Dank des Einsatzes von IT und dem umfassenden Aufbau von Spezialwissen bei den Prüfern werden Verrechnungspreise jedoch zunehmend verschärft ins Visier genommen. Dabei sind ab 2022 neue gesetzliche Vorgaben und bereits heute neue Verlautbarungen der Finanzverwaltung zu berücksichtigen, aus denen sich einige in der Praxis zu beachtende Änderungen ergeben.
Vorgaben des Gesetzgebers und der Finanzverwaltung
Ab 2022 gelten neue gesetzliche Vorgaben. Klarstellend wird vorgegeben, dass sich die Bestimmung der dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Verrechnungspreise an den tatsächlichen Verhältnissen orientieren müssen. Konkrete vom Gesetzgeber anerkannte Verrechnungspreismethoden werden dabei nicht mehr wie noch im § 1 Abs. 3 AStG a.F. vorgesehen. Die Nachrangigkeit der Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargen- und Gewinnaufteilungsmethode) wurde abgeschafft. Erstmals akzeptiert der Gesetzgeber, dass es eine Bandbreite an zulässigen Verrechnungspreisen gibt, die allerdings in bestimmten Fällen einzuengen ist. Die Regelungen zur Funktionsverlagerung werden grundsätzlich beibehalten, der Begriff des Transferpakets nun aber gesetzlich definiert und die Ausnahmeregelungen von der Transferpaketbewertung ausgedünnt. Die Regelungen zur Preisanpassungsklausel wurden in einen separaten § 1a AStG überführt.
Die Finanzverwaltung legte bereits im Dezember 2020 die „Verwaltungsgrundsätze 2020“ (BMF-Schreiben vom 03.12.2020, BStBl. I 2020, S. 1325) vor, mit denen die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen dargestellt werden. Eingegangen wird insb. auf die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen sowie die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschläge. Das BMF veröffentlichte zudem im Juli 2021 die „Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise“ (BMF-Schreiben vom 14.07.2021, Az. IV B 5 - S 1341/19/10017 :001; nachfolgend „VWG VP“). Darin werden die Grundsätze der Einkunftsabgrenzung neu gefasst und dabei zahlreiche bisherige finanzverwaltungsseitige Vorgaben aufgehoben, allen voran die Verwaltungsgrundsätze 1983, die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren aus 2005 und das Schreiben betr. Namensnutzung im Konzern aus 2017. Weiterhin sind u. a. die Ausführungen des BMF zur Funktionsverlagerung (BMF-Schreiben vom 13.10.2020, BStBl. I 2020, S. 774) und zur Arbeitnehmerentsendung (BMF-Schreiben vom 09.11.2001, BStBl. I 2001, S. 796) zu beachten.
Änderungen in der Praxis der Verrechnungspreisermittlung
Beweisvorsorge sollte vertraglich sichergestellt werden
Die Verwaltungsgrundsätze 2020 befassen sich u. a. mit dem Thema der Beweisvorsorge. Nach Auffassung der Finanzverwaltung hat ein verbundenes Unternehmen sicherzustellen, dass es die für die Verrechnungspreisermittlung notwendigen Unterlagen vorlegen kann (bspw. Kostenberechnungen der dienstleistungserbringenden Auslandsgesellschaft). Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich fremde Dritte in vertraglichen Grundlagen ein entsprechendes Recht hätten einräumen lassen (vgl. Tz. 14 Verwaltungsgrundsätze 2020). Können entsprechende Unterlagen nicht vorgelegt werden und wurde keine Beweisvorsorge getroffen, geht die Finanzverwaltung von einem Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten aus, wodurch eine Schätzung ermöglicht wird. Um dem vorzubeugen, sollte beim Abschluss konzerninterner Verträge eine Klausel zur Beweisvorsorge aufgenommen werden, um zumindest das ernsthafte Bemühen gegenüber der Finanzverwaltung zu dokumentieren.
Überprüfung der Geschäftsvorfallbezogenheit der Funktions- und Risikoanalyse empfohlen
Der Gesetzgeber rückt in dem neugefassten § 1 Abs. 3 AStG die Funktions- und Risikoanalyse für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise in den Fokus, die geschäftsvorfallbezogen durchzuführen ist. In der Praxis wird die Funktions- und Risikoanalyse oftmals gesellschafts- und nicht geschäftsvorfallbezogen durchgeführt, um insb. Redundanzen bei der Verrechnungspreisdokumentation zu vermeiden. Mit Blick auf die gesetzliche Anpassung und entsprechende Vorgaben in den VWG VP sollten bestehende Funktions- und Risikoanalysen mit Blick auf die Geschäftsvorfallbezogenheit überprüft werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass nach wie vor für Zwecke der Dokumentation der Verrechnungspreise Geschäftsvorfälle zusammengefasst werden können, wenn diese gemessen an Funktionen und Risiken wirtschaftlich vergleichbar sind und dies vorab nachvollziehbar festgelegt wird oder unter fremden Dritten üblich wäre (vgl. § 2 Abs. 3 GAufzV). Sofern diese Vereinfachungsregel anwendbar ist, sollte ein entsprechender Verweis in die Verrechnungspreisdokumentation aufgenommen werden.
