Die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden und sorgt weiterhin für Belastungen. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben sich die bereits durch die Corona-Pandemie entstandenen Lieferkettenstörungen bzw. Lieferkettenunterbrechungen verschärft und zu enorm steigenden Energiekosten geführt, die Unternehmen stark belasten. Hohe Inflationsraten, der in vielen Branchen herrschende Arbeitskräftemangel und die zu erwartende Rezession in Europa und Deutschland sind weitere Herausforderungen, mit denen Unternehmen derzeit konfrontiert werden.
Vor diesem Hintergrund hat das IDW am 30.09.2022 einen Fachlichen Hinweis veröffentlicht, der Unternehmen spezifische Hilfestellungen zur Bilanzierung und Berichterstattung sowohl nach IFRS als auch nach HGB zum Abschlussstichtag 30.09.2022 und für Folgestichtage (insbesondere 31.12.2022) zur Verfügung stellt. Die wichtigsten Erkenntnisse werden im Folgenden dargestellt. Das IDW weist darauf hin, dass nicht jedes Unternehmen von den behandelten Themen gleichermaßen betroffen sein wird. Eine unternehmensindividuelle Beurteilung (in Abhängigkeit von Geschäftstätigkeit, Branche, Unternehmensumfeld etc.) ist geboten. In Abhängigkeit von den weiteren Entwicklungen im Jahr 2022 wird sich das IDW bei Bedarf ergänzend äußern.
Auswirkungen der Unsicherheiten auf Prognosen
Für die sachgerechte Bewertung von Vermögensgegenständen und Schulden benötigen Unternehmen verlässliche Prognosen. Die Prognosen müssen auf vertretbaren Annahmen des Managements beruhen. Externen Hinweisen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund steigender Unsicherheiten wird es oftmals nicht möglich sein, vergangenheitsbasierte Annahmen unverändert fortzuschreiben. Bilanzierende Unternehmen haben sicher zu stellen, dass die Prognosen und Schätzungen über alle Posten und Abschlussbestandteile hinweg plausibel, kohärent und für Dritte nachvollziehbar sind. Mit zunehmenden Unsicherheiten wird die Unternehmensplanung, welche die Grundlage für die Prognose von Zahlungsströmen und die Festlegung von Inputfaktoren für Bilanzierungs- und Bewertungssachverhalte bildet, umso diffiziler. Hier bietet es sich an, verschiedene Szenarien zu bilden, und die Abschlussadressaten transparent und umfassend, beispielsweise in Form von Sensitivitätsanalysen, zu informieren.
In seinem fachlichen Hinweis betont das IDW insbesondere folgende Aspekte:
- Die aktuellen Entwicklungen beeinflussen den aktivierten Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill). Der dem letzten Buchwert gegenüberzustellende Vergleichswert gerät unter Druck: Im Zähler reduzieren sich aufgrund der Krise die Ertrags- bzw. Cashflow-Erwartungen, im Nenner erhöht sich der Kapitalisierungszinssatz. In der Folge ergibt sich ein sinkender Barwert.
- Beim Wertminderungstest nach IAS 36 sind bei der Ermittlung des Nutzungswerts die Zahlungsströme zu prognostizieren. Hier kommt der Ermittlung des Barwerts der ewigen Rente (terminal value) besondere Bedeutung zu, da dieser auf einer langfristigen Fortschreibung von Trendentwicklungen basiert. Dies gilt auch im handelsrechtlichen Abschluss bei der zukunftserfolgswertbasierten Ermittlung eines niedrigeren beizulegenden Werts (beispielsweise bei Beteiligungen).
- Bei der Bilanzierung von aktiven latenten Steuern aus abzugsfähigen temporären Differenzen und für den Vortrag noch nicht genutzter steuerlicher Verluste muss das Unternehmen ebenfalls auf Prognosen zurückgreifen. Der Ansatz von aktiven latenten Steuern setzt voraus, dass ein künftiges, zu versteuerndes Ergebnis wahrscheinlich zur Verfügung steht. Für Handelsbilanzzwecke muss besonders kritisch hinterfragt werden, ob die steuerlichen Verlustvorträge innerhalb der nächsten fünf Jahre geltend gemacht werden können.
