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BFH zur Frage der Gegenleistung für die Übertragung eines Arbeitsentgeltanspruchs als Insolvenzgeld

Urteil des BFH vom 1.3.2012 - VI R 4/11

In Fällen, in de­nen In­sol­venz­geld, das nach § 188 Abs. 1 SGB III einem Drit­ten zu­steht, vor­fi­nan­ziert wird, ist die Ge­gen­leis­tung für die Über­tra­gung des Ar­beits­ent­gel­tan­spruchs als In­sol­venz­geld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG an­zu­se­hen. An die Ar­beit­neh­mer ge­zahlte Ent­gelte ha­ben diese i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG be­zo­gen, wenn sie ih­nen nach den Re­geln über die Über­schuss­einkünfte zu­ge­flos­sen sind.

Der Sach­ver­halt:
Der Kläger bei ei­ner Ar­beit­ge­be­rin be­schäftigt, die sich im Jahr 2006 in wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten be­fand. Des­halb über­nahm ein Kre­dit­in­sti­tut die Vor­fi­nan­zie­rung der Ar­beitslöhne. Wie ver­ein­bart er­warb das Kre­dit­in­sti­tut dazu durch ge­son­derte For­de­rungs­kauf­verträge u.a. die Ar­beits­lohn­for­de­run­gen des Klägers ge­gen Aus­zah­lung ei­nes Be­tra­ges in Höhe des je­wei­li­gen Net­to­lohns für die Mo­nate Ok­to­ber und No­vem­ber des Jah­res 2006. Diese Beträge wur­den noch im Jahr 2006 an den Kläger über­wie­sen. Die Ar­beit­ge­be­rin ver­pflich­tete sich ge­genüber dem Kre­dit­in­sti­tut, die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens bis zum 1.1.2007 si­cher­zu­stel­len.

Nach­dem das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net wor­den war, be­wil­ligte die Agen­tur für Ar­beit im Fe­bruar 2007 In­sol­venz­geld für die Mo­nate Ok­to­ber bis De­zem­ber 2006. We­gen des ent­gelt­li­chen Er­werbs der kläge­ri­schen Ar­beits­lohn­for­de­run­gen über­wies die Agen­tur die Beträge für Ok­to­ber und No­vem­ber 2006 an das Kre­dit­in­sti­tut. Der Teil­be­trag für den Mo­nat De­zem­ber 2006 wurde dem Kläger im Fe­bruar 2007 über­wie­sen. Ihm wurde eine Be­schei­ni­gung über den Be­zug des In­sol­venz­gel­des für den In­sol­venz­geld­zeit­raum vom 1.10. bis 31.12.2006 zur Vor­lage beim Fi­nanz­amt aus­ge­stellt.

Der Kläger gab in sei­ner Ein­kom­men­steu­er­erklärung für 2006 In­sol­venz­geld in Höhe der Net­to­aus­zah­lungs­beträge der Mo­nate Ok­to­ber und No­vem­ber 2006 an. Das Fi­nanz­amt er­fasste al­ler­dings das ge­samte In­sol­venz­geld im Streit­jahr 2007. Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BFH das Ur­teil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Das FG hatte das In­sol­venz­geld im Streit­jahr 2007 zu Un­recht der Ein­kom­men­steuer un­ter­wor­fen.

