Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Mutter einer im September 1989 geborenen Tochter (T). T nahm an einem siebensemestrigen berufsbegleitenden Studiengang teil, brach diesen jedoch vorzeitig ab. Die beklagte Familienkasse hob die zugunsten der Klägerin für T erfolgte Kindergeldfestsetzung auf und forderte das insoweit für den Zeitraum Juni 2013 bis November 2013 bereits ausbezahlte Kindergeld i.H.v.v rd. 1.100 € von der Klägerin zurück. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Ein insoweit wegen Steuerhinterziehung und Betrugs durchgeführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren wurde nach § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Entgegen der formblattmäßigen Verfügung des Vorsitzenden wies das FG nur die Familienkasse, nicht hingegen die Klägerin darauf hin, dass der Rechtsstreit gem. §§ 5 Abs. 3 S. 1, 6 Abs. 1 FGO auf den Einzelrichter übertragen werden kann. Mit Beschluss vom 1.6.2015 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen. Dieser legte den Beteiligten in einem Schreiben vom 1.6.2015 seine Rechtsauffassung dar. Ferner enthielt das Schreiben folgenden Zusatz: "Es wird darauf hingewiesen, dass das Gericht bei einem Streitwert von 25 € alsbald ein Urteil nach billigem Ermessen gem. § 94a FGO fällen wird. Frist: 4 Wochen". Mit Schreiben vom 4.7.2015 machte die Klägerin weitere Ausführungen zur Sache. Sodann wies der Einzelrichter die Klage am 29.7.2015 gem. § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung ab.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Das FG hat das grundrechtsgleiche Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, da es ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ohne dies der Klägerin zuvor in hinreichender Deutlichkeit mitzuteilen. Hierin liegt ein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Nach der Rechtsprechung des BVerfG begründet Art. 103 Abs. 1 GG zwar keinen Anspruch auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, stellt jedoch sicher, dass sich jeder Verfahrensbeteiligte vor dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem ihr zugrunde liegenden Sachverhalt äußern und Anträge stellen kann. Insoweit hielt es das BVerfG in einem Fall, in dem ein Zivilgericht gem. § 495a ZPO im vereinfachten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden hatte, für unbeachtlich, dass diese Prozessrechtsnorm selbst eine Anordnung des schriftlichen Verfahrens nicht vorschreibt. Denn es leitete eine dahingehende Pflicht des Gerichts unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG ab. Zur Begründung verwies es darauf, dass den Parteien sonst die Möglichkeit genommen werde, einen Antrag auf mündliche Verhandlung gem. § 495a S. 2 ZPO zu stellen.
Um dieses Antragsrecht nicht einzuschränken, muss das Gericht, wenn es sich für ein schriftliches Verfahren entscheidet, den Parteien seine Absicht und den Zeitpunkt mitteilen, bis zu dem die Parteien ihr Vorbringen in den Prozess einführen können. Diese Grundsätze finden auch auf das finanzgerichtliche Verfahren Anwendung. Wie § 495a S. 1 ZPO ermöglicht § 94a S. 1 FGO bei Einhaltung der dort geregelten Streitwertgrenze ein Verfahren nach billigem Ermessen und mithin ein schriftliches Verfahren. Entsprechend § 495a S. 2 ZPO räumt § 94a S. 2 FGO den Beteiligten das Recht ein, mittels eines Antrags eine mündliche Verhandlung herbeizuführen. Zwar hatte der BFH bislang in ständiger Rechtsprechung entschieden, aus § 94a FGO ergebe sich kein solches Hinweiserfordernis. Diese Rechtsprechung ist aber durch die Entscheidung des BVerfG in NJW-RR 2009, 562 überholt. Denn danach ist die Hinweispflicht unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleiten.
Vorliegend hat das FG dieser Hinweispflicht nicht genügt. Zum einen ist aus dem Hinweis "alsbald ein Urteil nach billigem Ermessen gemäß § 94a FGO fällen" zu wollen, jedenfalls bei einem nicht fachkundig vertretenen Beteiligten - wie im Streitfall der Klägerin - nicht mit hinreichender Deutlichkeit die Absicht des Gerichts erkennbar, im schriftlichen Verfahren entscheiden zu wollen. Zum anderen lässt sich aus dem apodiktischen Hinweis "Frist: 4 Wochen" nicht mit hinreichender Klarheit ableiten, dass es sich insoweit um die Frist handelt, bis zu der die Beteiligten ihr Vorbringen noch in den Prozess einführen können; dies gilt erst recht für nicht fachkundig vertretene Beteiligte.
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