Die Moderatoren Christoph Havermann und Klaus-Martin Fischer, Partner der Ebner Stolz Management Consultants, begrüßten die Gäste des 9. Branchendialogs Agrar & Ernährung vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Krisen, die sich für Deutschland und Europa aktuell zu einem perfekten Sturm zusammenzubrauen scheinen: der Ukraine-Krieg, eine noch nicht überwundene Pandemie, instabile Lieferketten, hohe Inflation und im Zentrum des Sturms eine Entwicklung der Energiepreise, die nur eine Richtung kennt - nach oben.
Für viele Akteure der Agrar- und Ernährungsindustrie ist vor allem diese Kostenexplosion bei Energie und Rohstoffen eine enorme Belastung. Gleichzeitig stellen der Green Deal und die damit verbundenen Nachhaltigkeitsziele die Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. Andererseits zeigen sich auch Wachstumschancen für die Unternehmen, u.a. im Bereich alternativer Proteine. Es gab also ausreichend Diskussionsbedarf unter den Teilnehmern.
Die Welt muss ernährt werden
Mit seinem Vortrag zum Status Quo und den Zukunftsperspektiven der deutschen Molkereiindustrie gab Detlef Latka, CEO von Hochwald Foods, einen umfassenden Zustandsbericht zur aktuellen Situation der Branche ab. Auch Deutschlands viertgrößte Molkereigruppe hat mit den Folgen der aktuellen Preisspirale bei Energie und Rohstoffen zu kämpfen. Die stetig steigenden Kosten für Produkte der weißen Linie - Trinkmilch, Sahne, Joghurt und Butter - müssen an die Verbraucher durchgereicht werden und führen bei der preissensitiven Kundschaft zu einer zunehmenden Kaufzurückhaltung.
Darüber hinaus werden regulatorische und politische Einflussfaktoren die Milchindustrie in den kommenden Jahren ebenso verändern wie das weiter wachsende Bewusstsein für den Klimaschutz. Hochwald Foods trägt dem mit der Umsetzung des Nachhaltigkeitskonzepts „MilchPlus“ Rechnung und hat mit der Einführung einer umfassenden Kreislaufwirtschaft bereits wichtige Schritte umgesetzt. Das Unternehmen setzt konsequent auf eine diversifizierte Produktpalette und sieht sich deshalb gut gerüstet für die Herausforderungen der Zukunft, denn „die Welt muss ernährt werden“, wie es Detlef Latka in seiner Schlussbemerkung zusammenfasste.
The Future of Food Momentum: Pflanzliche Proteine für eine nachhaltige Ernährung
“Wir müssen offen dafür sein, manche Dinge nicht mehr genau so zu tun können wie in der Vergangenheit,” ist die Grundüberzeugung von Kristal Golan, Head of New Protein Solutions der BayWa AG. Dazu gehören vor allem Innovationen in der Humanernährung, wie zum Beispiel die Produktion veganer Eier aus Erbsenproteinen, deren Entwicklung die BayWa in Kooperation mit anderen wichtigen Playern der Agrar- und Ernährungswirtschaft aktiv vorantreibt. Darüber hinaus spielt aber auch das Verständnis verschiedener Technologien zur Gewinnung von Proteinen eine wichtige Rolle für nachhaltige Ernährungsstrategien, so etwa der Sortenfortschritt bei vorhandenen Kulturpflanzen (Leguminosenanbau) inklusive einer effizienten Proteinextraktion, die Herstellung fermentierter Proteine mittels Mikroorganismen, die Produktion zellbasierter Proteine (Fleischproduktion) oder die Gewinnung insektenbasierter Proteine als Futtermittel.
Kristal Golan betonte, dass der gemeinsame Aufbau effizienter Wertschöpfungsketten im noch jungen, neu entstehenden Markt für alternative Proteine das Ziel aller Wettbewerber sein sollte. Denn die Chancen für die Marktteilnehmer - vom Landwirt bis zum Produzenten alternativer Proteine - sind enorm. Ihr Appell: „Im Bereich der alternativen Proteine sollten wir kooperieren, weil der Markt groß genug ist und wir die bestehenden Kundenwünsche hinsichtlich Geschmack, Preis, Nährwerte, Tierwohl- und Umweltaspekte in Produktanforderungen umwandeln müssen.“
It’s never been more delicious to save our planet
Mit Hans-Georg Höllerer, Vice President Business Development & Operations beim Food-Start-Up Bluu GmbH, tauchte der diesjährige Branchendialog tief in die Produktion zellbasierter Fische ab. Der Markt für diese Alternative zum Wildfisch und zur Aquakultur steckt zwar vor allem in Europa noch in den Kinderschuhen, verspricht aber großes Potenzial für die Zukunft. Insbesondere, da die Nachfrage aufgrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung weiter steigen und die natürlichen Ressourcen der Meere endlich sind. Dennoch rechnet die Fischerei-Branche bis 2035 mit einer Verdopplung des Umsatzes auf rund USD 1 Bio.
