Hintergrund:
Die Richtlinie 2003/6/EG über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation verbietet Insider-Geschäfte und verpflichtet die Emittenten von Finanzinstrumenten, jede sie unmittelbar betreffende Insider-Information öffentlich bekannt zu machen, d.h. jede präzise Information, die geeignet ist, den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. In der Richtlinie 2003/124/EG zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 wird hinzugefügt, dass eine Information dann als präzise anzusehen ist, wenn sie als Grundlage für die Beurteilung dienen kann, ob die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente durch die Umstände oder das Ereignis, auf die oder das sie sich bezieht, beeinflusst werden können.
In den Jahren 2006 und 2007 schloss die Wendel SA, eine auf Investitionen spezialisierte französische Gesellschaft, mit vier Banken Verträge über "Total Return Swaps" (Kreditderivate zum Ertragstransfer), die sich auf insgesamt 85 Mio. Aktien von Saint-Gobain (eines Herstellers von Baustoffen) bezogen und Wendel eine wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain verschafften. 2007 traf Wendel offiziell die Entscheidung, die wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain in physischen Aktienbesitz umzuwandeln, und erwarb infolgedessen mehr als 66 Mio. Aktien von Saint-Gobain (etwa 17,6 Prozent des Gesellschaftskapitals).
Im Rahmen einer Untersuchung der Umstände, unter denen Wendel ihren Anteil am Kapital von Saint-Gobain erhöhte, ging die französische Finanzmarktbehörde (AMF) davon aus, dass Wendel von Anfang an beabsichtigt habe, eine erhebliche Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain zu erwerben. Die AMF warf Wendel vor, der Öffentlichkeit weder die wichtigsten Merkmale der auf den Erwerb dieser Beteiligung gerichteten finanziellen Transaktion mitgeteilt zu haben noch die in der Vornahme der in Rede stehenden finanziellen Transaktion bestehende Insider-Information. Wendel und ihrem Vorstandsvorsitzenden Jean-Bernard Lafonta (Kläger) wurde eine Geldbuße von je 1,5 Mio. € auferlegt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er macht geltend, dass die Information über die in Rede stehende finanzielle Transaktion nicht habe veröffentlicht werden müssen, da sie nicht hinreichend präzise gewesen sei, um einen Schluss auf ihre mögliche positive oder negative Auswirkung auf den Kurs der Aktien von Wendel zuzulassen. Die AMF hält dem entgegen, dass es für die Einstufung einer Information als präzise unerheblich sei, ob sich eine finanzielle Transaktion in einer bestimmten Richtung (positiv oder negativ) auswirke. Entscheidend sei, ob eine Auswirkung auf den Aktienkurs erwartet werde.
Das mit der Rechtssache in letzter Instanz befasste französische Gericht ersucht den EuGH um Präzisierungen zu dieser Frage.
Die Gründe:
Aus dem Wortlaut der Richtlinien geht nicht hervor, dass präzise Informationen nur solche sein könnten, mit denen sich bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ändern würde. Nur vage oder allgemeine Informationen, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen, können als nicht präzise angesehen werden.
Ein verständiger Anleger kann seine Anlageentscheidung auf Informationen stützen, die es ihm nicht zwangsläufig ermöglichen, eine Änderung des Kurses der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung vorherzusehen. Im Übrigen macht die hohe Komplexität der Finanzmärkte eine exakte Einschätzung der Richtung, in die sich die Kurse von Finanzinstrumenten ändern können, besonders schwierig.
Könnte eine Information nur dann als präzise angesehen werden, wenn sich mit ihrer Hilfe bestimmen ließe, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ändern wird, dann könnte der Besitzer von Informationen vorgeben, dass insoweit Unsicherheit bestehe, um sich einer Veröffentlichung bestimmter Informationen zu enthalten und so zum Nachteil anderer Marktteilnehmer von ihnen zu profitieren.
Linkhinweis:
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