Der Sachverhalt:
Das Land B brachte 2001 u.a. ein Krankenhaus einschließlich des Grundstücks als Sacheinlage in die Klägerin - eine GmbH - ein. In der Folge entstand ein Vorprozess um die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer. Problematisch war dabei, dass der Gutachterausschuss den Bodenrichtwert nicht (rechtzeitig) ermittelte.
Während das FG davon ausging, den Bodenrichtwert schätzen zu können, reduzierte der BFH in der Revisionsinstanz die Grunderwerbsteuer um ca. 23 Mio DM, da er nur den reinen Gebäudewert berücksichtigte. Der Wert des Grund und Bodens blieb unberücksichtigt. Der Gutachterausschuss sei seiner Verpflichtung nach § 196 BauGB nicht nachgekommen, für das Grundstück einen Bodenrichtwert zu ermitteln und habe eine Ermittlung trotz mehrfacher Anfrage abgelehnt. In einem solchen Fall könne die Finanzverwaltung nach § 145 Abs. 3 BewG a.F. keine eigenen Bodenrichtwerte aus den Werten vergleichbarer Flächen herleiten. Daher sei für den Grund und Boden mangels eines festgestellten Bodenrichtwerts kein Wert anzusetzen (BFH v. 25.8.2010 - II R 42/09).
Nach Eintritt der Rechtskraft des BFH-Urteils ermittelte der Gutachterausschuss schließlich den Bodenrichtwert für das Grundstück, was den aktuellen Rechtsstreit zur Folge hatte, da das Finanzamt in der Folge darauf bezogen eine stark erhöhte Grunderwerbsteuer einforderte. Hiergegen ging die Klägerin erneut vor mit der Begründung, dem erhöhten Grunderwerbsteuerbescheid stehe die Rechtskraft des BFH-Urteils aus dem Vorprozess entgegen.
Das FG wies die Klage ab, da die inzwischen erfolgte Ermittlung des Bodenrichtwerts durch den Gutachterausschuss als rückwirkendes Ereignis nach § 175 AO insoweit maßgeblich sei. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des FG steht die Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils einer Änderung des Feststellungsbescheids über die Grunderwerbsteuer entgegen.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde. Die gegen eine Finanzbehörde ergangenen Urteile wirken auch ggü. der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört (§ 110 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Änderung eines Feststellungsbescheids nach den Vorschriften der AO ist gem. § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO ausgeschlossen, soweit zu dem steuerlichen Sachverhalt, dessen steuerliche Folgen durch den Änderungsbescheid gezogen werden sollen, bereits ein rechtskräftiges Urteil mit Bindungswirkung für die Beteiligten besteht. Nach der Regelung des § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO über die Änderung von Verwaltungsakten - wie z.B. § 175 AO - unberührt, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. § 110 Abs. 2 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH i.S. eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften der AO auszulegen.
Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streitgegenstand in § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO i.S.v. "Entscheidungsgegenstand" zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, über die das Gericht entschieden hat. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche bzw. die Urteilselemente rechtskraftfähig wären. Es kommt somit allein darauf an, worüber das Gericht entschieden hat.
Im Streitfall stand einer Änderung des betreffenden Feststellungsbescheids die Rechtskraft des zuvor ergangenen BFH-Urteils entgegen. Der BFH hatte entschieden, dass die Klage begründet und der festgestellte Grundstückswert auf 61 Mio. DM (31 Mio. €) herabzusetzen war. Da für das zu bewertende Grundstück kein vom Gutachterausschuss ermittelter Bodenrichtwert vorgelegen habe, habe bei der Feststellung des Grundstückswerts nur der Gebäudewert, nicht aber ein Bodenwert Berücksichtigung finden dürfen. In den Gründen seiner Entscheidung stellte der BFH ausdrücklich darauf ab, der Gutachterausschuss sei seiner Verpflichtung nach § 196 BauGB nicht nachgekommen, für das Grundstück einen Bodenrichtwert auf den 1.1.1996 zu ermitteln und der Finanzverwaltung mitzuteilen. Vielmehr habe er eine Ermittlung trotz Anfrage des Finanzamt sabgelehnt und die Ablehnung damit begründet, er sei zu einer solchen Ermittlung weder verpflichtet noch in der Lage. Das Grundstück eigne sich nicht für die Ermittlung eines Bodenrichtwerts.
Nach der Entscheidung des BFH kann in einem solchen Fall die Finanzverwaltung nach § 145 Abs. 3 BewG keine eigenen Bodenrichtwerte aus den Werten vergleichbarer Flächen herleiten. Ein Bodenwert war folglich bei der Bewertung des Grundstücks nicht anzusetzen. Bezüglich dieser Feststellung entfaltet das BFH-Urteil Bindungswirkung. Dem Ausschluss der Änderungsmöglichkeit des Feststellungsbescheids aufgrund der Bindungswirkung des BFH-Urteils steht auch nicht die Rechtsprechung des BVerwG entgegen, die unter gewissen Voraussetzungen ein Ende der Rechtskraftwirkung von Urteilen annimmt, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich verändert.
Auch aus § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift ist die Finanzbehörde an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Die Vorschrift regelt neben § 110 FGO die Wirkung der nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO erfolgten Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts durch das Gericht. Soweit die Vorschrift dasjenige, was neu bekannt wird, von der Bindungswirkung ausnimmt, gilt das indes nicht für solche Tatsachen oder Beweismittel, die den Entscheidungsgegenstand eines rechtskräftigen Urteils betreffen.
§ 110 Abs. 2 FGO ist dahingehend auszulegen, dass die Rechtskraft eines Urteils Vorrang ggü. den Änderungsvorschriften der AO hat. Eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils aufgrund geänderter Sachlage ist nur in engen Grenzen möglich. Sie ist insbes. dann ausgeschlossen, wenn das Gericht im Urteil Bodenrichtwerte nicht berücksichtigen konnte, weil sie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung trotz mehrmaliger Aufforderungen an den Gutachterausschuss nicht ermittelt wurden, eine solche Ermittlung aber nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung erfolgte, ohne dass für die verzögerte Bearbeitung ein sachlicher Grund erkennbar wurde.