Abhilfe könnte hier die Produktion zellbasierter Fische schaffen, zumal auch die Kosten analog zur Verbreitung anderer Technologien mit der Zeit sinken werden. Der Schlüssel ist deshalb vor allem die Akzeptanz der Verbraucher. „Je jünger, desto offener“, wie Hans-Georg Höllerer die Zustimmung unter den potenziellen Konsumenten auf der Basis jüngster Umfragen zusammenfasste. Bei einem geschätzten Marktvolumen für Meeresfrüchte von USD 25,4 Mrd. in Europa erscheinen die Perspektiven für zellbasierte Fischprodukte vielversprechend.
From Farm to Fork: Mühlenindustrie unter Druck
„Wir spüren die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen durch die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg, die hohen Kosten für Energie und Rohstoffe sowie die logistischen Probleme sehr deutlich“, beschrieb Christoph Klöpper, Geschäftsführer der Goodmills Deutschland GmbH, die zahlreichen Herausforderungen für die deutsche Mühlenwirtschaft, die sich aufgrund der steigenden Inflation zudem mit kurzfristigen Veränderungen im Konsumentenverhalten auseinandersetzen muss. Die Situation der Branche gleiche dem Bild des „schizophrenen Müllers“, denn die Mühlenindustrie bewege sich in einem beständigen Spannungsfeld zwischen dem Druck durch das Agribusiness, den Wettbewerb und die Kunden und habe zudem die allgemeine wirtschaftliche Situation sowie die politischen Risiken zu berücksichtigen. „Preis und Menge müssen im Fokus stehen, um Wertschöpfung zu erzielen“, erläuterte Klöpper weiter.
Dennoch sind die Aussichten für die Mühlenindustrie langfristig gut. Denn pflanzliche Proteine werden in Zukunft einen immer größeren Anteil der menschlichen Ernährung ausmachen, vor allem in gesättigten Märkten wie Europa und den USA. Die Konsumenten dort achten zunehmend auf Aspekte wie Tierschutz, Umwelt und Gesundheit, so dass der Fleischkonsum zugunsten von Ersatzprodukten stetig zurückgeht. „Diesen gesellschaftlichen Wandel zu einer nachhaltigen, gesunden und genussreichen Ernährung der Zukunft, in der pflanzliche Produkte eine immer größere Rolle spielen, wollen wir weiter vorantreiben“, fasste Klöpper das Ziel von Deutschlands größtem Mühlenunternehmen abschließend zusammen.
Agrarhandel in Krisenzeiten: Quo vadis Getreidepreise?
Ludwig Striewe, Geschäftsführer der BAT Agrar GmbH & Co. KG, analysierte die aktuelle Situation auf den globalen Getreidemärkten und erläuterte aus Sicht eines der größten deutschen Agrarhändler detailliert die Gründe für die jüngste Preisexplosion. „Der Schlüssel für die weitere Entwicklung der Getreidepreise liegt derzeit vor allem im Kreml“, so die Einstiegsthese des Insiders mit Blick auf den weltweiten Teilmarkt für Weizen. Allerdings sei dies nur die halbe Wahrheit, denn bei der gründlichen Analyse aller Fakten fällt auch auf, dass die Lücke zwischen den vorhandenen Reserven und dem aktuellen Verbrauchsniveau bereits vor dem Krieg in Osteuropa sehr klein war. Der Konflikt verstärke diesen Effekt jedoch, da den Weltmärkten damit größere Getreidemengen aus Russland und der Ukraine entzogen werden und die Reserven der anderen Exportländer bzw. -regionen auf niedrigem Niveau verharrten.
Als Folge der Entwicklung agiert der Agrarhandel derzeit sehr zurückhaltend und fährt nur kleine Positionen. „Denn die Märkte sind von Faktoren abhängig, die nicht einzuschätzen sind“, so Striewe. Die größte Herausforderung sei daher auch die Finanzierung des Bestandes, die ein deutlich erhöhtes Finanzvolumen benötige, während das Hedging größere Finanzierungsreserven erfordere. Allerdings sei zum Beispiel BAT so aufgestellt, dass ein weiterer Preisanstieg beim Getreide aufgefangen werden könne. „Die oberste Prämisse im Agrarhandel ist und bleibt: ‚Kenne deinen Vertragspartner‘.“
Ausblick: Branchendialog Agrar & Ernährung 2023 schon in Vorbereitung
Der 9. Branchendialog Agrar & Ernährung knüpfte für Christoph Havermann nahtlos an die Veranstaltungen der Vorjahre an: „Unser Ziel ist es immer, allen Teilnehmern einen Überblick über die gesamte Branche entlang der Wertschöpfungskette zu geben. Dies ist uns auch in diesem Jahr wieder gut gelungen. Als führender Berater der Agrar- und Ernährungsindustrie freuen wir uns auf die Fortsetzung des Dialogs.“
„Wir hatten einmal mehr starke Vorträge und lebhafte Diskussionen zu zahlreichen aktuellen Themen und wir hoffen, auch 2023 wieder wichtige Impulse für die Branche setzen zu können“, freute sich Klaus-Martin Fischer bereits auf die Jubiläumsausgabe des Branchendialogs Agrar & Ernährung im kommenden Jahr in Düsseldorf.