Der Sachverhalt:
Die Klägerin und ihre beiden Schwestern sind zu je 1/3 Erben ihres 2007 verstorbenen Vaters. Die Beigeladene ist die Witwe des Erblassers. Der Nachlass bestand aus einer Vielzahl von Beteiligungen und Vermögensgegenständen. So war der Erblasser u.a. an einer Holding-KG beteiligt. In ihrer Erbschaftsteuererklärung machten die Erbinnen u.a. Einkommensteuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten geltend, und zwar i.H.v. 186.830 € für das Veranlagungsjahr 1996 und i.H.v. rund 6,4 Mio. € für das Veranlagungsjahr 1999. Die zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheide wurden noch zu Lebzeiten vom Erblasser angefochten und insoweit antragsgemäß von der Vollziehung ausgesetzt. Sie sind noch nicht bestandskräftig.
Mit Erbschaftsteuerbescheid aus Juni 2008 setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin i.H.v. rund 8,5 Mio. € fest. Abweichend von der Erbschaftsteuererklärung berücksichtigte das Finanzamt die Einkommensteuerschulden der Veranlagungszeiträume 1996 und 1999 nicht als Nachlassverbindlichkeiten.
Am 25.6.2009 beantragte die Klägerin die Durchführung der Besteuerung nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz i.d.F. des ErbStRG 2009 vom 24.12.2008 (ErbStG). Im Verlauf des Klageverfahrens gab die Klägerin eine entsprechende Erbschaftsteuererklärung ab. Es ergingen zahlreiche Änderungsbescheide, die jeweils Gegenstand des Klageverfahrens wurden. Streitig blieben die Nichtberücksichtigung der Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten, der Ansatz einer Forderung i.H.v. 1,5 Mio. € gegen die Beigeladene sowie eine vom Finanzamt vorgenommene Kürzung des Verschonungsabschlags für den Erwerb der Beteiligung an der Holding-KG im Hinblick auf die Lohnsummengrenze des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG.
Die Holding-KG hatte selbst weniger als 20 Beschäftigte. Unter Einbeziehung der Beschäftigten der nachgeordneten Beteiligungsgesellschaften ergab sich eine Ausgangslohnsumme zur Berechnung der Lohnsummengrenze i.H.v. 93.169.223 €. Im Zeitraum von fünf Jahren nach dem Erbfall betrug die Lohnsumme insgesamt 358.632.511 € und damit 3,77 % weniger als 400 % der Ausgangslohnsumme. Die Beträge sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Finanzamt kürzte den Verschonungsabschlag des § 13a Abs. 1 ErbStG um 3,77 %.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. Auf die Revisionen der Beteiligten hat der BFH das Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben und den Erbschaftsteuerbescheid geändert.
Gründe:
Der Erbschaftsteuerbescheid vom 5.10.2018 wird dahingehend geändert, dass bei der Ermittlung des Reinvermögens des Erblassers die für die Jahre 1996 und 1999 festgesetzte, von der Vollziehung ausgesetzte Einkommensteuer i.H.v. 186.830 € für das Jahr 1996 und i.H.v. 6,4 Mio. € für das Jahr 1999 als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt und der Verschonungsabschlag für die Anteile an der Holding KG ungekürzt gewährt wird. § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG 2009 ist auf die von der Klägerin erworbene Beteiligung an der Holding-KG nicht anzuwenden, da die Holding-KG nach den bindenden Feststellungen des FG zum Steuerentstehungszeitpunkt weniger als 20 Beschäftigte hatte.
Einkommensteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit
Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht. Der Abzug als Nachlassverbindlichkeiten setzt nicht nur voraus, dass die Steuerschulden im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits entstanden waren oder - für die Einkommensteuer des Todesjahres - der Erblasser den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, bereits verwirklicht hatte. Die Steuerschulden müssen darüber hinaus im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuer schuld gegeben ist. Dies gilt erst recht für im Bewertungsstichtag bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuern. Diese belasten den Erblasser ebenso wie den Erben als dessen Gesamtrechtsnachfolger. Insoweit gilt etwas anderes als in dem Fall, in dem die Steuer im Todeszeitpunkt noch nicht gegenüber dem Erblasser festgesetzt war und auch später nicht gegen die Erben festgesetzt wird.
Die Einlegung eines Einspruchs durch den Erblasser zu dessen Lebzeiten führt nicht dazu, dass die wirtschaftliche Belastung durch die festgesetzte Steuer wegfällt. Will das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt eine niedrigere als die festgesetzte Steuer als Nachlassverbindlichkeit ansetzen, bedarf es dafür besonderer Gründe, die den sicheren Schluss zulassen, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt die Steuer materiell-rechtlich unzutreffend festgesetzt hat und der zugrunde liegende Bescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben oder geändert wird. Der bloße Verweis darauf, dass der Steuerbescheid mit dem Einspruch angefochten wurde und daher die materiell-rechtlich zutreffende Höhe noch nicht genau feststeht, reicht dafür nicht aus.