- Nach IAS 37 muss der als Rückstellung angesetzte Betrag die bestmögliche Schätzung der Ausgaben, die zur Erfüllung der gegenwärtigen Verpflichtung zum Abschlussstichtag erforderlich ist, darstellen. Bei der Prognose der Ausgaben hat das Management zukünftige Preis- und Kostensteigerungen zu berücksichtigen. Nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB sind Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen. Das bilanzierende Unternehmen hat bei der Bewertung die aus Sicht des Abschlussstichtags erwarteten zukünftigen Preis- und Kostenverhältnisse zu berücksichtigen. Folglich ist der Inflation bei der Bewertung Rechnung zu tragen. Das IDW rät, unternehmens- und branchenspezifische Daten zugrunde zu legen.
- Der Ukraine-Krieg sorgt für enorme Preissteigerungen bei Energie, Rohstoffen und anderen Inputfaktoren. Für am Abschlussstichtag schwebende Absatzgeschäfte mit vereinbarten fixen Entgelten kann sich hieraus das Erfordernis zur Bildung einer Drohverlustrückstellung ergeben. Die Bildung einer Drohverlustrückstellung ist geboten, wenn der Wert des Gegenleistungsanspruchs des bilanzierenden Unternehmens hinter dem Wert der nach dem Abschlussstichtag noch zu erbringenden Lieferungen oder Leistungen zurückbleibt. Bezieht sich der drohende Verlust aus dem schwebenden Geschäft auf einen am Abschlussstichtag bereits aktivierten Vermögensgegenstand, ist dieser zunächst außerplanmäßig abzuschreiben und für einen noch darüberhinausgehenden Verlust ist eine Drohverlustrückstellung zu erfassen.
Ansatz und Bewertung von Finanzinstrumenten
Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob und wie die Bilanzierung und Bewertung von Finanzinstrumenten für Abschlussstichtage zum oder nach dem 30.09.2022 angepasst werden muss.
Wertminderung/Risikovorsorge IFRS
- Nach IFRS 9 kommt bei der Bilanzierung von Finanzinstrumenten der Beurteilung einer signifikanten Erhöhung des Kreditausfallsrisikos und damit einem ggf. erforderlichen Stufentransfer eine besondere Bedeutung zu.
- Die derzeitige Krisensituation führt zu großen Schätzunsicherheiten und Ermessensspielräumen, die sachgerecht ausgeübt werden müssen. Unternehmen müssen Schätzungen der erwarteten Zahlungsströme vornehmen, um erwartete Kreditverluste zu berechnen. Das IDW empfiehlt, verschiedene Szenarien darzustellen, wobei der Eintrittswahrscheinlichkeit der Szenarien eine entscheidende Rolle zukommt.
- Erwartete Kreditverluste für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind nach dem simplified approach zu berechnen. Verwendet das bilanzierende Unternehmen Wertberichtigungstabellen (provision matrix), hat es die Wertberichtigungsquoten kritisch zu beurteilen und bei Bedarf anzupassen.
- Sind die bestehenden Unsicherheiten und Risiken zum Abschlussstichtag indes so schwerwiegend, dass die Bewertungsmodelle nach IFRS 9 diese nicht angemessen berücksichtigen, sind Post-Model Adjustments / Overlays zu bilden.
Niederstwerttest nach HGB
Einem erhöhten Risiko des Ausfalls von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen hat das bilanzierende Unternehmen mit einer Abschreibung auf den niedrigeren beizulegenden Wert gemäß § 253 Abs. 4 HGB zu begegnen.
