Kin­der­geld für A fest­ge­setzt hatte, hob sie die Fest­set­zung mit Be­scheid vom De­zem­ber 2011 ab Ja­nuar 2012 auf, da die Kinds­mut­ter einen vor­ran­gi­gen An­spruch auf Kin­der­geld habe. Der Kläger er­hob dar­auf­hin Klage. Im Juni 2012 legte er ein Schrei­ben der Kinds­mut­ter vor, in dem sie den Kläger be­vollmäch­tigte, sämt­li­che Anträge und Hand­lun­gen für sie und A vor­zu­neh­men, dass wei­ter­hin Kin­der­geld gewährt würde.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Re­vi­sion der Fa­mi­li­en­kasse hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG-Ur­teil ver­letzt § 64 Abs. 2 S. 1 EStG. Da­nach hat der Kläger kei­nen An­spruch auf Zah­lung des Kin­der­gel­des.

Der Kläger ist zwar kin­der­geld­be­rech­tigt, weil er in Deutsch­land lebt und Va­ter ei­ner Toch­ter ist, die ih­ren Wohn­sitz in Li­tauen hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 EStG) und für die ein An­spruch auf Kin­der­geld be­steht (§ 32 Abs. 3 EStG). Dem An­spruch steht nicht ent­ge­gen, dass der Kläger Leis­tun­gen nach SGB II be­zieht. Der Kläger hat aber kei­nen An­spruch auf Zah­lung des Kin­der­gel­des; denn mit Blick auf das Uni­ons­recht ist nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG die Kinds­mut­ter vor­ran­gig an­spruchs­be­rech­tigt. Nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG wird bei meh­re­ren Be­rech­tig­ten das Kin­der­geld dem­je­ni­gen ge­zahlt, der das Kind in sei­nen Haus­halt auf­ge­nom­men hat.

Die Fik­tion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009, wo­nach die Si­tua­tion der ge­sam­ten Fa­mi­lie in ei­ner Weise zu berück­sich­ti­gen ist, als würden alle Be­tei­lig­ten un­ter die Rechts­vor­schrif­ten des be­tref­fen­den Mit­glied­staats (hier: Deutsch­land) fal­len und dort woh­nen, führt dazu, dass der An­spruch auf Kin­der­geld nicht dem in Deutsch­land, son­dern dem im EU-Aus­land le­ben­den El­tern­teil zu­steht, wenn die­ser das Kind in sei­nen Haus­halt auf­ge­nom­men hat. So auch im Streit­fall: A lebt im Haus­halt der eben­falls kin­der­geld­be­rech­tig­ten Kinds­mut­ter, so dass der Kläger kei­nen An­spruch auf Aus­zah­lung des Kin­der­gel­des hat. Aus der von der Kinds­mut­ter dem Kläger er­teil­ten Voll­macht er­gibt sich nichts an­de­res. Der Kläger dürfte auf­grund die­ser Voll­macht zwar mögli­cher­weise als Be­vollmäch­tig­ter (§ 80 AO) einen Kin­der­geld­an­spruch der Kläge­rin gel­tend ma­chen. Dar­auf kommt es aber vor­lie­gend nicht an. Denn der Kläger hat Kin­der­geld nicht im Na­men der Kinds­mut­ter, son­dern in ei­ge­nem Na­men be­an­tragt. Zu einem An­trag in ei­ge­nem Na­men konnte ihn die Kinds­mut­ter nicht wirk­sam ermäch­ti­gen.

Bei meh­re­ren Be­rech­tig­ten (El­tern) ist das Kin­der­geld an den­je­ni­gen zu zah­len, in des­sen Haus­halt das Kind auf­ge­nom­men ist, auch wenn die Be­rech­tig­ten zi­vil­recht­lich et­was an­de­res ver­ein­bart ha­ben. Durch zi­vil­recht­li­che Ver­ein­ba­run­gen, auch wenn sie durch ge­richt­li­chen Ver­gleich bestätigt wer­den, kann § 64 Abs. 2 S. 1 EStG nicht außer Kraft ge­setzt wer­den. Zwar kann der An­spruch auf Kin­der­geld als Steu­er­vergütung (§ 31 S. 3 EStG) un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ab­ge­tre­ten wer­den (vgl. § 46 AO). Die Ab­tre­tung er­fasst in­des nicht die ge­samte Rechts­stel­lung des Kin­der­geld­be­rech­tig­ten. Über­tra­gen wer­den kann nur der Zah­lungs­an­spruch im Aus­zah­lungs­ver­fah­ren, nicht die An­trags­be­rech­ti­gung im Fest­set­zungs­ver­fah­ren.

Link­hin­weis:

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