Schließen mehrere Unternehmer über einen Gegenstand mehrere Umsatzgeschäfte ab und gelangt der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer zum letzten Abnehmer, dann liegt ein sog. Reihengeschäft vor. Wird der Gegenstand dabei noch grenzüberschreitend befördert oder versendet, ist diese Warenbewegung nur einer Lieferung im Reihengeschäft zuzuordnen. In der Vergangenheit gab es, auch vor dem Hintergrund vielfältiger BFH- und EuGH-Rechtsprechung, vermehrt Unsicherheiten bei der Zuordnung der sog. bewegten Lieferung. Mit Verabschiedung der „Quick Fixes“ im Dezember 2018, die die Basis für eine harmonisierte Regelung innerhalb der EU bildete, und der Umsetzung im UStG zum 01.01.2020 sollten diese Unsicherheiten zumindest bei EU-Reihengeschäften behoben werden.
Mit Schreiben vom 25.04.2023 hat das BMF nun ausführlich Stellung zur Reihengeschäftsregelung genommen und zudem eine wohlwollende Nichtbeanstandungsregelung bis zur Veröffentlichung des Schreibens am 17.05.2023 im Bundessteuerblatt (BStBl. I 2023, S. 778) aufgenommen. Denn bis zur Veröffentlichung des Schreibens - und somit bis 17.05.2023 - wurde es nicht beanstandet, wenn die Zuweisung der Transportverantwortlichkeit von den Beteiligten einvernehmlich abweichend von A 3.14 Abs. 7 bis 11 UStAE bestimmt wurde.
1. Hintergrund der gesetzlichen Regelung und des BMF-Schreibens
Durch Einfügung des § 3 Abs. 6a UStG, der teilweise auf Art. 36a MwStSystRL beruht, wurde erstmals eine ausdrückliche unionsrechtliche Regelung zur Zuordnung der Warenbewegung (Beförderung oder Versendung) beim Reihengeschäft im innergemeinschaftlichen Handel und Beförderung bzw. Versendung durch den mittleren Unternehmer (sog. Zwischenhändler) implementiert. Zudem wurden rein nationale Regelungen dazu aufgenommen, wie in Fällen, in denen im Rahmen eines Reihengeschäfts Ware aus einem Drittland kommt oder in ein Drittland gelangt, die bewegte Lieferung zuzuordnen ist. Ferner wurde geregelt, wie dies bei Beförderung bzw. Versendung durch den ersten oder letzten Unternehmer in der Reihe geschehen soll.
Insoweit diente die Gesetzesänderung neben der Umsetzung des geänderten Unionsrechts der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten bei der Zuordnung der sog. bewegten Lieferung im Reihengeschäft, die u. a. in Folge der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestanden.
Nach Konsultation der Verbände auf Basis eines Entwurfs hat die Finanzverwaltung am 25.04.2023 ein BMF-Schreiben zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften veröffentlicht und den UStAE entsprechend geändert.
Nachfolgend werden die wesentlichen Eckpunkte des BMF-Schreibens zusammengestellt. Aufgrund der Vielzahl der vorgenommenen Änderungen des UStAE möchten wir die Darstellung der besseren Übersichtlichkeit wegen auf wesentliche Aspekte beschränken:
2. Eckpunkte des nun vorliegenden BMF-Schreibens
2.1 Transportverantwotlichkeit im Reihengeschäft
Die Zuordnung der bewegten Lieferungen hängt maßgeblich davon ab, welchem Unternehmer die Beförderung oder die Versendung zuzurechnen ist.
In dem neu eigenfügten A 3.14 Abs. 7 UStAE stellt das BMF nun in Satz 5 klar, dass hierfür im Fall der Versendung auf die Auftragserteilung an den selbständigen Beauftragten abzustellen ist. Zu beachten ist, dass die alternative Zuordnung der bewegten Lieferung nach § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG durch Verwendung einer Umsatzsteueridentifikationsnummer (USt-IdNr.) daher nur möglich ist, wenn die Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler erfolgt. Dies setzt regelmäßig die förmliche Auftragserteilung des Spediteurs durch den Zwischenhändler voraus.
Hinweis: Incoterms spielen für die Zuordnung der bewegten Lieferung regelmäßig keine Rolle mehr. Gegebenenfalls kann in Ausnahmefällen auf die Incoterms als alternatives Zuordnungskriterium zurückgegriffen werden, wenn die bewegte Lieferung bspw. bei missglückten Reihengeschäften abweichend von der förmlichen Transportbeauftragung zugeordnet werden soll. Denn gemäß A 3.14 Abs. 7 Satz 6 UStAE wird eine abweichende Zuordnung anerkannt, wenn der Unternehmer nachweist, dass die Beförderung oder Versendung auf Rechnung eines anderen Unternehmers erfolgt ist, der die Gefahr des zufälligen Untergangs während des Transports getragen hat. Ob eine solche abweichende Zuordnung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird, ist angesichts des Wortlauts des Gesetzes unsicher. Unter Praxisgesichtspunkten ist zu begrüßen, dass seitens der Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen alternative Argumentationsansätze geboten werden.
