Das BMF hat bereits auf das Urteil des BVerfG reagiert und die Finanzverwaltung angewiesen, Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide nur noch vorläufig festzusetzen.
Worum geht es? In der seit 1.1.2009 geltenden Fassung des Erbschaftsteuergesetzes sind umfassende Verschonungsregelungen bei der Übertragung von Betriebsvermögen vorgesehen, die allerdings nur in Anspruch genommen werden können, wenn strenge Auflagen erfüllt werden. So bleiben 85 % bzw. 100 % des Wertes von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften bei einer Mindestbeteiligung von über 25 % außer Ansatz. Hinzu kommen weitere Abschläge sowie die generelle Anwendung einer günstigeren Steuerklasse. Damit wollte der Gesetzgeber vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es für Familienunternehmen typisch ist. Das produktive Vermögen dieser Unternehmen sollte steuerlich begünstigt werden, um den Bestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden.
Das BVerfG gesteht dem Gesetzgeber zwar einen Entscheidungsspielraum zu, derartige Unternehmen zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen. Im Einzelnen kritisiert das BVerfG jedoch Folgendes:
- Die weitgehende oder vollständige Steuerbefreiung von betrieblichem Vermögen wird als unverhältnismäßig angesehen, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. In diesem Zusammenhang gibt das Gericht dem Gesetzgeber auf, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine derartige Verschonung ohne eine solche Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht kommt.
- Die Herausnahme von Betrieben von nicht mehr als 20 Beschäftigten aus der sog. Lohnsummenregelung, mit der der Zweck verfolgt wird, Arbeitsplätze zu erhalten, ist verfassungswidrig. Diese Ausnahme muss sich auf einige wenige Beschäftigte begrenzen.
- Die umfangreiche Einbeziehung von sog. Verwaltungsvermögen - im Falle der Regelverschonung bis zu 50 % - ist nicht verfassungskonform.
- Die derzeitigen Regelungen ermöglichen Umgehungsgestaltungen. So bestehen beispielsweise Gestaltungen, die es ermöglichen, einen erheblichen Umfang von schädlichem Verwaltungsvermögen steuerfrei mit zu übertragen, indem sie die 50 %-Regel in Konzernstrukturen nutzen (sog. Kaskadeneffekt). Auch waren bis 7.6.2013 sogenannte Cash-Gesellschaften möglich, die heute allerdings regelmäßig nicht mehr begünstigtes Betriebsvermögen darstellen.
Sollte der Gesetzgeber eine Rückwirkung des neuen Rechts beabsichtigen, dürfte mit einer zügigen Umsetzung zu rechnen sein, um Rechtsunsicherheiten gering zu halten. Sollte hingegen die Umsetzungsfrist des Verfassungsgerichts ausgeschöpft werden, ist der Gesetzgeber gut beraten, auf eine Rückwirkung zu verzichten.
Dem Vernehmen nach ist der Bundesregierung daran gelegen, die Begünstigungen für Unternehmensvermögen auch weiterhin aufrecht zu erhalten. Dabei ist wohl nicht damit zu rechnen, dass ein völlig neues Begünstigungssystem implementiert wird. Allerdings dürfte es künftig für Unternehmen, die die Grenzen von KMU überschreiten, schwer werden, Vermögen steuerfrei oder weitgehend steuerfrei zu übertragen. Die vom BVerfG geforderte Bedürfnisprüfung könnte diese Unternehmen zwingen, hier den Liquiditätsbedarf nachzuweisen, was in der Praxis nur schwer handhabbar sein dürfte. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier Augenmaß beweist. Denkbar wäre auch, dass unterschiedliche Verschonungen bzw. unterschiedliche Voraussetzungen für eine Verschonung für KMU und größere Unternehmen zum Tragen kommen, um den Bedenken des BVerfG Rechnung zu tragen.