Der Sachverhalt:
Der Kläger war ab Mai 2012 bei der A-GmbH als Helfer beschäftigt. Die A-GmbH ist ein Arbeitgeber, der über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gem. § 1 AÜG verfügt. Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis Ende November 2012 befristet. Jeweils mit Ablauf der Befristung erfolgte eine Verlängerung des Leiharbeitsverhältnisses bis Mai 2015.
Mit der Einkommensteuererklärung 2014 beantragte der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten zum Entleiher als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit i.H.v. insgesamt 8.025 €. Das Finanzamt berücksichtigte die Fahrtkosten jedoch lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale mit insgesamt 4.012 €. Es ging davon aus, dass keine Auswärtstätigkeit vorlag. Außerdem sei der Kläger dem Entleihbetrieb dauerhaft zugeordnet gewesen.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts die Revision zugelassen. Eine BFH-Az. liegt derzeit noch nicht vor.
Die Gründe:
Zu Unrecht war das Finanzamt davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG 2014 für die Fahrten von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Entleihers nur die Entfernungspauschale geltend machen konnte, denn er musste weder nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen noch den diese ausfüllenden Weisungen und Absprachen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort (betriebliche Einrichtung des Entleihers) typischerweise arbeitstäglich aufsuchen und hatte daher keine erste Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG 2014.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Rechtsgrundsätze und aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger im Streitjahr 2014 nach der vorzunehmenden Ex-ante-Betrachtung dem Entleihbetrieb nicht dauerhaft i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG 2014 zugeordnet war, mit der weiteren Folge, dass die Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Werk in W. nicht als solche zu einer ersten Tätigkeitsstätte gewertet werden konnten. Insbesondere die Zuweisung des Leiharbeitsgebers, "bis auf Weiteres" in einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig zu sein, konnte entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben v. 24.10.2014 - IV C 5-S 2353/14/10002) nicht als unbefristet i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 3 1. Alt. EStG angesehen werden.
Außerdem konnte aufgrund der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung bereits aus Rechtsgründen bei Leiharbeitsverhältnissen keine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb angenommen werden. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ist nur eine vorrübergehende Arbeitnehmerüberlassung zulässig. Ist arbeitsrechtlich eine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb gesetzlich untersagt und folgt das Steuerrecht - was diese Zuordnungsfrage betrifft - dem Arbeitsrecht, kann sich auch steuerrechtlich keine dauerhafte Zuordnung ergeben, die zu einer ersten Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers führt.
Hintergrund:
Zu der bis 2013 geltenden Rechtslage war der BFH zu dem Schluss gelangt, dass Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer typischerweise nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte (so der bisherige Begriff) verfügen und daher die Fahrtkosten zu dem Entleihbetrieb nach Dienstreisekostengrundsätzen (0,30 € pro gefahrenen Kilometer) berechnen können. Fraglich war, ob dies auch noch nach dem neuen Reisekostenrecht gilt. Danach sind Fahrtkosten zwischen dem Wohnort und der "ersten Tätigkeitsstätte" (neuer gesetzlicher Begriff; § 9 Abs. 4 EStG auf die sog. Entfernungspauschale (0,30 € pro Entfernungskilometer) begrenzt.
Die Rechtsfrage, in welchen Fällen - unter Geltung des ab VZ 2014 geltenden neuen Reisekostenrecht - die betriebliche Einrichtung des Entleihers die erste Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers sein kann, ist - soweit ersichtlich - bislang nicht Gegenstand einer finanzgerichtlichen Entscheidung gewesen und bedarf der höchstrichterlichen Klärung. Von den Auswirkungen der Entscheidung sind fast eine Million Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in Deutschland betroffen.
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