In der Praxis könnten zudem die Nachweiserfordernisse der Finanzverwaltung zu Problemen führen, nach denen sich aus den vorhandenen Aufzeichnungen die Zuordnungsentscheidung eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben muss. In der Praxis ist nicht immer allen Beteiligten im Reihengeschäft bewusst, dass sie an einem solchen beteiligt sind. Häufig ist es gerade im Interesse des mittleren Unternehmers, dass der erste und letzte Beteiligte keine Kenntnis voneinander haben.
2.2 Lieferung durch einen Zwischenhändler
Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Zwischenhändler befördert oder versendet, kann grundsätzlich die Lieferung an ihn oder von ihm die bewegte Lieferung sein. Gemäß der gesetzlichen Vermutungsregelung ist die bewegte Lieferung grundsätzlich der Lieferung an ihn zuzuordnen.
- 2.2.1 Modifikation für Inlandsfälle (A 3.14 Abs. 9 und Abs. 12 UStAE)
Ein modifizierter A 3.14 Abs. 9 UStAE enthält Ausführungen zur Nachweisführung in reinen Inlandsfällen. Von der praktischen Bedeutung dürften diese überschaubar sein. In reinen Inlandsfällen ist die Zuordnung der bewegten Lieferung allenfalls für die Steuerentstehung relevant. Bei der bewegten Lieferung entsteht die Umsatzsteuer mit Beginn der Beförderung, bei der ruhenden Lieferung mit Verschaffung der Verfügungsmacht.
Ergänzt werden Inlandssachverhalte durch die Ausführungen und ein erläuterndes Beispiel in A 3.14 Abs. 12 UStAE. Klarstellend führt die Finanzverwaltung darin in einem neu eingefügten Satz 3 aus, dass bei reinen Inlandskonstellationen, d.h. Reihengeschäften mit reinen Warenbewegungen im Inland, die Verwendung einer ausländischen USt-IdNr. zu keiner Veränderung des Lieferorts, der Steuerpflicht und der Zuordnung der bewegten Lieferung führt. Sind ausländische Unternehmen involviert, führt dies grundsätzlich zu Registrierungspflichten im Inland.
- 2.2.2 Modifikation für grenzüberschreitende Reihengeschäfte innerhalb der EU (A 3.14 Abs. 10 und Abs. 13 UStAE)
Spannender sind die Fälle, in denen die Ware von einem EU-Land in ein anderes gelangt. Wird in diesen Fällen die Vermutungsregelung nicht widerlegt, kann dies zu Registrierungspflichten des mittleren Unternehmers führen.
Gemäß der gesetzlichen Regelung des § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG wird der Nachweis durch den Zwischenhändler über die aktive Verwendung seiner USt-IdNr. des Mitgliedsstaates, in dem die Warenlieferung beginnt, geführt. Dies kann insbesondere in den Fällen, in denen die ersten beiden Unternehmer im gleichen Land ansässig sind, bei Nichtbeachtung zu Registrierungspflichten des mittleren Unternehmers im Bestimmungsland im Ausland führen, denn dann greift die Regelvermutung der bewegten Lieferung an den Zwischenhändler.
Veranlasst hingegen der erste Unternehmer den Transport, ist die bewegte Lieferung grundsätzlich seiner Lieferung zuzuordnen. Verwendet in diesen Fällen der Zwischenhändler aktiv seine USt-IdNr. des Abgangsmitgliedstaates, kann hierüber die bewegte Lieferung nicht zur zweiten Lieferung verlagert werden. Zudem kann durch die aktive Verwendung der USt-IdNr. die Rechtsfolge des § 3d Satz 2 UStG ausgelöst werden, die zu einer Erwerbsbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Abgangsmitgliedsstaat ohne korrespondierende Vorsteuerabzugsberechtigung führt.
