Darüber spricht Markus Mühlenbruch, Restrukturierungsexperte und Partner bei Ebner Stolz in Stuttgart, mit Prof. Dr. Willi Diez, langjähriger Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) Nürtingen/Geislingen und Geschäftsführer der ifa forum + management gmbh.
Die Automobilindustrie ist seit dem Dieselskandal und den Fahrverboten, die aufgrund erhöhter CO2-Werte verhängt werden, unter Druck. Und noch mehr Druck ist durch die Fridays for Future-Bewegung entstanden. Wie weit ist die deutsche Automobilindustrie bei Elektrifizierung und alternativen Antrieben?
Nicht zuletzt befeuert von der Fridays for Future-Bewegung ist die Absenkung der klimaschädlichen CO2-Emissionen die größte Herausforderung für die Automobilindustrie. Deshalb gewinnt die Elektrifizierung weiter an Bedeutung. Gerade in Ballungszentren werden rein batterieelektrische Fahrzeuge dominieren. Damit kann die lokale Schadstoffbelastung deutlich reduziert werden. Eine weitere technologische Option zur Reduzierung der CO2-Belastung ist die Brennstoffzelle. Sie könnte demnächst in LKW und Bussen verstärkt eingesetzt werden. Auch synthetische Kraftstoffe aus Biomasse, sog. E-Fuels, sind eine weitere Option. Diese wären mit der heutigen Motorentechnik kompatibel.
Kommen wir zurück zur E-Mobilität: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2020 1 Mio. Elektroautos in Deutschland zugelassen werden. Ist dieses Ziel realistisch?
Das ist völlig illusorisch, ganz besonders weil die hierfür erforderliche Infrastruktur nicht vorhanden ist. Die E-Mobilität ist ein ganzes System. Hier geht es nicht nur um die Fahrzeuge und die Ladestationen, dahinter steckt weitaus mehr. Hinter der neuen Technologie steckt ein anderes Wertschöpfungssystem: wir benötigen andere Rohstoffen und andere Lieferanten. Last but not least muss sich auch der Mensch dieser Veränderung anpassen. Es wird völlig veränderte Reisezeiten geben. Aufgrund der noch geringen Reichweite der E-Fahrzeuge ist eine detaillierte Reiseplanung erforderlich. In dem Maße wie der Bestand an Elektrofahrzeugen steigt, wird man seinen Termin an Ladesäulen buchen müssen und selbst bei einer Schnellladung mit einem Super Charger muss man eine Pause einkalkulieren. Außerdem geht es auch um Flexibilität. Wenn man mit einem halbleeren Tank schnell eine längere Fahrt machen muss, ist das mit einem Verbrennungsmotor kein Problem. Bei einem Elektroauto ist das anders. Wir dürfen bei dem Thema Elektroauto die Veränderungsbereitschaft und den Veränderungswillen der Menschen nicht überschätzen.
Wie sieht es denn für die Automobilindustrie mit den Absatzmärkten weltweit aus?
Die regionalen Wachstumsschwerpunkte haben sich verlagert. Wachstumschancen bestehen in den Emerging Markets wie Indien, den ASEAN-Staaten und Lateinamerika. Allerdings sind diese Märkte sehr volatil, wie wir das gerade am Beispiel von Indien sehen. Demgegenüber müssen die Hersteller in Westeuropa und Nordamerika überwiegend vom Ersatzbedarf leben.
Und der chinesische Markt?
Aktuell ist die Lage in China schwierig. Das gesamtwirtschaftliche Wachstumstempo hat sich verlangsamt, was sich auch auf den Automobilmarkt auswirkt. Hinzu kommt der Handelsstreit mit den USA, der für zusätzliche Unsicherheit sorgt. Und dann ist dort die E-Mobilität auf dem Vormarsch. In Peking und Shanghai werden beispielsweise Lizenzen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor versteigert; demgegenüber benötigt man für E-Autos keine extra Lizenz. Das Elektroauto ist für die Luftreinhaltungspolitik in China von herausragender Bedeutung. Deshalb wächst in China der Markt mit E-Autos überdurchschnittlich. Um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: trotz aktueller Schwäche wird China aber ein wichtiger Träger des weltweiten Wachstums der Automobilindustrie bleiben.
Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für Zulieferer?
Der Preisdruck auf die Zulieferer nimmt momentan wieder sehr stark zu. Hinzu kommt, dass die Hersteller ihre Lieferabrufe teilweise sehr kurzfristig reduzieren, was bei den Zulieferern natürlich für große Probleme sorgt. Planungssicherheit gibt es aktuell nicht einmal im kurzfristigen Bereich. Bereits jetzt werden Arbeitszeitkonten geleert, Leiharbeiter nicht weiterbeschäftigt und einige Betriebe müssen in die Kurzarbeit. Bei einem generellen Abwärtstrend müssen die Zulieferer ihre Kapazitäten anpassen.
Gelegentlich hört man auch von einer Rausverlagerung von Produktionsumfängen an Lieferanten. Ist das der allgemeine Trend, können Mittelständler darauf hoffen, diese frei werdenden Produktionsumfänge zu übernehmen?
