Der Sachverhalt:
Die Klägerin bediente sich für die Durchführung von Messen in den Jahren 1999 bis 2005 der Firma E. Für ihre Leistungen stellte die E Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuer i.H.v. über 4,8 Mio. € ausgewiesen war. Diesen Betrag führte die E an das Finanzamt ab und die Klägerin machte ihn als Vorsteuer bei dem für sie zuständigen Finanzamt X geltend. Im Zuge einer Umsatzsteuerprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass die Leistungen der E im Ausland erbracht worden und im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren. Daraufhin erstattete die Klägerin große Teile der Vorsteuerbeträge dem Finanzamt X und forderte von der E die Rückzahlung der rechtswidrig gezahlten Umsatzsteuer bzw. die Abtretung deren Erstattungsanspruchs gegen das Finanzamt.
Das FG wies die für zulässig erachtete Sprungklage als unbegründet ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen das Finanzamt keinen Anspruch auf Erstattung des Umsatzsteuerbetrags, der ihr von der E zu Unrecht in Rechnung gestellt und der E gezahlt worden ist.
Die Klägerin kann ihren Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen. Nach dieser Vorschrift hat nur derjenige einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Das sind hinsichtlich der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, die ihre Rechnungen nach § 17 UStG berichtigt haben. Vorliegend hat die E die 4,8 Mio. € auf ihre Rechnung, nämlich in Erfüllung ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld gegenüber dem Finanzamt, gezahlt. Damit ist sie diejenige, der nach Berichtigung der Rechnungen nach § 17 UStG durch den Insolvenzverwalter der Anspruch auf Erstattung der nunmehr rechtsgrundlos gewordenen Zahlungen an das Finanzamt gem. § 37 Abs. 2 AO zusteht. Daran ändert nichts, dass der Insolvenzverwalter den Anspruch auf Erstattung in die Insolvenzmasse geltend gemacht hat.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, besteht auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit, § 37 Abs. 2 AO in der von der Klägerin gewünschten Weise auszulegen, also den Erstattungsanspruch bei Insolvenz des Leistenden auf den Leistungsempfänger zu übertragen. Eine solche Auslegung lässt sich auch nicht mit den Ausführungen des EuGH in der Reemtsma-Entscheidung (EuGH 15.3.2007, C-35/05) rechtfertigen. Der Entscheidung lässt sich kein unionsrechtliches Gebot entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus zu gewähren, wenn - wie hier - eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.
Die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, werden den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht. Im Übrigen bieten die Billigkeitsregelungen der §§ 163 (abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen) und 227 AO (Erstattung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis) eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug - jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis - geltend zu machen, um auf diesem Weg den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungsaussteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom Finanzamt gutgebracht zu bekommen.
Ob der Klägerin eine Erstattung ihrer Vorsteuer im Wege eines Billigkeitserweises zuerkannt werden kann, musste vorliegend nicht entschieden werden. Es liegt bei der Klägerin, einen solchen Anspruch ggf. beim Finanzamt X geltend zu machen. Ein Billigkeitserweis erscheint im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn der BFH der Reemtsma-Entscheidung jedenfalls dann keine Erstattungsverpflichtung des Fiskus zu entnehmen vermochte, wenn die Steuer gar nicht an ihn entrichtet worden war. Ob diese Feststellung auch auf den Fall der vorliegenden Erstattung des Finanzamts an die Insolvenzmasse nach Rechnungsberichtigung ausgedehnt werden kann, könnte davon abhängen, ob der Fiskus zur Erstattung verpflichtet war oder ob er ausnahmsweise die Zustimmung zur Rechnungsberichtigung und damit die Erstattung hätte verweigern können, weil sie zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse geführt hätte. Es erscheint nicht fernliegend, dazu ein neuerliches Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.
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