Der Sachverhalt:
Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Er hatte im Oktober 2017 seinen Pkw mit amtlichen türkischen Kennzeichen aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland überführt, ohne bei einer Einfuhrzollstelle vorstellig zu werden. Die Einfuhr des Pkw wurde im Rahmen einer Polizeikontrolle im Februar 2018 in Deutschland festgestellt. Im März 2018 überführte er den Pkw wieder in die Türkei und verkaufte ihn dort.
Das Hauptzollamt (HZA) setzte 1.589 € Einfuhrzoll und 3.321 € Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger fest. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Pkw vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU eingeführt. Der Kläger war hingegen der Auffassung, es liege keine abgabenpflichtige Einfuhr vor, weil er den Pkw für einen kurzen Zeitraum ausschließlich als Transportmittel für rein private Fahrten genutzt habe. Er habe den Pkw konkludent in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung überführt.
Das HZA blieb bei der Ansicht, die Einfuhrzollschuld sei gem. Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK, ABl. L 269, 1) entstanden und es sei gem. Artikel 87 Absatz 4 UZK für die Festsetzung der Einfuhrabgaben zuständig gewesen. Gem. § 21 Absatz 2 UStG in der Fassung vom 21.2.2005 seien diese Vorschriften entsprechend auf die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer (Mehrwertsteuer) anzuwenden.
Das FG hat das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem EuGH mit der Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Artikel 71 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift des Artikel 87 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union auf die Entstehung der Mehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) entsprechend anzuwenden ist?
Die Gründe:
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob aufgrund der in § 21 Absatz 2 UStG vorgesehenen entsprechenden Anwendung der Zollvorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer auch die Mehrwertsteuer für die Einfuhr gem. Artikel 87 Absatz 4 UZK als in Deutschland entstanden galt, obwohl die Einfuhr in das Zollgebiet der Union in Bulgarien erfolgte. Könnte Artikel 87 Absatz 4 UZK demgegenüber nicht entsprechend auf die Mehrwertsteuer angewandt werden, wäre die deutsche Zollverwaltung für die Festsetzung der Mehrwertsteuer nicht zuständig. Der Klage wäre insoweit hinsichtlich der Mehrwertsteuer stattzugeben.
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ergibt sich aus Artikel 71 Absatz 1 Unterabsatz 2 MwStSystRL bei der Einfuhr eine enge Verknüpfung des Rechts der Umsatzsteuer mit dem Zollrecht, die durch § 21 Absatz 2 UStG in das nationale Recht umgesetzt worden ist. Der BFH folgert daraus, dass die Artikel 87 Absatz 4 UZK entsprechende Vorschrift des Artikel 215 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, 1) sinngemäß bei der Bestimmung der Zuständigkeit für die Erhebung der Mehrwertsteuer zur Anwendung komme. Damit solle sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde einfach und zweckmäßig erhoben werden könnten (BFH-Urt. v. 6.5.2008, VII R 30/07).
Der Senat hat Zweifel an dieser Auslegung der MwStSystRL, weil die Zuständigkeiten für die Erhebung der Zölle, der Verbrauchsteuer und der Mehrwertsteuer getrennt betrachtet werden müssen (EuGH-Urt. v. 29.4.2010, C-230/08, Dansk Transport og Logistik). Nach Auffassung des Senats spricht gegen eine entsprechende Anwendung des Artikel 87 Absatz 4 UZK auf die Mehrwertsteuer, dass Artikel 70 und 71 MwStSystRL nur den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer bei der Einfuhr und nicht auch den Ort der Einfuhr (Artikel 60 und 61 MwStSystRL) regeln und aus § 21 Absatz 2 UStG als einzelstaatlicher Vorschrift keine von dem Unionsrecht abweichende Bestimmung über den Ort der Einfuhr bzw. über die Zuständigkeit der Behörden für die Festsetzung der Mehrwertsteuer hergeleitet werden darf.
Ist Artikel 71 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass die Vorschrift des Artikel 87 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union auf die Entstehung der Mehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) entsprechend anzuwenden ist?