Anpassung der Risikoanalyse kann Auswirkungen auf die Risikozuordnung haben
In den VWG VP wird vielfach an die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien angeknüpft, so auch im Bereich der Risikoanalyse. Bislang wurde die Risikoanalyse im Wesentlichen tätigkeitsbezogen vorgenommen. Hat eine Gesellschaft bspw. die Fakturierung übernommen, wurde meist davon ausgegangen, dass dieser Gesellschaft insoweit auch das entsprechende Forderungsausfallrisiko zuzuordnen ist. Im Rahmen der VWG VP wurde nun der von der OECD entwickelte Risikokontrollansatz übernommen (vgl. Tz. 3.5 VWG VP). Demnach ist einer Gesellschaft nur dann ein entsprechendes Risiko zuzuordnen, wenn es (1) das Risiko kontrolliert und (2) auch die finanzielle Kapazität besitzt, ein sich materialisierendes Risiko zu tragen. Ob eine Gesellschaft ein Risiko kontrolliert, bemisst sich danach, ob bei ihr die Personalfunktionen zur Risikokontrolle durch entsprechend qualifizierte Mitarbeiter mit ausreichender Informationsbasis angesiedelt sind und die Entscheidung, Risiken einzugehen und zu managen, dort getroffen werden. Folglich ist in Bezug auf Risiken nun zu prüfen, welche Mitarbeiter die Entscheidungen mit Blick auf ein entsprechendes Risiko treffen und wo diese angestellt sind. Ferner sind Qualifikation und Informationsstand der Mitarbeiter zu analysieren. Im Ergebnis führt dies zu einem erheblichen Mehraufwand im Bereich der Risikoanalyse.
Die Finanzverwaltung geht auf das Auseinanderfallen von Risikokontrolle und finanzieller Ausstattung am Rande ein (vgl. Tz. 3.92 VWG VP). Sollte eine Gesellschaft nicht in der Lage sein, finanziell das Risiko zu tragen, steht der Gesellschaft, die im Zweifel finanziell das Risiko trägt, eine Vergütung in Höhe einer risikolosen Rendite zu (vgl. Tz. 3.92 VWG VP).
Verschärfung der Funktionsverlagerungsvorschriften
Fälle der Funktionsverlagerung sind seit jeher anfällig, erst im Rahmen von Betriebsprüfungen aufgedeckt zu werden. Dies gilt insb. deshalb, weil auch Verlagerungen im Zeitverlauf und damit für den Steuerpflichtigen nicht unmittelbar ersichtlich als steuerrelevante Funktionsverlagerungen qualifizieren. Nunmehr hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Funktionsverlagerung verschärft, indem nicht wie bisher Wirtschaftsgüter „und“ sonstige Vorteile verlagert werden müssen, sondern bereits bei einer Verlagerung von Wirtschaftsgütern „oder“ sonstigen Vorteilen von einer Funktionsverlagerung auszugehen ist. Bereits heute besteht mangels Definition eine Unsicherheit, wann „sonstige Vorteile“ vorliegen. Diese Frage dürfte künftig vermehrt zu Diskussionen führen, da ausschließlich eine Verlagerung von sonstigen Vorteilen eine Funktionsverlagerungsbesteuerung auslöst. Darüber hinaus wurden die Ausnahmeregelungen von der Transferpaketbetrachtung stark ausgedünnt. Eine Einzelbewertung kommt nur noch dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung sind. Vor diesem Hintergrund sollten in der Praxis jegliche Umstrukturierungsmaßnahmen genauestens mit Blick auf eine etwaige Funktionsverlagerung geprüft werden.
