deen

Rechtsberatung

Abschaffung des Schriftformerfordernisses für Gewerbemietverträge?

Das Bun­des­mi­nis­te­rium der Jus­tiz („BMJ“) veröff­ent­lichte am 11.01.2024 den Re­fe­ren­ten­ent­wurf ei­nes „Vier­ten Ge­set­zes zur Ent­las­tung der Bürge­rin­nen und Bürger, der Wirt­schaft so­wie der Ver­wal­tung von Büro­kra­tie (Vier­tes Büro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz, kurz BEG-IV-E)“. Der Ent­wurf soll unnöti­gen Ver­wal­tungs­auf­wand in un­ter­schied­li­chen Rechts­be­rei­chen ab­bauen und den All­tag er­leich­tern. Die je­wei­li­gen Schutz­stan­dards der be­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen sol­len durch die an­ge­strebte Re­form un­an­ge­tas­tet blei­ben.

Um den di­gi­ta­len Wan­del vor­an­zu­trei­ben, sol­len u. a. For­mer­for­der­nisse im Zi­vil­recht ab­ge­senkt bzw. ab­ge­schafft wer­den. In die­sem Kon­text soll auch das ge­setz­li­che Schrift­for­mer­for­der­nis für sämt­li­che Miet­verhält­nisse, die keine Wohnräume be­tref­fen, er­satz­los ent­fal­len.

© unsplash

An die Wah­rung der ge­setz­li­chen Schrift­form für Miet­verträge (§ 550 BGB) wer­den bis­her hohe An­for­de­run­gen ge­stellt, die zu­wei­len als schwerfällig und un­prak­ti­ka­bel er­ach­tet wer­den und mit zahl­rei­chen Rechts­un­si­cher­hei­ten ver­bun­den sind. Re­for­merwägun­gen und Ge­set­zes­in­itia­ti­ven zur Mo­di­fi­zie­rung des § 550 BGB exis­tie­ren da­her zu­hauf. Die nun­mehr vor­ge­se­hene vollständige Ab­schaf­fung des Schrift­for­mer­for­der­nis­ses geht wei­ter als bis­he­rige, dif­fe­ren­zie­rende Erwägun­gen.

Aktuelle Gesetzeslage der Schriftform für Mietverträge

§ 550 BGB fin­giert, dass Miet­verträge, die für eine längere Zeit als ein Jahr nicht in schrift­li­cher Form ge­schlos­sen wur­den, für un­be­stimmte Lauf­zeit gel­ten. Der Miet­ver­trag kann von bei­den Par­teien un­ge­ach­tet der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Fest­lauf­zeit mit den ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten (ca. 6 bis 9 Mo­nate) vor­zei­tig be­en­det wer­den.

Die An­for­de­run­gen an die Schrift­form von Miet­verträgen sind der­zeit hoch: so müssen sämt­li­che ver­trag­li­che Ab­re­den, d. h. der Miet­ver­trag selbst, des­sen An­la­gen und auch sämt­li­che nachträgli­che Ver­ein­ba­run­gen, schrift­lich ab­ge­fasst und von Ver­mie­ter so­wie Mie­ter glei­chermaßen auf der­sel­ben Ur­kunde un­ter­zeich­net wer­den.

Ein Ver­trags­schluss in Text­form reicht nicht aus. Zwar er­kennt die Recht­spre­chung Er­leich­te­run­gen an, wo­nach die ge­for­derte „ein­heit­li­che Ur­kunde“ nicht zwin­gend durch eine körper­lich feste Ver­bin­dung (etwa durch Ösung sämt­li­cher Ver­trags­do­ku­mente) her­ge­stellt wer­den muss. Viel­mehr genügt eine ein­deu­tige ge­dank­li­che Zu­sam­men­gehörig­keit. Auch er­fasst das Schrift­form­ge­bot al­lein we­sent­li­che Ab­re­den. Al­ler­dings kann auf­grund des un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs der „We­sent­lich­keit“ so­wie der we­nig kla­ren Trenn­schärfe, wann Ver­trags­do­ku­mente bei feh­len­der fes­ter Ver­bin­dung hin­rei­chend ge­dank­lich in Be­zug ge­nom­men sind, die Frage ei­nes Schrift­form­ver­stoßes meist nicht rechts­si­cher be­ant­wor­tet wer­den.

