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Ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG

Niedersächsisches FG 3.7.2015, 16 V 95/15

Es be­ste­hen ernst­hafte Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des § 27 Abs. 19 UStG. Durch den Er­lass des Um­satz­steu­er­jah­res­be­scheids kommt es nicht zu ei­ner Ände­rung der bis­he­ri­gen Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen i.S.d. § 176 AO.

Der Sach­ver­halt:
Die An­trag­stel­le­rin be­treibt einen Hei­zungs- und Lüftungs­bau. Im Streit­jahr 2013 hatte sie u.a. Leis­tun­gen ge­genüber ei­ner GmbH er­bracht. In den von der An­trag­stel­le­rin er­teil­ten Ab­rech­nun­gen wurde keine Um­satz­steuer aus­ge­wie­sen; sie ent­hiel­ten einen Hin­weis auf die Steu­er­schuld­ner­schaft der GmbH als Leis­tungs­empfänge­rin. Die Ge­sell­schaft mel­dete die sich aus den be­rech­ne­ten Net­to­ent­gel­ten i.H.v. 55.723 € Steuer zwar an, ob sie sie auch ab­geführt hatte, ließ sich al­ler­dings aus den Ak­ten nicht ent­neh­men.

Nach dem Er­lass des BFH-Ur­teils vom 22.8.2013 (Az.: V R 37/10) stritt die An­trag­stel­le­rin mit dem Fi­nanz­amt darüber, ob sie Um­satz­steuer für die Er­brin­gung der Bau­leis­tun­gen an die GmbH im Streit­jahr 2013 schul­det, ob­wohl sie und die GmbH bei Ab­rech­nung der Leis­tun­gen übe­rein­stim­mend da­von aus­ge­gan­gen wa­ren, dass die GmbH als Leis­tungs­empfänge­rin die Um­satz­steuer nach § 13 b Abs. 2 Nr. 4 S. 1 u. Abs. 5 UStG i.V.m. Ab­schn. 13 b. 3. Abs. 1 S. 1, Abs. 2 u. 8 UStAE 2013 schulde. Mit ih­rem Eil­an­trag be­gehrte die An­trag­stel­le­rin die Aus­set­zung der Voll­zie­hung un­ter Hin­weis auf ver­fas­sungs­recht­li­che Be­den­ken ge­gen § 27 Abs. 19 S. 2 UStG n.F., mit dem die An­wen­dung des § 176 Abs. 2 AO aus­ge­schlos­sen wer­den sollte. Zur Begründung ver­wies sie ins­be­son­dere auf den Be­schluss des FG Ber­lin-Bran­den­burg vom 3.6.2015 (Az.: 5 V 5026/15). Diese ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken müss­ten auch für das Streit­jahr durch­schla­gen.

Das FG lehnte den An­trag ab.

Die Gründe:
Der Se­nat teilt zwar im Grund­satz die ernst­haf­ten Zwei­fel des FG Ber­lin-Bran­den­burg an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG n.F. Aber selbst wenn man zu­guns­ten der An­trag­stel­le­rin die An­wen­dung des § 176 Abs. 2 AO in Be­tracht zie­hen würde, ergäben sich keine ernst­li­chen Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit des an­ge­foch­te­nen Um­satz­steu­er­be­scheids. § 176 Abs. 2 AO war nämlich auf die vor­lie­gende Kon­stel­la­tion nicht an­wend­bar.

Nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Auf­he­bung oder Ände­rung ei­nes Steu­er­be­scheids nicht zu­un­guns­ten des Steu­er­pflich­ti­gen berück­sich­tigt wer­den, dass eine all­ge­meine Ver­wal­tungs­vor­schrift ei­ner obers­ten Bun­des­behörde von einem obers­ten Ge­richt­hof des Bun­des als nicht mit dem gel­ten­den Recht im Ein­klang ste­hend be­zeich­net wurde. Un­strei­tig un­terfällt der UStAE als Ver­wal­tungs­vor­schrift des BFM dem sach­li­chen An­wen­dungs­be­reich, durch das BFH-Ur­teil vom 22.8.2013 wur­den für den Streit­fall ent­schei­dende Re­ge­lun­gen als mit dem gel­ten­den Recht un­ver­ein­bar be­zeich­net. Die Vor­aus­set­zung ei­ner Auf­he­bung oder Ände­rung ei­nes Steu­er­be­scheids war da­ge­gen nicht erfüllt.

Mit den Be­grif­fen der Auf­he­bung oder Ände­rung ver­weist § 176 Abs. 1 u. Abs. 2 AO nach sei­nem Wort­laut auf § 172 Abs. 1 S. 1 AO, nicht aber auch auf die an­der­wei­tige Er­le­di­gung i.S.d. § 124 Abs. 2 AO. Nach ständi­ger BFH-Recht­spre­chung führt der Er­lass ei­nes Um­satz­steu­er­jah­res­be­scheids oder der Ein­gang ei­ner Um­satz­steu­er­erklärung als Fest­set­zung un­ter dem Vor­be­halt der Nachprüfung zu ei­ner an­der­wei­ti­gen Er­le­di­gung ei­nes Be­scheids über den Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dungs­zeit­raums oder der bis­lang ein­ge­reich­ten Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen i.S.v. § 124 Abs. 2 AO führt, kommt es durch den Er­lass des Um­satz­steu­er­jah­res­be­scheids oder den Ein­gang ei­ner Um­satz­steu­er­erklärung nicht zu ei­ner Ände­rung des bis­lang vor­lie­gen­den Vor­an­mel­dungs­fest­set­zun­gen.

Darüber hin­aus re­gelt der Um­satz­steu­er­jah­res­be­scheid oder die Jah­res­erklärung ein mit den ein­zel­nen Vor­an­mel­dungs­zeiträumen nicht iden­ti­sches Steu­er­rechts­verhält­nis, wie sich be­reits dar­aus er­gibt, dass beide Be­scheide, auch wenn sie das­selbe Ka­len­der­jahr be­tref­fen, un­ter­schied­li­che Zeiträume die­ses Jah­res er­fas­sen. Im Übri­gen wa­ren hier auch keine Umstände er­kenn­bar, die es recht­fer­ti­gen konn­ten, das Ver­trauen in einen Vor­an­mel­dungs­be­scheid oder eine Vor­an­mel­dung zu schützen. Der Se­nat schließt sich die­ser Auf­fas­sung an, die ver­ein­zelt in der Li­te­ra­tur ver­tre­tene An­sicht ver­mag dem­ge­genüber nicht zu über­zeu­gen. Da die bis­he­rige Re­ge­lung in Ab­schn. 13 b. 3 UStAE mit BMF-Schrei­ben vom 13.1.2014 an die BFH-Recht­spre­chung an­ge­passt wurde und zu die­sem Zeit­punkt die Um­satz­steu­er­erklärung der An­trag­stel­le­rin noch nicht beim An­trags­geg­ner ein­ge­gan­gen war, schied eine An­wen­dung des § 176 Abs. 2 AO im Streit­fall aus.

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