So­weit In­sol­venz­geld vor­fi­nan­ziert wird, das nach § 188 Abs. 1 SGB III einem Drit­ten zu­steht, ist die Ge­gen­leis­tung für die Über­tra­gung des Ar­beits­ent­gel­tan­spruchs als In­sol­venz­geld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG an­zu­se­hen. Eine Ab­tre­tung kann be­reits vor dem In­sol­ven­zer­eig­nis und mit­hin vor der Ent­ste­hung des In­sol­venz­geld­an­spruchs er­fol­gen. Der zukünf­tig ent­ste­hende An­spruch auf In­sol­venz­geld ver­schafft dem Ar­beit­neh­mer eine zusätz­li­che Si­che­rung, die im Fall der Ab­tre­tung dem Zes­sio­nar zu Gute kommt. Kommt es zur In­sol­venz, ist der Vor­fi­nan­zie­rende durch den auf ihn über­ge­gan­ge­nen In­sol­venz­geld­an­spruch ge­si­chert. Dem­ent­spre­chend wird ein sol­cher Vor­gang auch als "Vor­fi­nan­zie­rung des In­sol­venz­gel­des" bzw. als "Vor­fi­nan­zie­rung des In­sol­venz­geld­an­spruchs" be­zeich­net.

Die an den Ar­beit­neh­mer ge­zahl­ten Ent­gelte hat die­ser i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG be­zo­gen, wenn sie ihm nach den Re­geln über die Über­schuss­einkünfte zu­ge­flos­sen sind. Ab­zu­stel­len ist in­so­weit also auf den Zu­fluss­zeit­punkt i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG. Da die vor­fi­nan­zier­ten Beträge als In­sol­venz­geld im Sinne der Vor­schrift an­zu­se­hen sind, hat der Ar­beit­neh­mer im Zeit­punkt der Er­lan­gung der Verfügungs­macht über die Aus­zah­lungs­beträge In­sol­venz­geld i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG be­zo­gen. Nichts an­de­res er­gibt sich aus der durch Art. 1 Nr. 12c des Steuerände­rungs­ge­set­zes 2003 ein­geführ­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Re­ge­lung des § 32b Abs. 4 S. EStG. Auf § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG fin­den §§ 11 Abs. 1 S. 4, 38a Abs. 1 S. 2 EStG we­der un­mit­tel­bare noch ana­loge An­wen­dung.

Die Aus­zah­lung des einem Drit­ten zu­ste­hen­den In­sol­venz­geld­an­spruchs an den Drit­ten be­wirkt ent­ge­gen der An­sicht des FG kei­nen gleich­zei­ti­gen Zu­fluss von In­sol­venz­geld beim Ar­beit­neh­mer. Denn bei einem ge­setz­li­chen For­de­rungsüberg­ang gem. § 115 Abs. 1 SGB X fließt der über­ge­gan­gene Ar­beits­lohn dem Ar­beit­neh­mer - steu­er­recht­lich im ab­gekürz­ten Zah­lungs­weg - in dem Zeit­punkt zu, in dem der Ar­beits­lohn durch eine Zah­lung des Ar­beit­ge­bers beim Zes­sio­nar ein­geht. Mit dem Zu­fluss des Ar­beits­lohns geht wirt­schaft­lich je­doch die Rück­zah­lung der zu­vor an den Ar­beit­neh­mer ge­leis­te­ten So­zi­al­leis­tun­gen ein­her. Durch diese Er­stat­tung des Ar­beit­neh­mers wird das mit dem ge­setz­li­chen For­de­rungsüberg­ang ver­bun­dene Ziel der Rück­zah­lung der gewähr­ten So­zi­al­leis­tun­gen er­reicht. Die aus die­ser Rück­zah­lung fol­gende ge­rin­gere steu­er­li­che Leis­tungsfähig­keit wird über einen ne­ga­ti­ven Pro­gres­si­ons­vor­be­halt nach § 32b EStG berück­sich­tigt. Da­von sind al­ler­dings die Fälle zu un­ter­schei­den, in de­nen ein Ar­beit­neh­mer sei­nen Ar­beits­ent­gel­tan­spruch im Hin­blick auf zukünf­tig zu er­war­tende Leis­tun­gen ei­nes So­zi­al­leis­tungsträgers an einen Drit­ten ent­gelt­lich überträgt und sie da­durch wirt­schaft­lich ver­wer­tet.

Link­hin­weis:
  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
  • Um di­rekt zum Voll­text zu ge­lan­gen, kli­cken Sie bitte hier.
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