Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. Ltd. (Schuldnerin). Das Verfahren wurde am 27.11.2007 vom AG Erfurt eröffnet. Die Schuldnerin ist als private company limited by shares (Limited) in dem für England und Wales zuständigen Handelsregister in Cardiff eingetragen. Eine deutsche Zweigniederlassung ist in dem zunächst vom AG Erfurt, jetzt vom AG Jena geführten Handelsregister eingetragen.
LG und OLG gaben der Klage statt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Auslegung der Art. 49, 54 AEUV und des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) in Bezug auf § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG in der Fassung vor Inkrafttreten des MoMiG (inhaltsgleich mit der Neufassung) zur Vorabentscheidung vor:
- Betrifft eine Klage vor einem deutschen Gericht, mit der ein Direktor einer Limited, über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet hat, das deutsche Insolvenzrecht i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO?
- Verstößt eine Klage der vorstehenden Art gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV?
Der EuGH hat hierzu festgestellt:
- Art. 4 EuInsVO ist dahin auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich eine Klage vor einem deutschen Gericht fällt, mit der der Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft auf der Grundlage einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die der Direktor vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit festgesetzt wurde, geleistet hat.
- Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen der Anwendung einer nationalen Vorschrift wie § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. auf den Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, nicht entgegen.
Die Revision der Beklagten blieb daraufhin vor dem BGH ohne Erfolg.
Die Gründe:
Nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. sind die Geschäftsführer einer GmbH der Gesellschaft oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind. Zu Recht hat das OLG diese Vorschrift auf die Beklagte als die Direktorin einer Limited angewandt.
Die Vorschrift soll Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens verhindern und für den Fall, dass der Geschäftsführer seiner Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherstellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht. Damit wird von § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Die verbotswidrigen Zahlungen dienen in der Regel der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt.
Die Haftung nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. setzt im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Es ist dann Sache des Insolvenzverwalters, den Anspruch geltend zu machen. Dieser Gesetzeszweck trifft auf beide Gesellschaftsformen zu. Sowohl in der GmbH als auch in der Limited haften die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden. In beiden Gesellschaftsformen werden die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt. Bei beiden Gesellschaftsformen besteht die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zu Lasten der späteren Insolvenzgläubiger leistet und damit die Insolvenzmasse verkürzt. Diese Umstände rechtfertigen es, den Geschäftsführer deutschen Rechts und den Direktor englischen oder walisischen Rechts in Bezug auf die Haftung bei derartigen Zahlungen gleichzubehandeln.
Diese Rechtsanwendung steht nicht in Widerspruch zum Unionsrecht. Der EuGH hat vielmehr festgestellt, dass § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. auch auf Direktoren einer Limited anwendbar sei, über deren Vermögen im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die übrigen Voraussetzungen einer Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. sind erfüllt.
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