Neuerungen im Bereich der Lizenzierung
Werden im Konzern Marken o. ä. zur Nutzung überlassen, erfolgt in der Regel die Zahlung eines Lizenzentgelts als Gegenleistung. In Praxis wird zur Bestimmung eines fremdüblichen Lizenzentgelts oftmals auf sog. Lizenzstudien zurückgegriffen, wobei Lizenzgebührensätze von vergleichbaren Lizenzvereinbarungen zwischen fremden Dritten abgeleitet werden. Es wird im Ergebnis regelmäßig die Preisvergleichsmethode angewandt. Die Finanzverwaltung vertritt in den VWG VP die Auffassung, dass bei der Überlassung von immateriellen Werten, insb. bei der Nutzungsüberlassung von Unternehmenskennzeichen und Marken, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass keine Vergleichswerte feststellbar sind und daher der hypothetische Fremdvergleich anzuwenden sei (vgl. Tz. 3.12 und 3.59 VWG VP). Unklar bleibt, wie in der Praxis der hypothetische Fremdvergleich angesichts der zu treffenden Annahmen und zu sammelnden Daten möglichst rechtssicher durchzuführen ist und welche Anforderungen künftig an die Akzeptanz von Datenbankstudien zur Bestimmung eines fremdüblichen Lizenzgebührensatzes gestellt werden.
Erfreulicherweise hat die Finanzverwaltung klargestellt, dass einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter nach Zahlung eines Lizenzentgelts ein angemessener Betriebsgewinn verbleiben muss, so dass die Lizenzgebühr insoweit gedeckelt werden kann (vgl. Tz. 3.51 VWG VP) bzw. die Vereinbarung gewinnabhängiger Lizenzgebühren zunehmend anerkannt werden sollte.
Neuerungen im Bereich der Finanzierung
Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen Darlehensverhältnisse nur noch dann anerkannt werden, wenn diese wirtschaftlich benötigt und die Verwendung des Fremdkapitals im Einklang mit dem Unternehmenszweck des Darlehensnehmers steht (vgl. Tz. 3.91 VWG VP). Anderenfalls droht eine Umqualifizierung des Fremdkapitals in Eigenkapital. In der Praxis sollte daher bereits in der Präambel auf Seiten des Darlehensvertrags die wirtschaftliche Notwendigkeit des Darlehensnehmers skizziert werden.
Auch bei der Finanzierung kommt der Risikoanalyse eine besondere Bedeutung zu. Sofern der Darlehensgeber das entsprechende Risiko aus der Darlehensvergabe nicht kontrollieren kann (s. o. zu Risikoanalyse), steht ihm nur ein Entgelt bis zur Höhe einer risikolosen Rendite zu. Etwaige eigene Betriebskosten in Zusammenhang mit der Darlehensvergabe sind anhand der Kostenaufschlagsmethode (ohne Berücksichtigung von Refinanzierungskosten) zu bepreisen (vgl. Tz. 3.92 VWG VP). Damit ist auch bei Finanzierungsbeziehungen eine detaillierte Risikoanalyse durchzuführen, um ggf. eine entsprechende Anpassung der Bepreisung vorzunehmen.
Mit Blick auf Cash-Pools hat die Finanzverwaltung klargestellt, dass der Cash-Pool-Führer regelmäßig eine Routinedienstleistung ausübt, die anhand der Kostenaufschlagsmethode zu bepreisen ist, wobei der Gewinnaufschlag zwischen 5-10 % rangieren soll (vgl. Tz. 3.98 VWG VP).
Sonstige Änderungen
Die Regelungen der OECD zu Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung wurden von der Finanzverwaltung übernommen, so dass in diesen Fällen eine Vergütung anhand der Kostenaufschlagsmethode zzgl. eines 5 %-igen Gewinnaufschlags als fremdüblich erachtet werden kann (vgl. Tz. 3.74 VWG VP). Dies schafft eine zusätzliche Rechtssicherheit im Bereich der konzerninternen Erbringung von Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung.
Bei Konzernumlagen hat die Finanzverwaltung zusätzliche Voraussetzungen an die Abrechnung gestellt. Für die steuerliche Anerkennung von Konzernumlagen solle eine Abrechnung auf Ist-Kostenbasis erfolgen. Indes soll es unbeachtlich sein, wenn Vorauszahlungen anhand von Plankosten vorgenommen werden und eine Jahresendabrechnung auf Ist-Kosten erfolgt (vgl. Tz. 3.79 VWG VP). In der Praxis sollten bestehende Konzernumlageverträge entsprechend überprüft und ggf. angepasst werden.
Vor dem Hintergrund, dass die Regelungen der VWG VP auf alle offenen Fälle anzuwenden sind, empfiehlt es sich, zeitnah das bestehende Verrechnungspreissystem im Hinblick auf die skizzierten Änderungen zu überprüfen.
Niklas Färber, Sven Stuckmann, Christian Zimmermann