Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Ersterwerber befördert oder versendet, sieht § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG eine gesetzliche Vermutung vor, wonach die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen ist. Allerdings kann diese Vermutung widerlegt werden (§ 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG). Laut Urteil des BFH vom 25.2.2015 (Az. XI R 15/14) ist eine solche Vermutung zwar EU-rechtlich nicht vorgesehen, jedoch nicht unionsrechtswidrig, sondern muss lediglich unionsrechtskonform ausgelegt werden.
Es sind deshalb alle besonderen Umstände des Einzelfalls zu prüfen und - wie der EuGH in seiner Vorabentscheidung zu diesem Streitfall mit Urteil vom 27.9.2012, Rs. C-587/10, VSTR, entschieden hat - insb. der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Ersterwerber seinem Abnehmer die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft hat. Da im Streitfall im Nachhinein der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht nicht mehr ermittelt werden konnte, war die gesetzliche Vermutung anzuwenden und somit die erste Lieferung an den Ersterwerber steuerfrei.
Hinweis
Nach den Ausführungen des BFH könnte sich der Lieferer vom Ersterwerber versichern lassen, dass dieser die Verfügungsmacht nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung das Inland verlassen hat. Verstößt der Ersterwerber gegen diese Versicherung, kann dem Lieferer gemäß § 6a Abs. 4 UStG Vertrauensschutz zu gewähren sein.
In einem weiteren Urteil vom 25.2.2015 (Az. XI R 30/13) stellt der BFH klar, dass auch dann die erste Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung gelten kann, wenn der Zweiterwerber eine Spedition mit der Abholung beim Lieferer beauftragt, sofern der Zweiterwerber die Verfügungsmacht an dem Gegenstand erst erhalten hat, nachdem dieser das Inland verlassen hat.
Hinweis
Die aktuellen Urteile können angesichts der Häufigkeit von Reihengeschäften in der Praxis zu Problemen führen, da regelmäßig nicht jeder Einzelfall und seine Gesamtumstände hinreichend genau betrachtet werden können. Deshalb ist es wichtiger denn je, gute Prozesse zu implementieren.