Umklassifizierung (IFRS) bzw. Umgliederung (HGB)
Das bilanzierende Unternehmen sollte prüfen, ob eine Umklassifizierung bzw. Umgliederung von finanziellen Vermögenswerten erforderlich ist. Eine Umklassifizierung von finanziellen Vermögenswerten nach IFRS ist nur möglich, wenn für die Steuerung der finanziellen Vermögenswerte das Geschäftsmodell verändert wird. Die Ukraine- und Corona-Krise als solche rechtfertigen allein keine Umklassifizierung, sie können aber eine Änderung des bestehenden Geschäftsmodells herbeiführen. Zur handelsbilanziellen Umgliederung von Wertpapieren bei Unternehmen, die keine (Kredit-)Institute sind, verweist das IDW auf IDW RH HFA 1.014.
Notwendigkeit einer transparenten Berichterstattung in Anhang und Lagebericht
Schaffung von Transparenz
Im IFRS-Abschluss ist bei allen Unsicherheiten unter Darlegung der wesentlichen, für die Bilanzierung und Berichterstattung getroffenen Annahmen im Anhang über die möglichen, unternehmensspezifischen Folgen des Kriegsgeschehens bis hin zum Bestehen bestandsgefährdender Risiken zu berichten. Die Abschlussadressaten müssen in der Lage sein, die Einschätzungen des Managements nachvollziehen zu können. IFRS-Bilanzierer haben Angaben zu Schätzunsicherheiten zu beachten bzw. Sensitivitätsanalysen durchzuführen.
Bei wesentlichen Unsicherheiten ist es sachgerecht, den Jahresabschluss nach HGB um entsprechende Angaben zu ergänzen, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln.
Nachtragsbericht im Anhang
Nach § 285 Nr. 33 HGB ist im Anhang über Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluss des Geschäftsjahres, aber bis zur Beendigung der Aufstellung des Abschlusses eingetreten sind, und die weder in Bilanz noch Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigt sind, zu berichten. Im sog. Nachtragsbericht sind Art und finanzielle Auswirkungen des Vorgangs zu erläutern.
Bei wesentlichen, nicht zu berücksichtigenden Ereignissen müssen IFRS-Bilanzierer über die Art des Ereignisses berichten (IAS 10.21 (a)). Außerdem fordert IAS 10.21 (b) eine Schätzung der finanziellen Auswirkungen im Anhang bzw. die Angabe, dass eine solche Schätzung nicht möglich ist.
Risikobericht im Lagebericht
Grundsätzlich ist die Einschätzung der Risiken zum Abschlussstichtag vorzunehmen. Ändern sich jedoch die Risiken bis zur Beendigung der Aufstellung des Lageberichts, treten neue Risiken auf oder entfallen Risiken, hat das bilanzierende Unternehmen die geänderte Einschätzung zusätzlich darzustellen (DRS 20.155).
Prognosebericht im Lagebericht
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklungen ist die zutreffende Einschätzung von Prognosen mit hoher Unsicherheit behaftet. Bei vielen Unternehmen dürften daher die Voraussetzungen nach DRS 20.133 für ausnahmsweise verringerte Anforderungen an die Genauigkeit von Prognosen erfüllt sein. Bei kumulativer Erfüllung der Voraussetzungen erlaubt DRS 20.133 dem Unternehmen, anstelle von Punkt-, Intervall- oder qualifiziert-komparativen Prognosen lediglich komparative Prognosen im Lagebericht abzugeben oder in verschiedenen Zukunftsszenarien unter Angabe ihrer jeweiligen Annahmen zu berichten. Ein Unterlassen jeglicher Prognosen ist allerdings nicht zulässig.
Bestätigungsvermerk
Das IDW hat bereits im Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Rechnungslegung und deren Prüfung sowie im Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie umfassende Hilfestellungen zur Aufnahme eines Hinweises zur Hervorhebung eines Sachverhalts in den Bestätigungsvermerk veröffentlicht. Im Fachlichen Hinweis vom 30.09.2022 weist das IDW darauf hin, dass diese Hinweise analog auf die aktuelle Lage anzuwenden sind. Das IDW sieht in der Aufnahme eines generellen Hinweises auf allgemein bestehende Unsicherheiten in den Bestätigungsvermerk kein geeignetes Mittel, um der derzeitigen Situation Rechnung zu tragen.