- 2.2.3 Ausführungen im BMF-Schreiben und UStAE
Der Nachweis gilt nur dann als erbracht, wenn der Zwischenhändler bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung seine USt-IdNr. aktiv verwendet. Nach Auffassung des BMF
- setzt dies ein aktives Tun voraus,
- sind spätere Änderungen der Verwendung grundsätzlich irrelevant,
- wird in der Regel eine Verwendung bei Vertragsschluss, spätestens vor Lieferbeginn vorausgesetzt,
- soll die verwendete USt-IdNr. in dem jeweiligen Auftragsdokument festgehalten werden; bei mündlicher Auftragserteilung muss die rechtzeitige Verwendung durch den mittleren Unternehmer dokumentiert werden,
- werden Verwendungserklärungen für zukünftige Lieferungen auch anerkannt und
- kann u.U. auch ein unternehmerischer Leistungsbezug durch den letzten Unternehmer und eine entsprechende Deklaration und Meldung der innergemeinschaftlichen Lieferung durch den Zwischenhändler und des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den letzten Unternehmer ein positives Tun darstellen.
Zu beachten: Die Nachweispflicht trifft den mittleren Unternehmer. Dies sollte bei der Implementierung der Prozesse beachtet werden.
Sind die ersten beiden Unternehmer im selben Land ansässig, kann dies zur Falle werden, denn oftmals wird der deutsche Besteller gegenüber seinem deutschen Lieferanten nicht aktiv seine deutsche USt-IdNr. verwenden, um hierüber die bewegte Lieferung ins EU-Ausland zu seiner Lieferung an seinen Abnehmer zu verlagern. Bei Transportveranlassung durch den Zwischenhändler empfiehlt es sich daher, die Prozesse dahingehend zu überprüfen.
U.U. kann dies über eine allgemeine Erklärung für alle zukünftigen Lieferungen gelöst werden; hierbei muss jedoch bedacht werden, dass die Verwendungserklärung nicht nur für die Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft eine Rolle spielt, sondern auch bei innergemeinschaftlichen Lieferungen - zumindest nach der deutschen Lesart - eine Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist. Vor Verwendung von Allgemeinerklärungen sollte daher geprüft werden, dass diese nicht Folgewirkungen auf andere grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle des Unternehmens auslösen.
Ergänzt werden die Regelungen zu EU-Reihengeschäften durch die Ausführungen und erläuternden Beispiele in A 3.14 Abs. 13 UStAE.
2.3 Warenbewegungen im Verhältnis zum Drittland (A 3.14 Abs. 11, 14 bis 16 UStAE)
Auch wenn die Ware aus der EU ins Drittland gelangt, setzt bei Transportveranlassung durch den mittleren Unternehmer die Verlagerung der bewegten Lieferung zur zweiten Lieferung die aktive Verwendung der USt-IdNr. (oder alternativ in diesem Fall der Steuernummer) des Mitgliedstaates des Beginns der Beförderung gegenüber seinem (Vor-)Lieferanten voraus. Die Regelungen zur Nachweisführung bei EU-Reihengeschäften gelten entsprechend.
Bei Einfuhren in die EU ist erforderlich, dass der Gegenstand im Namen des Zwischenhändlers oder im Rahmen der indirekten Stellvertretung für seine Rechnung zum zoll- und umsatzsteuerrechtlichen Verkehr frei gemacht wird.
Ergänzt werden die Regelungen zu Drittlands-Reihengeschäften durch die Ausführungen und erläuternden Beispiele in A 3.14 Abs. 14 bis 16 UStAE.
2.4 Lieferungen unter Einbeziehung von Betreibern elektronischer Schnittstellen in fiktive Lieferketten
Über einen neu eingefügten A 3.14 Abs. 20 UStAE stellt das BMF klar, dass die Ausführungen zu Reihengeschäften keine Anwendung finden auf Lieferungen unter Einbeziehung von Betreibern von elektronischen Schnittstellen in fiktiven Lieferketten nach § 3 Abs. 3a i. V. m. Abs. 6b UStG.
2.5 Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte
Zudem enthält das BMF-Schreiben überwiegend redaktionelle Anpassungen zu den Ausführungen und erläuternden Beispielen in A 25b.1 UStAE zum innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft. Eine Reaktion auf die neuere EuGH-Rechtsprechung hierzu (Rs. C-247/21 und C-696/20) fehlt aber weiterhin.
3. Anwendungsregelung und abschließende Bemerkung
Die Grundsätze des BMF-Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
Unternehmer sollten das vorliegende BMF-Schreiben zum Anlass nehmen, soweit noch nicht geschehen, die Umsetzung des Gesetzesänderungen aufgrund der sog. Quick Fixes zu überprüfen.
Die Regelungen zu Reihengeschäften, der USt-IdNr. als materieller Voraussetzung für die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen sowie die EU-Konsignationslagerregelung aufgrund der Quick Fixes gelten bereits seit 01.01.2020. Aufgrund der besonderen Herausforderungen des Jahres 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und der temporären Umsatzsteuersatzminderung stand die Umsetzung der Neuregelungen nicht bei allen Unternehmen im Vordergrund.
Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen zu Reihengeschäftskonstellationen in Ihrem Unternehmen.