Im Rahmen des BEPS-Projekts wurden im Oktober 2015 auf OECD-Ebene Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken beschlossen, die von den teilnehmenden Staaten in deren nationales Gesetz umzusetzen sind. Zudem wurde auf EU-Ebene die Richtlinie (EU) 2016/1164 vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (Amtsblatt der EU vom 19.7.2016, L 193/1) gefasst, die kurz nach der englischen Bezeichnung „Anti Tax Avoidance Directive“ ATAD I bezeichnet wird. Darin enthalten sind Vorgaben zur Zinsschranke, Entstrickung im Rahmen der Wegzugsbesteuerung, allgemeinen Missbrauchsverhinderung, Hinzurechnungsbesteuerung und zu hybriden Gestaltungen, die frühestens bis 31.12.2018 in nationales Recht umzusetzen sind (zum etwaigen Anpassungsbedarf der in Deutschland geltenden steuerrechtlichen Regelungen s. im Detail novus Dezember 2016, S. 15).
Zum letztgenannten Regelungskomplex, den hybriden Gestaltungen, wurde nun eine weitere Richtlinie von der EU-Kommission erarbeitet und zwischenzeitlich verabschiedet. Mit der Richtlinie (EU) 2017/952 vom 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern (Amtsblatt der EU vom 7.6.2017, L 144/1), kurz auch als ATAD II bezeichnet, werden weitere Einschränkungen bei der steuerlichen Anerkennung von hybriden Gestaltungen geregelt, die regelmäßig bis 31.12.2019 von den EU-Mitgliedstaaten umzusetzen sind.
Betroffen von ATAD II sind neben den der Körperschaftsteuer unterliegenden Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten auch EU-Betriebsstätten von Unternehmen, die steuerlich in einem Staat außerhalb der EU (Drittstaat) ansässig sind.
Hinweis
Auch sog. umgekehrte hybride Gestaltungen fallen in den Anwendungsbereich von ATAD II. Demnach wird ein steuerlich transparentes Unternehmen dennoch als steuerlich ansässig betrachtet, soweit seine Einkünfte nicht in einem anderen Staat besteuert werden. Bei umgekehrt hybriden Gestaltungen ist eine verlängerte Umsetzungsfrist bis 31.12.2021 vorgesehen.
Inhaltlich lassen sich drei Grundfälle unterscheiden:
- Hybride Gestaltungen
- Umgekehrte hybride Gestaltungen und
- Inkongruenzen bei der steuerlichen Ansässigkeit von Gesellschaften.
Bei den hybriden Gestaltungen geht es darum einen doppelten Betriebsausgabenabzug und einen steuerlichen Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung zu versagen. Erreicht wird dies dadurch, dass ein Mitgliedstaat den Betriebsausgabenabzug versagen muss. Ebenso werden Fälle erfasst, in denen die Zahlung nicht unmittelbar Gegenstand einer hybriden Gestaltung ist, sondern nur in abzugsfähige Aufwendungen fließt, die ihrerseits Gegenstand einer hybriden Gestaltung sind (sog. importierte Inkongruenz).
Eine umgekehrte hybride Gestaltung liegt vor, wenn mehrheitlich an einem hybriden Unternehmen eines Mitgliedstaats beteiligte Unternehmen in einem Steuergebiet ansässig sind, das das hybride Unternehmen – entgegen der Einordnung im Mitgliedstaat – als Steuerpflichtigen betrachtet. In diesem Fall sollen die Einkünfte des hybriden Unternehmens im Mitgliedstaat besteuert werden, wenn dies im anderen Steuergebiet nicht passiert.
Schließlich soll auch der Ausnutzung von Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit entgegen gewirkt werden (Vermeidung von „tax residency mismatches“). Eine Doppelansässigkeit soll hierzu insoweit nicht anerkannt werden, als sie zu einem doppelten Betriebsausgabenabzug führen würde.
Hinweis
Zu dem Themenkomplex hat der Gesetzgeber bereits vor ATAD II § 4i EStG eingeführt (s. dazu novus November 2016, S. 4). Es ist erwarten, dass sich der der Gesetzgeber nach der Bundestagswahl intensiv mit dem weiteren Anpassungsbedarf der nationalen Steuergesetze an die Vorgaben der EU befassen wird. Sollten derartige Strukturen in der Vergangenheit, insbesondere im Finanzierungsbereich, aufgesetzt worden sein, empfiehlt sich bereits jetzt eine Analyse vorzunehmen und etwaige Anpassungen zu planen.