Schutzzweck des strengen Formerfordernisses

Das strenge For­mer­for­der­nis des § 550 BGB mit all sei­nen Un­si­cher­hei­ten recht­fer­tigt sich durch sei­nen primären Schutz­weck, den Schutz des Er­wer­bers ei­ner ver­mie­te­ten Im­mo­bi­lie. Gemäß dem in § 566 Abs. 1 BGB ver­an­ker­ten Grund­sat­zes „Kauf bricht nicht Miete“ tritt der Er­wer­ber ei­ner lang­fris­tig ver­mie­te­ten Im­mo­bi­lie kraft Ge­set­zes in die Rechte und Pflich­ten des Miet­ver­tra­ges des veräußern­den Ver­mie­ters ein.

Eine sol­che Ver­trags­wir­kung zu Las­ten ei­nes Er­wer­bers weicht von dem Rechts­grund­satz ab, wo­nach Verträge al­lein zwi­schen den Ver­trags­schließen­den Bin­dungs­wir­kung ent­fal­ten. Die Durch­bre­chung die­ser sog. in­ter Par­tes Wir­kung im Miet­recht wird mit dem Schutz des Mie­ters le­gi­ti­miert, der vor ei­ner Ver­trags­be­en­di­gung bei Veräußerung ei­ner Im­mo­bi­lie be­wahrt wer­den soll.

Wenn je­doch der Er­wer­ber sämt­li­che Ver­trags­pflich­ten über­neh­men muss, ohne diese ver­han­delt zu ha­ben, soll er sich zu­min­dest lücken­los über alle we­sent­li­chen, auf ihn über­ge­hen­den Ver­trags­pflich­ten in­for­mie­ren können.

Ne­ben dem Er­wer­ber­schutz kommt § 550 BGB aber auch eine Warn- und Be­weis­funk­tion für die ver­trags­schließen­den Par­teien zu. Auch sie können sich un­ter Be­ru­fung auf eine Ver­let­zung der Schrift­form vor­zei­tig von dem Miet­ver­trag lösen, ob­wohl sie ggf. ur­sprüng­lich eine lange Ver­trags­bin­dung ver­ein­bart hat­ten. Da­bei muss es den Par­teien noch nicht ein­mal um die Form­ver­let­zung selbst ge­hen. Der BGH er­ach­tet so­gar das ge­zielte Su­chen von Formmängeln mit dem Ziel, sich un­ter Be­ru­fung hier­auf von einem lästig ge­wor­den Miet­ver­trag zu lösen (etwa bei geänder­ter Markt­lage), grundsätz­lich nicht als treu­wid­rig an.

Die Rechts­folge des § 550 BGB erhält da­mit er­heb­li­che prak­ti­sche Re­le­vanz. Fach­welt wie Ge­setz­ge­ber kri­ti­sie­ren viel­fach eine nicht hin­nehm­bare „Zweck­ent­frem­dung“ des ei­gent­li­chen Schutz­ziels; die da­mit ver­bun­de­nen Rechts­un­si­cher­hei­ten der Ver­trags­dauer ei­nes ori­ginär für lange Ver­trags­dauer an­ge­leg­ten Miet­ver­trags sind im­ma­nent.

Vorstoß im Rahmen des BEG-IV-E

Die Ab­schaf­fung die­ser un­lieb­sa­men Folge bil­det ne­ben dem Büro­kra­tie­ab­bau und der Förde­rung von Nach­hal­tig­keits­zie­len eine Erwägung des nun­meh­ri­gen Vor­stoßes im BEG-IV-E, das Schrift­for­mer­for­der­nis für Ge­wer­be­raum­miet­verträge auf­zu­he­ben. Auf den ers­ten Blick scheint der Re­form­vor­schlag auch von ei­ner „büro­kra­ti­schen“ Last zu be­freien. Wenn durch die Ab­schaf­fung nicht nur der Ver­trags­schluss selbst, son­dern jede nachträgli­che Ände­rung und Ergänzung form­frei möglich sind, könne hier­durch der Be­stand von Zeit­miet­verträgen bis zum Ende der je­wei­li­gen Fest­laut­zeit ge­si­chert wer­den.

Für be­reits be­ste­hende Miet­verhält­nisse ist eine Überg­angs­frist von zwölf Mo­na­ten vor­ge­se­hen, auf die noch die bis­he­rige Rechts­lage an­zu­wen­den ist. So­fern be­reits be­ste­hende Miet­verhält­nisse nach In­kraft­tre­ten des BEG-IV-E geändert wer­den, soll mit Ab­schluss der Nach­trags- bzw. Ände­rungs­ver­ein­ba­rung die neue Rechts­lage auf den ge­sam­ten Ver­trag voll­umfäng­lich an­wend­bar sein.