Wir beobachten schon lange den Trend zur Reduktion der Fertigungstiefe bei den Automobilherstellern. In Zukunft werden sich die Hersteller noch stärker auf ihre Kernkompetenzen, also die Abstimmung des Gesamtfahrzeuges und das Design konzentrieren. Außerdem wird die Bedeutung digitaler Systeme im Fahrzeug für die Hersteller an Bedeutung gewinnen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ja, viele traditionelle Produktionsumfänge werden immer stärker nach Außen verlagert. Das betrifft auch Teile und Komponenten für den Verbrennungsmotor.
Was bedeuten alle diese Entwicklungen für die mittelständischen Automobilzulieferer?
Was die Reduktion der Fertigungstiefe anbelangt, ist das natürlich eine Chance für die Zulieferer. Allerdings wird der Preisdruck gerade bei solchen Teilen und Komponenten, die jetzt nach außen verlagert werden, besonders hoch sein. Außerdem müssen sich die Zulieferer natürlich auf die Zukunftstechnologien, also die Elektrifizierung des Antriebsstranges und die Digitalisierung einstellen.
Allerdings ist vielen Zulieferern bislang noch nicht ausreichend bewusst, wie stark die Veränderungen in den nächsten Jahren sein werden. Vielleicht spielt dabei auch eine Rolle, dass wir in den letzten Jahren eine sehr gute Autokonjunktur hatten, was allen geholfen hat. Jetzt fällt eine konjunkturelle Abschwächung mit einem Strukturbruch zusammen. Das ist eine explosive Mischung, die existenzgefährdend werden kann, wenn man sich darauf nicht rechtzeitig einstellt.
Wie stellen sich die Mittelständler in dieser wirtschaftlichen Situation am Besten auf?
Wichtig ist, dass die Unternehmen anfangen, strategisch zu denken und ihr bisheriges Geschäftsmodell überprüfen. Sie sollten ihre Stärken definieren und sich Gedanken dazu machen, wie sie Wertschöpfungspotenziale in anderen Anwendungen und Branchen finden oder in neue Technologien einsteigen können. Wichtig ist, dass die Unternehmen ihren Mindset verändern. Derzeit werden die Probleme vielfach unterschätzt und die Unternehmen merken gar nicht, dass sie geradewegs in eine Existenzkrise hineinschlittern.
Welche Handlungsempfehlungen können Sie den mittelständischen Zuliefererbetrieben geben, damit diese wettbewerbsfähig bleiben?
Die Zulieferer müssen ihr Technologie und Produktportfolio neu sortieren. Automobile verändern sich weg von einem Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor hin zu einem Computer auf Rädern mit einem veränderten Antriebsmix. Am besten ist es, in angrenzenden Technologiefeldern Potenzial zu identifizieren und eine Markteintrittsstrategie zu entwickeln.
Wie ich bereits ausgeführt habe, haben sich die Wertschöpfungspotenziale global verschoben. Da müssen die Mittelständler mitgehen und über die Möglichkeiten einer Globalisierung ihrer Produktionsaktivitäten nachdenken. Hier empfiehlt sich ein Vorgehen nach dem „Geleitzug-Prinzip“ oder ein Schulterschluss mit einem lokalen Partner vor Ort.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Digitalisierung. Sie stellt eine ganzheitliche Aufgabe dar und umfasst das Produkt, die Produktentwicklung sowie Produktion und Logistik und last but not least alle Unternehmensprozesse. Hier muss eigene Kompetenz aufgebaut werden. Langfristig werden nur solche Zulieferer eine Chance haben, die sich innerhalb einer digitalisierten Supply-Chain bewegen können.
Der technologische Wandel führt zu höheren unternehmerischen Risiken, denn es müssen von den Zulieferern hohe Vorleistungen in neue Technologien oder Globalisierungsprojekte erbracht werden. Hier ist ein aktives Risikomanagement großer Bedeutung. Das gilt auch für eine strategisch ausgerichtete Unternehmensfinanzierung.
Um den Automobilstandort Deutschland ist es also nicht allzu gut bestellt. Wie sollte die Politik hier unterstützen?
In der Tat spielen die Standortbedingungen in Deutschland für Unternehmen natürlich eine große Rolle. Diese haben sich in den letzten Jahren nicht verbessert. Auch in der Politik muss das Bewusstsein wachsen, dass nicht nur die großen Autokonzerne, sondern vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Automobilzulieferer das Rückgrat des Automobilstandorts Deutschland sind.
Erforderlich ist deshalb eine stärker mittelstandsorientierte Steuerpolitik sowie ein Bürokratieabbau und eine aktive Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Hinweis
Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie im unlängst erschienenen Strategiepapier „Wende oder Ende? Die Automobilindustrie muss sich neu aufstellen – Trends und Handlungsfelder“, das die Ebner Stolz Management Consultants in Kooperation mit Prof. Dr. Willi Diez zur Zukunft der Automobilindustrie veröffentlicht haben.