Der Sachverhalt:
Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG) können die Mitgliedstaaten auf gedruckte Publikationen wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden; es sei denn, diese Druckerzeugnisse dienen vollständig oder im Wesentlichen Werbezwecken.
Das vom polnischen Bürgerbeauftragten angerufene polnische Verfassungsgericht zweifelt an der Gültigkeit dieser unterschiedlichen Besteuerung. Es möchte vom EuGH zum einen wissen, ob diese Besteuerung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, und zum anderen, ob das EU-Parlament am Gesetzgebungsverfahren hinreichend beteiligt wurde.
Die Gründe:
Durch die Regelung in der Mehrwertsteuerrichtlinie werden zwei Sachverhalte ungleich behandelt, die in Anbetracht des vom Unionsgesetzgeber mit der Gestattung der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei bestimmten Arten von Büchern verfolgten Zwecks, und zwar dem der Förderung des Lesens, vergleichbar sind. Zu überprüfen war daher, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu einer solchen unterschiedlichen Behandlung führt, verfolgt wird, und wenn die unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht.
Der Ausschluss der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg ist die Konsequenz der für den elektronischen Handel geltenden Mehrwertsteuer-Sonderregelung. In Anbetracht der fortwährenden Weiterentwicklungen, denen elektronische Dienstleistungen als Ganzes unterworfen sind, wurde es als erforderlich angesehen, für diese Dienstleistungen klare, einfache und einheitliche Regeln aufzustellen, damit der für sie geltende Mehrwertsteuersatz zweifelsfrei ermittelt werden kann und so die Handhabung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen und die nationalen Finanzverwaltungen erleichtert wird. Durch den Ausschluss der elektronischen Dienstleistungen von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erspart es der Unionsgesetzgeber den Steuerpflichtigen und den nationalen Finanzverwaltungen, bei jeder Art solcher Dienstleistungen zu prüfen, ob sie unter eine der Kategorien von Dienstleistungen fällt, die nach der Mehrwertsteuerrichtlinie in den Genuss eines ermäßigten Satzes kommen können.
Eine solche Maßnahme muss deshalb als zur Verwirklichung des mit der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für den elektronischen Handel verfolgten Ziels geeignet angesehen werden. Würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wie es bei der Lieferung solcher Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, würde überdies die Kohärenz der gesamten vom Unionsgesetzgeber angestrebten Maßnahme beeinträchtigt, die darin besteht, alle elektronischen Dienstleistungen von der Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auszunehmen.
Die Pflicht, das EU-Parlament im Gesetzgebungsverfahren anzuhören, impliziert, das Parlament immer dann erneut anzuhören, wenn der letztlich verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem es bereits angehört wurde, es sei denn, die Änderungen entsprechen im Wesentlichen einem vom Parlament selbst geäußerten Wunsch. Im Hinblick auf die Bestimmung der Richtlinie, mit der die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von Büchern auf physischen Trägern beschränkt wird, war eine erneute Anhörung des Parlaments nicht erforderlich. In der Endfassung der betreffenden Bestimmung ist nur eine redaktionelle Vereinfachung des Textes des Richtlinienvorschlags zu sehen, dessen Wesen in vollem Umfang erhalten blieb. Der Rat war daher nicht verpflichtet, das Parlament erneut anzuhören. Die Richtlinienbestimmung ist folglich nicht ungültig.
Linkhinweis:
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