Bisheriges Schutzniveau nicht mehr gewährleistet

Aus un­se­rer Er­fah­rung be­ste­hen er­heb­li­che Be­den­ken, ob mit dem Vor­stoß des BMJ die be­ab­sich­tig­ten Ziele er­reicht wer­den können, ohne das Schutz­ni­veau ab­zu­sen­ken.

Bei einem Ver­zicht auf das Schrift­for­mer­for­der­nis hat der Er­wer­ber ei­ner ver­mie­te­ten Im­mo­bi­lie hat kaum mehr eine Möglich­keit, sich verläss­lich über In­halt und Ausmaß der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen verläss­lich zu in­for­mie­ren. Auch ist das gleich­ge­la­gerte Schutz­bedürf­nis von den Im­mo­bi­li­en­er­werb fi­nan­zie­ren­der Ban­ken nach verläss­li­cher In­for­ma­tion gefähr­det. Eine Ab­schaf­fung der ge­setz­li­chen Schrift­form kann so­mit die Fi­nan­zier­bar­keit von Im­mo­bi­lien er­schwe­ren, da Ri­si­ken (wirt­schaft­lich) neu be­wer­tet wer­den müssen. Letzt­lich können Preis­ab­schläge für Rechts­ri­si­ken die Ver­kehrsfähig­keit von Im­mo­bi­li­en­in­vest­ments tan­gie­ren.

Trotz des ge­plan­ten Weg­falls des Schrift­for­mer­for­der­nis­ses wird in der Begründung des BEG-IV-E den Schutz­stan­dard glei­chermaßen mit fol­gen­den Ar­gu­men­ten für ge­wahrt er­ach­tet:

  1. Es sei da­von aus­zu­ge­hen, dass ein Großteil der (Ge­werbe-)Miet­verträge Verträge wei­ter­hin schrift­lich oder in Text­form ab­ge­fasst wer­den würden.

    Hier­ge­gen ist ein­zu­wen­den, dass un­ge­wiss ist, ob le­dig­lich ver­trag­lich ver­ein­barte Schrift­form­klau­seln ein glei­ches Schutz­ni­veau für die Par­teien bie­ten. For­ma­bre­den sind mit di­ver­sen Fall­stri­cken ver­bun­den, de­ren In­halt und Trag­weite aus­le­gungs­bedürf­tig sind. Die Rechts­folge kann zwi­schen Nich­tig­keit des Ver­tra­ges oder ei­ner al­lein be­weis­si­chern­den Wir­kung va­ri­ie­ren, die die Rechts­wirk­sam­keit un­berührt lässt. Stellt die Klau­sel - wie im Ge­wer­be­raum­miet­ver­trags­recht häufig üblich - eine All­ge­meine Ge­schäfts­be­din­gung dar, un­ter­liegt sie der stren­gen In­halts­kon­trolle gemäß §§ 305 ff. BGB. Über­dies ist oft­mals un­klar, ob eine For­ma­brede das Rechts­ge­schäft im Gan­zen, d. h. ein­schließlich sämt­li­cher Nach­trags­ver­ein­ba­run­gen, er­fas­sen soll. In­wie­weit sog. „dop­pelte Schrift­form­klau­seln“, wo­nach die Auf­he­bung des Schrift­form­zwangs ih­rer­seits der Schrift­form be­darf, wirk­sam ver­ein­bart wer­den können, ist je nach kon­kre­tem Ein­zel­fall eben­falls un­klar. Kann der Form­zwang form­frei auf­ge­ho­ben wer­den, ist we­nig ge­won­nen.
  2. Er­wer­ber würden je­den­falls bei größeren Trans­ak­tio­nen eine An­kaufsprüfung (Due Di­li­gence Prüfung) durchführen und sich hier­durch hin­rei­chend in­for­mie­ren können.

    U. E. er­scheint ein der­ar­ti­ger Schutz des Er­wer­bers un­zu­rei­chend. Durch die An­kaufsprüfung kann das Ri­siko ei­ner Schrift­form­ver­let­zung ge­rade nicht vollständig er­mit­telt wer­den; münd­li­che Ab­re­den oder per E-Mail, Whats­App oder über so­ziale Netz­werke ge­trof­fene Ab­spra­chen las­sen sich nicht er­mit­teln.
  3. Durch die Auf­nahme von Ga­ran­tien und Gewähr­leis­tun­gen im Rah­men des zu be­ur­kun­den­den Grundstücks­kauf­ver­tra­ges solle der Er­wer­ber hin­rei­chend ge­si­chert sein, da er sich zu­dem mit even­tu­el­len Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen ge­genüber dem Veräußerer schad­los hal­ten könne.

