Der Sachverhalt:
Auf Verlangen der Antragsgegnerin zu 2) hatte die Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 1) im Februar 2003 die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Antragsgegnerin zu 2) gegen eine Barabfindung i.H.v. 39,85 € je Aktie gem. §§ 327a ff. AktG beschlossen. Die Ermittlung des Unternehmenswerts und der Höhe der Barabfindung beruhte auf dem Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Dabei wurden die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. aus dem Jahr 2000 (IDW S1 2000) herangezogen.
In dem von den Antragstellern eingeleiteten Spruchverfahren hat das LG ein Sachverständigengutachten mit einer vollständigen Neubewertung eingeholt. Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung eines höheren als des ursprünglich geschätzten Umsatzwachstums, eines anderen Basiszinssatzes und einer abweichenden Marktrisikoprämie einen Unternehmenswert nach dem IDW S1 2000 und nach dem IDW S1 2005 errechnet, woraus sich je Aktie ohne Berücksichtigung des Dividendenanspruchs für das Jahr 2002 von 0,53 € je Aktie 65,48 € (IDW S1 2000) bzw. 48,94 € (IDW S1 2005) als Abfindungsbetrag ergaben.
Das LG hat die Barabfindung nach IDW S1 2000 mit einigen Änderungen auf 57,77 € je Aktie festgesetzt. Dagegen haben mehrere Antragsteller, der gemeinsame Vertreter und die Antragsgegnerinnen sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG hielt die sofortigen Beschwerden für zulässig und wollte entsprechend der Berechnung des gerichtlichen Sachverständigen die Abfindung auf 65,48 € je Aktie festsetzen. Es hat die Sache aber dem BGH zur Entscheidung vorgelegt, da es wissen wollte, ob auf den am Stichtag geltenden IDW S1 2000 oder den IDW S1 2005, gegebenenfalls auch ergänzt auf den IDW S1 2008 abzustellen sei. Die Problematik sei nämlich in der OLG-Rechtsprechung schon länger umstritten.
Der BGH hielt die sofortigen Beschwerden des gemeinsamen Vertreters und der Antragsgegnerin zu 1) für unzulässig. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 2) hatte dagegen Erfolg.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde des gemeinsamen Vertreters war unzulässig, denn im Spruchverfahren ist der gemeinsame Vertreter der Antragsberechtigten, die nicht selbst Antragsteller sind, grundsätzlich nicht beschwerdebefugt. Auch die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) war unzulässig, weil sie durch die Festsetzung der Abfindung nicht beschwert war. Da sie am Verfahren materiell nicht beteiligt war, waren auch die Beschwerden der Antragsteller, soweit sie sich gegen diese richteten, ebenfalls unzulässig und zu verwerfen.
Die Abfindung war auf 52 € je Aktie festzusetzen. Das entsprach dem Betrag, den die Antragsgegnerinnen den Minderheitsaktionären im gerichtlichen Vergleich im Anfechtungsprozess angeboten hatten. Weder der Börsenkurs der Aktie noch der anteilige Unternehmenswert nach dem Ertragswertverfahren ergaben einen höheren Abfindungsbetrag. Der Schätzung des Unternehmenswertes mit der Ertragswertmethode legte der Senat den nach dem IDW S1 2005 ermittelten Wert von 48,94 € je Aktie zugrunde, nicht den nach dem IDW S1 2000 ermittelten Wert.
Der Schätzung des Unternehmenswertes im Spruchverfahren können auch fachliche Berechnungsweisen zugrunde gelegt werden, die erst nach der Strukturmaßnahme, die den Anlass für die Bewertung gibt, und dem dafür bestimmten Bewertungsstichtag entwickelt wurden. Dem stehen weder der Gedanke der Rechtssicherheit noch der Vertrauensschutz entgegen. Das Stichtagsprinzip wird von der Schätzung aufgrund einer neuen Berechnungsweise nicht verletzt, solange die neue Berechnungsweise nicht eine Reaktion auf nach dem Stichtag eingetretene und zuvor nicht angelegte wirtschaftliche oder rechtliche Veränderungen, insbesondere in steuerlicher Hinsicht ist.
Zwar wird in der Rechtsprechung vertreten, dass das Bewertungsziel verfehlt würde, weil die neuen Methoden in den vom Dritten bezahlten Grenzpreis nicht einfließen würden. Die Kenntnis einer fundamentalanalytischen Bewertungsmethode ist aber nicht Voraussetzung für das Zustandekommen richtiger Marktpreise, in die auch andere Faktoren und Informationen einfließen. Mit der fundamentalanalytischen Berechnung soll ein Marktpreis theoretisch geschätzt werden, der mangels eines "echten" Verkaufsfalls gerade nicht unmittelbar nachvollzogen werden kann, und nicht ein Marktpreis gebildet werden.
Letztlich stand auch nicht der Rechtsgedanke von Art. 170 EGBGB zur Anwendung intertemporalen Rechts der Anwendung einer neuen Berechnungsweise entgegen. Denn Bewertungsmethoden sind keine Rechtsnormen und ähneln ihnen nicht; erst recht gilt das für von der Wirtschaftswissenschaft oder der Wirtschaftsprüferpraxis entwickelte Berechnungsweisen, selbst wenn sie als "Bewertungsstandards" schriftlich festgehalten sind.
Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.