Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte 2013 in zwei Fällen Bundesanleihen mit einer Laufzeit bis 2040 bzw. 2039 jeweils zugunsten seines Wertpapierdepots bei der Y-Bank erworben und der Bank die Weisung erteilt, die Bundesanleihen in Anleihemantel und Zinsscheine zu trennen. Nach der Trennung veräußerte er die Zinsscheine an eine Bank. Ebenfalls im Jahr 2013 veräußerte der Kläger den Anleihemantel an die A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter er ist. Die Mittel zum Erwerb des Anleihemantels stellte der Kläger der GmbH darlehensweise zur Verfügung. Die A-GmbH ihrerseits veräußerte den Anleihemantel weiter.
Die A-GmbH war 2012 unter der Firma B-GmbH als sog. Vorratsgesellschaft gegründet worden. Im glichen Jahr erwarb der Kläger sämtliche Anteile der Gesellschaft, die daraufhin in A-GmbH umfirmierte. Im Dezember 2012 führte der Kläger bereits zwei mit den vorliegend streitigen Transaktionen vergleichbare Geschäfte mit erheblich höheren Volumina durch. In seiner Einkommensteuererklärung 2013 erklärte der Kläger die Erlöse aus der Veräußerung der Zinsscheine als dem Abgeltungsteuersatz von 25 % (§ 32d Abs. 1 EStG) unterliegende Kapitaleinkünfte i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Die Anschaffungskosten der Bundesanleihen (ohne Stückzinsen) ordnete er in vollem Umfang den Anleihemänteln zu, so dass sich aus deren Veräußerung ein Verlust ergab. Diesen erklärte der Kläger als gem. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG dem allgemeinen Einkommensteuertarif nach § 32a EStG unterfallenden und gem. § 32d Abs. 2 Satz 2 EStG von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommenen Verlust.
Nach einer Betriebsprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die vom Kläger gewählte Gestaltung - insbesondere die Zwischenschaltung der A-GmbH in die Veräußerung der Anleihemäntel - stelle einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 Abs. 2 AO dar. Nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO entstehe der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entstehe. Danach seien die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel lediglich mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine sowie den weiteren positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen verrechenbar. Das Finanzamt schloss sich dieser Ansicht an und änderte den Einkommensteuerbescheid 2013 entsprechend.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Sowohl die isolierte Veräußerung der Zinsscheine (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) als auch die Veräußerung der Anleihemäntel (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) führten beim Kläger zu Einkünften aus Kapitalvermögen.
Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Der Begriff der Anschaffungskosten in § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmt sich nach dem handelsrechtlichen Anschaffungskostenbegriff. Der handelsrechtliche Anschaffungskostenbegriff des § 255 Abs. 1 HGB ist grundsätzlich allen Vorschriften des EStG zugrunde zu legen und jeweils gleich auszulegen. Anschaffungskosten sind gem. § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Zu den Anschaffungskosten gehören auch die Nebenkosten sowie die nachträglichen Anschaffungskosten.
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Kläger, dass im Fall des Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Anleihen keine Aufteilung der ursprünglichen Anschaffungskosten der ungetrennten Anleihe auf den Anleihemantel und die Zinsscheine vorzunehmen sei, sondern diese allein dem Anleihemantel zuzurechnen seien. Vielmehr vertritt er die Auffassung, dass die ursprünglichen Anschaffungskosten im Fall des Bondstripping auch bei im Privatvermögen gehaltenen Anleihen im Verhältnis der jeweiligen Marktwerte auf den Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen sind.
Die Klage wäre allerdings auch dann abzuweisen, wenn man der Auffassung folgen würde, dass die ursprünglichen Anschaffungskosten der Anleihen nicht auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen wären, sondern mangels Substanzabspaltung (weiterhin) in vollem Umfang auf die Anleihemäntel entfielen. Denn unter dieser Prämisse läge ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S.d. § 42 AO vor. Entgegen der Auffassung der Kläger wird die Anwendung der allgemeinen Missbrauchsnorm des § 42 Abs. 2 AO im Streitfall nicht durch die spezialgesetzliche Missbrauchsregelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG verdrängt.
Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Grundsätzlich hat § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zwar den Charakter einer spezialgesetzlichen Umgehungsvorschrift. Nach der Gesetzesbegründung dient die in dieser Norm geregelte Ausnahme von der Anwendung des Abgeltungsteuersatzes der Verhinderung von Gestaltungen, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne z.B. in Form von Darlehenszinsen abgesaugt werden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungsteuersatz reduziert wird. Gleichwohl führt der Umstand, dass der Kläger mit der Veräußerung der Anleihemäntel an die A-GmbH die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG erfüllt, nicht zur Anwendung der Rechtsfolge, dass die entsprechenden Verluste dem allgemeinen Steuertarif unterliegen und von der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommen sind.
Die Unangemessenheit der vom Kläger gewählten Gestaltung liegt gerade darin, dass die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG im Wege einer nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe gerechtfertigten Zwischenschaltung der A-GmbH in die Veräußerung der Anleihemäntel erfolgt. Mit anderen Worten macht der Kläger von der spezialgesetzlichen Umgehungsvorschrift in einer Weise Gebrauch, die sich als Missbrauch der Missbrauchsvorschrift charakterisieren lässt. Damit entfaltet § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG hier keine Sperrwirkung gegenüber § 42 Abs. 2 AO.
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