Hintergrund der Entscheidung ist die Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG, wonach Verluste aus Termingeschäften im betrieblichen Bereich nicht mit anderen Einkünften verrechnet werden dürfen. Sie dürfen lediglich im Rahmen des Verlustrücktrags bzw. -vortrags mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden. Für diese Verlustverrechnungsbeschränkung existieren sektorale und funktionale Ausnahmen.
Allerdings wird der Begriff des Termingeschäfts durch die Vorschrift nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Begriff im Grundsatz nach den wertpapier- bzw. bankenrechtlichen Maßgaben zu bestimmen. Dies bedeutet, dass das Termingeschäft insbesondere vom Kassageschäft abzugrenzen ist: Bei einem Kassageschäft erfolgt der Leistungsaustausch entweder unmittelbar oder innerhalb der üblichen Frist (z. B. bei Wertpapieren zwei Bankarbeitstagen), d. h. Zug um Zug. Oder anders formuliert: Dem Verpflichtungsgeschäft folgt unmittelbar das Erfüllungsgeschäft. Bei einem Termingeschäft hingegen handelt es sich um ein als Kauf oder Tausch ausgestaltetes Festgeschäft oder Optionsgeschäft, das erst mit einer zeitlichen Verzögerung zu erfüllen ist und dessen Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis eines Basiswerts ableitet (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 WpHG). Diese Abgrenzung ist gemäß dem BFH auch für die steuerrechtliche Einordnung maßgeblich.
Bei Indexzertifikaten hat der BFH bereits geklärt, dass sie als Kassageschäfte nicht zu den Termingeschäften i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG gehören (BFH, Urteil vom 4.12.2014, Az. IV R 53/11). Denn die Schuldverschreibung, in welcher das Indexzertifikat rechtlich ausgestaltet ist, wird Zug um Zug erworben. Dem Verpflichtungsgeschäft folgt mit der Lieferung der Schuldverschreibung unmittelbar das Erfüllungsgeschäft.
Nun hat der BFH entschieden, dass Knock-Out-Zertifikate ebenfalls nicht zu Termingeschäften i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG gehören (BFH, Urteil vom 8.12.2021, Az. I R 24/19). Dies begründet der BFH mit Blick auf die Gesetzeshistorie. Denn § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG wurde zusammen mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG eingeführt, nach der auch Zertifikate, die Aktien vertreten, als Termingeschäfte gelten, so dass diese von der damals im Privatvermögen geltenden Verrechnungsbeschränkung der Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften erfasst werden. Um die Verlagerung dieser privaten Verluste in den betrieblichen Bereich zu unterbinden, wurde in § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG die gleiche Verlustverrechnungsbeschränkung formuliert. Allerdings wurden im betrieblichen Bereich Zertifikate nicht als Termingeschäfte fingiert bzw. mit diesen gleichgestellt. Durch die Fiktion im Privatvermögen ist der Gesetzgeber nach Ansicht des BFH somit erkennbar selbst davon ausgegangen, dass Zertifikate keine Termingeschäfte i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG sind.
Außerdem spielt das Ausmaß der spezifischen Gefährlichkeit eines Geschäfts keine Rolle für die Frage, ob steuerrechtlich ein Termingeschäft vorliegt. In o. g. Urteil hat der BFH noch darauf hingewiesen, dass bei Indexzertifikaten „der Anleger nicht dazu verleitet wird, ohne oder mit verhältnismäßig geringem Einsatz eigenen Vermögens und ohne Aufnahme eines förmlichen Kredits auf Gewinn zu spekulieren, denn sein Verlustrisiko ist nach der Auffassung des BGH auf den Kaufpreis für die Schuldverschreibung begrenzt, den er sofort bei Vertragsschluss in voller Höhe bezahlen muss. Der Erwerb von Indexzertifikaten hat danach auch nicht die für Termingeschäfte spezifische Hebelwirkung und begründet zudem nicht die Gefahr des Totalverlusts in dem für Termingeschäfte typischen Maße.“ Nach der nun präzisierten Rechtsprechung ist der Risikogehalt des Geschäfts für die vorliegende Frage irrelevant. Daher ist es nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei dem Zertifikat um ein Hebelprodukt handelt oder nicht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn aufgrund der konkreten Vertragsbedingungen ein sog. Scheinkassageschäft bzw. "wirtschaftliches Termingeschäft" vorliegt, weil u. a. eine Nachschusspflicht und damit ein unbegrenztes Verlustrisiko besteht.
Bei Knock-out-Zertifikaten handelt es sich damit im Ergebnis um gewöhnliche Schuldverschreibungen, bei denen der Erfüllungszeitpunkt gerade nicht hinausgeschoben wird.