    Auch dies er­scheint un­zu­rei­chend. Ga­ran­tien und Gewähr­leis­tun­gen bie­ten kei­nen Primärrechts­schutz, die Gel­tend­ma­chung von Scha­dens­er­satz­an­sprüchen ist mit ho­hen Hürden (Dar­le­gungs- und Be­weis­las­ten) ver­bun­den. Ga­ran­tie- und Gewähr­leis­tungs­zeiträume sind re­gelmäßig kurz und de­cken nicht die ge­samte Lauf­zeit ei­nes Miet­ver­tra­ges adäquat ab. Zu­dem trägt der Er­wer­ber das Ri­siko der In­sol­venz des Ga­ran­tie­ge­bers.
  4. Schließlich wird in der Begründung des BEG-IV-E aus­geführt, dass in vie­len Rechts­ge­bie­ten Verträge form­frei möglich, eine schrift­li­che Ab­fas­sung bei größeren Ver­trags­wer­ken den­noch marktüblich sei.

    Auch die­ses Ar­gu­ment über­zeugt nicht, ver­bleibt es bei der Frei­wil­lig­keit. Zu­dem ist die Aus­gangs­lage im Miet­ver­trags­recht an­ders: An­ge­sichts des Ver­trags­ein­tritts von Er­wer­bern kraft Ge­set­zes ist die­ser eben schutz­bedürf­ti­ger.

Fazit

Die er­satz­lose Ab­schaf­fung des Schrift­for­mer­for­der­nis­ses bei Ge­wer­be­raum­miet­verträgen ist nicht sach­ge­recht. Es be­darf ei­ner dif­fe­ren­zie­ren­den Lösung. Einen An­satz könnte der von dem Bun­des­rat am 20.12.2019 veröff­ent­lichte Ge­set­zes­ent­wurf dar­stel­len, wo­nach das aus einem Schrift­form­ver­stoß er­wach­sene Kündi­gungs­recht al­lein dem neu in das Miet­verhält­nis ein­tre­ten­den Er­wer­ber zu­ge­spro­chen wer­den sollte. Zum Schutz des Mie­ters sollte die­ses Kündi­gungs­recht des Er­wer­bers je­doch be­fris­tet wer­den. Der Mie­ter könne sei­ner­seits eine Kündi­gung durch einen Wi­der­spruch und die Erklärung ab­wen­den, sich mit der Fort­set­zung des Miet­verhält­nis­ses zu den un­ter Wah­rung der er­for­der­li­chen Schrift­form ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen, be­reit zu erklären.

Lang­fris­tig könn­ten zu­dem di­gi­tale Ver­trags­ab­schlüsse die Pra­xis prägen und ih­ren Bei­trag zur Förde­rung von Di­gi­ta­li­sie­rung und Nach­hal­tig­keit leis­ten. Die Fort­ent­wick­lung der qua­li­fi­zier­ten elek­tro­ni­schen Si­gna­tu­ren könn­ten eine Schrift­lich­keit des Rechts­ge­schäfts - gleichgültig, ob auf ge­setz­li­cher oder ver­trag­li­cher Grund­lage - si­cher­stel­len und den­noch einen ef­fi­zi­en­ten Ver­trags­ab­schluss gewähr­leis­ten. Dies ermögli­chen heute schon §§ 126 Abs. 3, 126a BGB, doch ist der Ver­wal­tungs­auf­wand - oder die Angst vor Schrift­form­verstößen - bis­her für die Rechts­pra­xis of­fen­bar noch zu groß. Mit fort­schrei­ten­den tech­no­lo­gi­schen Ver­ein­fa­chun­gen oder ver­mehr­ten An­ge­bo­ten von Dienst­leis­tern, die da­ten­schutz­kon­forme und si­chere Un­ter­zeich­nun­gen von Verträgen gewähr­leis­ten, könnte dies die di­gi­tale Zu­kunft der ge­wer­be­recht­li­chen Ver­trags­pra­xis wer­den.

Au­to­ren: Den­nis De­temple, Jo­hanna Hof­mann

nach oben