Moderator Christoph Havermann, Partner bei Ebner Stolz und Experte für die Agrar- und Ernährungsindustrie, begrüßte die online zugeschalteten Gäste und stimmte auf die Themen des Tages ein, die vom Agrarhandel, der Fleischwirtschaft und der gemüseverarbeitenden Industrie bis zum Lebensmitteleinzelhandel die gesamte Bandbreite der Agrar- und Ernährungsindustrie abdeckten.
Der weltweite Ausnahmezustand durch Covid-19 hat sich zum schweren Belastungstest für Gesellschaft und Wirtschaft, nicht zuletzt auch für die Ernährungsindustrie entwickelt. Aber auch jenseits von Covid-19 ist die Veränderungsdynamik in der Agrar-& Ernährungsbranche groß: Klimawandel, Green Deal, Biodiversität, das Lieferkettengesetz oder alternative Proteinquellen sind nur einige Stichworte, welche die Rahmenbedingungen für den Sektor erheblich verändern, aber auch Chancen bringen werden.
Fleischwirtschaft - Ende oder Wende?
Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Tönnies mit Sitz in Rheda-Wiedenbrück, berichtete über die Herausforderungen steigender Regulierungsdichte auf der landwirtschaftlichen Erzeugerstufe und die schwindende Akzeptanz landwirtschaftlicher Produktionsformen auf Seiten zahlreicher Verbraucher. In der Nachhaltigkeitscharta „Agenda t30“ hat er für sein Unternehmen ambitionierte Ziele zur Sicherung der Zukunftsperspektiven des Fleischsektors in Deutschland formuliert, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette neue Maßstäbe setzen können. So sollen bis 2030 u.a. ein Kilo Fleisch nicht mehr Treibhausgasemissionen verursachen als ein Kilo Reis und der Anteil der Schlachtschweine aus Tierwohl- oder Klimaschutzställen von heute 18% bis 2025 auf 70% massiv erhöht werden. Dazu unterstützt das Unternehmen die Landwirte beim Bau von 500 Tierwohlställen. Clemens Tönnies betonte, dass die finanzielle Unterstützung der Erzeugerstufe nicht der erste Schritt für den Aufbau einer vertikal integrierten Wertschöpfungskette in der Schweineveredelung sei.
Handel im Umbruch
Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverband Deutschland (HDE), ging in seinen Ausführungen auf die die durch COVID-19 verursachten Verwerfungen im Handel ein und zeigte auf, wie sich der Wandel der LEH-Branche post-Corona gestalten lassen könnte. Die Veränderungsdynamik des Sektors spiegele sich nicht zuletzt in der Verschiebung hin zum Online-Handel, dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Nachhaltigkeit sowie der jüngst geschaffenen Koordinationszentrale zur dialogorientierten Lösung der Spannungen in der Wertschöpfungskette wider. Josef Sanktjohanser erwartet eine erhebliche Veränderung der Rahmenbedingungen für den Handel, rechnet aber gleichzeitig auch mit großen Chancen für die Unternehmen der Branche diesen Wandel aktiv mitzugestalten.
Fit für die Zukunft - ein Familienunternehmen im Wandel
Andreas Reimer, Vorsitzender der Geschäftsführung von Hengstenberg, berichtete in seinem Vortrag über die Herausforderungen des Rohwarenanbaus unter sich verändernden Klimaverhältnissen, über Strategien zur Differenzierung von Produktwelten in der Wahrnehmung der Verbraucher und über den weiteren Ausbau des internationalen Geschäfts des traditionsreichen Familienunternehmens. Seine Ausführungen aus der Praxis eines Lebensmittelherstellers vermittelte den Teilnehmern des Branchendialogs einen Einblick in das breite Spektrum preistreibender Faktoren in der Leistungserstellung des Unternehmens sowie in die Weiterentwicklung der Traditionsmarke Hengstenberg, die auf ihren klassischen Produkten wie Sauerkraut und Rotkohl mit dem Hinweis „Aus deutschem Anbau“ wirbt und gleichzeitig die erfolgreiche Marke „Oro di Parma“ führt.
Neue Perspektiven für den Agrarhandel
Mit den aktuellen Herausforderungen seiner Branche sowie den Chancen und Perspektiven einer nachhaltigen Landwirtschaft beschäftigte sich Christoph Kempkes, Vorstandsvorsitzender der genossenschaftlichen RWZ, in seinem Vortrag. Insbesondere die kritische und vielfach stark verzerrte Sicht auf die landwirtschaftliche Wertschöpfung seitens zahlreicher Verbraucher sowie die zunehmende Regulierungsdichte des Agrarsektors (u.a. Tierwohl, Düngemittelverordnung, NEC-Richtlinie, TA Luft) seien für den Agrarhandel derzeit große Themen. Aber auch die Chancen und Potenziale für die weitere Digitalisierung beschäftigen die Branche - Geschäftsbeziehungen verändern sich, neue Dienstleistungen und Beratungsangebote werden entwickelt. Darüber hinaus berichtete Christoph Kempkes über die geplante Zusammenarbeit mit der Raiffeisen Waren GmbH, die jüngst vom Bundeskartellamt genehmigt worden ist und einen zentralen Baustein der strategischen Neuausrichtung der RWZ darstellt.
Erster virtueller Branchendialog Agrar & Ernährung mit erfolgreichem Start
Für Christoph Havermann hat sich das neue, virtuelle Format bewährt: „Wir glauben, dass gerade in diesen herausfordernden Zeiten ein Austausch zwischen der Branche und ihren Finanzierern von besonderer Bedeutung ist. Dafür wollen wir den Teilnehmern als führender Berater der Agrar- und Ernährungsindustrie im Rahmen unseres Branchendialogs wieder eine Plattform bieten, was mit dem kompakten Online-Format prima funktioniert hat.“