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Telefoninterviewer als Arbeitnehmer einzustufen?

BFH 18.6.2015, VI R 77/12

Die Frage, ob eine Tätig­keit (hier: Te­le­fo­nin­ter­viewer) selbständig oder nicht­selbständig ausgeübt wird, ist an­hand ei­ner Viel­zahl in Be­tracht kom­men­der Merk­male nach dem Ge­samt­bild der Verhält­nisse zu be­ur­tei­len. Die Ge­samtwürdi­gung ist ma­te­ri­ell-recht­lich feh­ler­haft, wenn die Tat­sa­chen­in­stanz die maßgeb­li­chen Umstände nicht vollständig oder ih­rer Be­deu­tung ent­spre­chend in ihre Über­zeu­gungs­bil­dung ein­be­zieht.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin be­treibt ein Un­ter­neh­men im Be­reich der Markt- und Mei­nungs­for­schung. Für sie wa­ren zwi­schen Ja­nuar 1998 und Sep­tem­ber 2002 etwa 450 bis 620 In­ter­viewer tätig, die Be­fra­gun­gen per Te­le­fon durch­geführt hat­ten. Hierfür stellte die Kläge­rin Com­pu­ter­ar­beitsplätze in Büroräumen zur Verfügung. Grund­lage der In­ter­views wa­ren an den Bild­schir­men an­ge­zeigte Fra­gebögen, die Ant­wor­ten wur­den im Com­pu­ter­sys­tem er­fasst. Die In­ter­views dau­er­ten, teil­weise von einem sog. Su­per­vi­sor über­wacht, zwi­schen fünf und 25 Mi­nu­ten. Die In­ter­viewer wa­ren zu­meist in Zeitblöcken von je vier Stun­den tätig. Ver­trag­li­che Grund­lage war je­weils eine sog. Rah­men­ver­ein­ba­rung. Dort war ge­re­gelt, dass der In­ter­viewer als freier Mit­ar­bei­ter tätig sei, sich die Tätig­keit nach dem Ein­zel­auf­trag richte und Ho­no­rarhöhe, Ar­beits­um­fang und Ab­lie­fe­rungs­ter­min um­fasse.

Außer­dem wurde fest­ge­legt, dass die Tätig­keit eine frei­be­ruf­li­che Ne­bentätig­keit sei, der freie Mit­ar­bei­ter die vor­ge­schla­ge­nen In­ter­view­zei­ten ab­leh­nen könne und auch kei­nen zeit­li­chen Bin­dun­gen un­ter­liege. In späte­ren Fas­sun­gen war auch noch ausdrück­lich ge­re­gelt, dass der In­ter­viewer sich für die An­nahme von Aufträgen nicht be­reit­hal­ten müsse, es keine Ein­satzpläne gebe und zu den Öff­nungs­zei­ten be­lie­big kom­men und ge­hen könne; Ar­beits­zei­ten gebe es nicht, die vom In­sti­tut an­ge­ge­be­nen Ter­mine seien nur für über­nom­mene Aufträge ein­zu­hal­ten. Wei­ter re­gelte die Rah­men­ver­ein­ba­rung, dass die im Ein­zel­fall durch­zuführen­den In­ter­views ein ein­heit­li­ches Werk i.S.d. § 631 BGB seien. Die Ho­no­rare wa­ren da­nach für je­den Ein­zel­auf­trag ge­son­dert ver­ein­bart und vom freien Mit­ar­bei­ter mo­nat­lich in Rech­nung zu stel­len. Der Ab­lauf des In­ter­views rich­tete sich nach fes­ten durch ein Com­pu­ter­pro­gramm vor­ge­ge­be­nen Re­geln.