Dasselbe gilt für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV). Diese bewirkt für den Zeitraum ihrer Wirksamkeit nur, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt entgegen § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht aus dem angefochtenen Bescheid vollstrecken und die festgesetzte Steuer beitreiben kann. Der Steuerpflichtige bleibt gleichwohl in Höhe der festgesetzten Steuer belastet, er muss sie nur nicht während der Dauer der AdV entrichten. Beruht die AdV auf ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), ändert das nichts an der wirtschaftlichen Belastung durch die festgesetzte Einkommensteuer. Die Gewährung der AdV begründet noch keinen sicheren Schluss, dass der Bescheid aufgehoben werden wird.
Sind die Voraussetzungen für den Ansatz von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfüllt, hat die Finanzbehörde diese bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer zu berücksichtigen. Denn bei der Entscheidung über den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung besteht kein Ermessensspielraum. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung vor und ist lediglich ungewiss, ob diese auch nach weiterer Prüfung rechtlich Bestand haben werden, sind die Nachlassverbindlichkeiten bei der Steuerfestsetzung abzuziehen. Die Nachlassverbindlichkeiten in einem solchen Fall trotz Vorliegens der Voraussetzungen (vorläufig) nicht anzuerkennen, würde § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zuwiderlaufen. Insoweit gilt etwas anderes als z.B. beim Vorläufigkeitsvermerk in Liebhabereifällen, bei dem es ermessensfehlerfrei sein kann, die Steuer zunächst ohne Berücksichtigung von Verlusten festzusetzen.
Kürzung des Verschonungsabschlags
Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG 2009 ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet (Mindestlohnsumme). Das Erfordernis des Nichtunterschreitens der Mindestlohnsumme gilt nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 jedoch nicht, wenn die Ausgangslohnsumme 0 € beträgt oder der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat.
Unter "Betrieb" i.S. des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 ist dabei diejenige wirtschaftliche Einheit zu verstehen, für deren Erwerb die Steuerbegünstigung in Anspruch genommen wird. Dabei sind mehrere rechtlich selbständige wirtschaftliche Einheiten nicht als ein "Betrieb" zusammenzufassen. Das gilt selbst dann, wenn zum Betriebsvermögen einer Holdinggesellschaft Beteiligungen an Gesellschaften gehören, die ebenfalls Arbeitnehmer beschäftigen. Bei der Ermittlung der Zahl der Beschäftigten einer Holdinggesellschaft sind folglich nicht die Arbeitnehmer von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, einzubeziehen.
Auch aus dem Zusammenhang mit der Regelung über die Berechnung der Lohnsumme bei Konzernsachverhalten folgt nichts Gegenteiliges. Denn § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG enthält nur Regelungen für die Ermittlung der Lohnsumme in Konzernstrukturen, nicht aber dazu, ob überhaupt eine Lohnsumme festgestellt werden muss. Aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift lässt sich nicht schließen, dass die Zahl der Beschäftigten von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, bei der Ermittlung der Zahl der bei der Holdinggesellschaft Beschäftigten einzubeziehen ist. § 13a Abs. 1 und Abs. 4 ErbStG haben unterschiedliche Regelungsinhalte. Während nach § 13a Abs. 1 ErbStG zu prüfen ist, ob überhaupt eine Lohnsumme festzustellen ist, regelt § 13a Abs. 4 ErbStG die Einzelheiten der Berechnung der Lohnsumme. Die Prüfung nach Abs.1 der Vorschrift ist systematisch und logisch vorrangig, denn bevor die Lohnsumme der Höhe nach berechnet wird, ist zunächst zu klären, ob die Lohnsumme dem Grunde nach für die Besteuerung relevant wird.
Auch aus der Neuregelung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. 6. 2013 (BGBl I 2013, 1809), wonach nicht nur für die Berechnung der Lohnsummen, sondern auch für die Berechnung der Anzahl der Beschäftigten die Beteiligungen i.S. des § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG 2009 einzubeziehen sind, folgt nichts anderes. Denn diese Regelung gilt nur für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 6.6.2013 entsteht (§ 37 Abs. 8 ErbStG i.d.F. des Art. 30 Nr. 3 AmtshilfeRLUmsG). Auf frühere Erwerbe kann die Vorschrift aufgrund dieser klaren Anwendungsregelung nicht entsprechend angewendet werden. Sie gilt nicht nur deklaratorisch, sondern konstitutiv.
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