Die Kläge­rin qua­li­fi­zierte die Te­le­fo­nin­ter­viewer als selbständig Tätige und be­hielt des­halb für die aus­ge­zahl­ten Ho­no­rare we­der Lohn­steuer noch So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge ein. Das Fi­nanz­amt qua­li­fi­zierte da­ge­gen nach ei­ner Lohn­steuer-Außenprüfung die für die Kläge­rin täti­gen Te­le­fo­nin­ter­viewer als Ar­beit­neh­mer und er­ließ einen ent­spre­chen­den Haf­tungs­be­scheid über Lohn­steuer nebst An­nex­steu­ern. Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage teil­weise statt. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Ge­samtwürdi­gung des FG hatte nicht vollständig die maßgeb­li­chen Umstände berück­sich­tigt, die für und ge­gen das Vor­lie­gen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses spra­chen. Dies stellte einen ma­te­ri­ell-recht­li­chen Feh­ler dar.

Die Frage, ob eine Tätig­keit selbständig oder nicht­selbständig ausgeübt wird, ist an­hand ei­ner Viel­zahl in Be­tracht kom­men­der Merk­male nach dem Ge­samt­bild der Verhält­nisse zu be­ur­tei­len. In diese Ge­samtwürdi­gung ist auch ein­zu­be­zie­hen, wie das der Be­schäfti­gung zu­grunde lie­gende Ver­trags­verhält­nis aus­ge­stal­tet wurde, so­fern die Ver­ein­ba­run­gen ernst­haft ge­wollt und tatsäch­lich durch­geführt wur­den. Diese Ge­samtwürdi­gung ist als eine im We­sent­li­chen auf ta­trich­ter­li­chem Ge­biet lie­gende Be­ur­tei­lung re­vi­si­ons­recht­lich nur be­grenzt überprüfbar. Al­ler­dings ist die Ge­samtwürdi­gung ma­te­ri­ell-recht­lich feh­ler­haft, wenn die Tat­sa­chen­in­stanz die maßgeb­li­chen Umstände nicht vollständig oder ih­rer Be­deu­tung ent­spre­chend in ihre Über­zeu­gungs­bil­dung ein­be­zieht.

So lag der Fall auch hier. Denn in der Würdi­gung des FG fehl­ten wich­tige As­pekte, die ge­eig­net wa­ren, die ta­trich­ter­li­che Ge­samtwürdi­gung zu be­ein­flus­sen. Darüber hin­aus wa­ren ent­schei­dende Ge­sichts­punkte nicht ih­rer Be­deu­tung ent­spre­chend in die Abwägung ein­ge­flos­sen. An­ge­sichts des­sen war die vom FG an­ge­stellte Ge­samtwürdi­gung rechts­feh­ler­haft. Ver­ein­ba­ren die Ver­trags­par­teien eine Vergütung auf der Ba­sis von Er­folgs­ho­no­ra­ren, ist dies ein we­sent­li­ches In­diz dafür, dass kein lohn­steu­er­recht­lich er­heb­li­ches Be­schäfti­gungs­verhält­nis vor­liegt, so­fern diese Ver­ein­ba­rung den tatsäch­li­chen Verhält­nis­sen nicht wi­der­spricht. Die­sen Um­stand hatte das FG nur un­zu­rei­chend berück­sich­tigt.

Das FG hatte ein Un­ter­neh­mer­ri­siko der In­ter­viewer da­mit ver­neint, dass die Kläge­rin fak­ti­sch "ein be­grenzt va­ria­bles Stun­den­ho­no­rar" ge­zahlt habe. Eine sol­che Würdi­gung ver­kannte in­des­sen be­reits, dass Stun­den­ho­no­rare auch im Rah­men von selbständi­gen und ge­werb­li­chen Tätig­kei­ten durch­aus üblich sind. So rech­nen etwa selbständig tätige Hand­wer­ker ihre Leis­tun­gen re­gelmäßig auf Stun­den­ba­sis ab und auch selbständig tätige Rechts­anwälte stel­len Ho­no­rare auf Stun­den­ba­sis in Rech­nung.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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