Die bisherigen Möglichkeiten, nach denen ein MVZ gem. § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V gegründet werden konnte - und zwar die Angestellten- bzw. die Vertragsarzt-Variante - bleiben im Grundsatz bestehen. Bei den einzelnen Konstellationen stellen sich zukünftig aber folgende Herausforderungen:
Angestellten-Variante
Bringen Ärzte zur Gründung eines MVZ ihre bisherige Vertragsarztzulassung durch Verzicht zugunsten ihrer Anstellung ein, um dann im Status eines angestellten Arztes weiter im MVZ tätig zu sein („Angestellten-Variante“), gelten besondere Anforderungen, wenn die Ärzte gleichzeitig Gründer bzw. Eigentümer der MVZ-Trägergesellschaft und / oder deren Geschäftsführer sind. Dass ein Gesellschafter grundsätzlich in „seinem“ MVZ angestellt sein kann, steht laut dem Sechsten Senat des BSG nicht zur Debatte. Fraglich ist, unter welchen Umständen und Voraussetzungen ein nicht geschäftsführungsberechtigter Gesellschafter oder auch ein „Gesellschafter-Geschäftsführer“ angestellt werden kann.
Der Sechste Senat hat sich dafür ausführlich mit der Auslegung des Begriffs der „Anstellung“ auseinandergesetzt und die Rechtsprechung des Zwölften Senats bestätigt, nach der es einer abhängigen Beschäftigung für die Genehmigung der Anstellung eines Vertragsarztes in einem MVZ bedarf. Essenzielle Merkmale für eine Beschäftigung sind danach gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Ist der angestellte Arzt gleichzeitig Gesellschafter der Trägergesellschaft seines „Arbeit- und Weisungsgebers“, kann dies nach Ansicht des BSG problematisch sein. Ein angestellter Gesellschafter soll nicht über seine Gesellschafterstellung die Rechtsmacht besitzen, durch seine „Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können" und so ihm unliebsame Weisungen verhindern.
Es gilt jedoch der Grundsatz, dass ein Gesellschafter, der nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, regelmäßig als abhängig Beschäftigter zu qualifizieren ist. Allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte besitzt ein Gesellschafter nicht die Rechtsmacht, Entscheidungen zu treffen, die seiner Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft zuwiderlaufen.
Ist der angestellte Arzt sowohl Gesellschafter als auch Geschäftsführer stellt der sechste Senat unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Zwölften Senats (BSG, Urteil vom. 07.07.2020, Az. B 12 R 17/18 R; Urteile vom 08.07.2020. Az. B 12 R 26/18 R, B 12 R 4/19 R) klar, dass eine abhängige Beschäftigung nur dann zu bejahen sei, wenn der Gesellschafter weniger als 50 % der Gesellschaftsanteile besitzt und kraft Gesellschaftsvertrags über keine „echte“ / „qualifizierte“ Sperrminorität verfügt. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der lediglich 49% der Kapitalbeteiligung hält und dessen Gesellschaft grundsätzlich mit einer einfachen Mehrheit beschlussfähig ist, besitzt nach Ansicht des Gerichts keine Rechtsmacht, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen würde. Eine echte / qualifizierte Sperrminorität liegt vor, wenn diese nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt ist, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasst. Selbst ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist also nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig.
Ist ein Gesellschafter also nicht gleichzeitig Geschäftsführer, so ist er laut dem BSG regelmäßig abhängig beschäftigt. Erst wenn der Gesellschafter die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer hat, kann er nach Ansicht des BSG nicht mehr als abhängig Beschäftigter gelten. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn er über mindestens 50 % der Gesellschaftsanteile der Trägergesellschaft des MVZ verfügt oder kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Position ihm nicht genehme Weisungen des Geschäftsführers aufgrund einer echten Sperrminorität vermeiden kann.
Für eine Ein-Mann-GmbH folgt hieraus, dass der Gesellschafter, unabhängig davon, ob er gleichzeitig Geschäftsführer der Gesellschaft ist, nicht als abhängig Beschäftigter angesehen werden kann. Eine Gründung des MVZ in dieser Konstellation ist daher in Zukunft nicht mehr in der Angestellten-Variante möglich. Hier bleibt lediglich die Gründung des MVZ in der Vertragsarzt-Variante.
Handelt es sich um eine Zwei-Personen-Gesellschaft, an der jeder Gesellschafter zur Hälfte am Vermögen und an Gewinn und Verlust beteiligt ist, und in der die Geschäftsführung durch die Gesellschafter gemeinsam erfolgt, lehnt das BSG eine abhängige Beschäftigung nach den vorstehenden Maßstäben ab. Als Lösungsweg bietet sich hier die Bestellung eines Fremdgeschäftsführers an. Geschäftsführer einer GmbH, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind („Fremdgeschäftsführer“), sind ausnahmslos abhängig beschäftigt (BSG, Urteil vom 14.03.2018, Az. B 12 KR 13/17 R). Alternativ kommt zum Beispiel die Aufnahme eines dritten Gesellschafters in Betracht. Damit die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer bei der MVZ-GmbH angestellt bleiben können, könnte man die Geschäftsanteile zum Beispiel dritteln, sodass jeder Gesellschafter 33,33 % hält und im Gesellschaftsvertrag festhalten, dass für die Beschlussfassung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. So kann keiner der Gesellschafter die Geschicke der Gesellschaft allein lenken und alle Gesellschafter sind als abhängig Beschäftigte anzusehen. Dieser Gestaltungsansatz dürfte jedoch wenig praktikabel sein.
Es gibt also weiterhin Konstellationen, in denen ein MVZ von Vertragsärzten gegründet werden kann und diese als Gesellschafter angestellt und ggf. sogar als Geschäftsführer der Trägergesellschaft eingesetzt werden können.
Vertragsarzt-Variante
Daneben bleibt noch die genannte Vertragsarzt-Variante, bei der der Arzt neben der Zulassung des MVZ seine vertragsärztliche Zulassung behält und selbstständig im MVZ tätig wird. Diese wird nunmehr regelmäßig bei einer Ein-Mann-GmbH anzuwenden sein, da die Anstellungsvariante wegen der Einflussnahme des Gesellschafters nach der Rechtsprechung des BSG zukünftig ausscheidet. Nun könnte man generell zu dem Schluss gelangen, dass es durch die Rechtsprechung des BSG und die damit einhergehende Komplexität der Anstellungsvariante sinnvoller wäre, in der Vertragsarzt-Variante ein MVZ zu gründen. Bringt ein Vertragsarzt seine Einzelpraxis unter Zurückbehaltung seiner Vertragsarztzulassung in eine MVZ-Trägergesellschaft ein, kann dies aber zu steuerlichen Nachteilen führen (siehe S. XXX). Die Vertragsarzt-Variante ist daher mit Vorsicht zu wählen.
Bestandsschutz für bereits zugelassene in der Angestellten-Variante gegründete MVZ
Bereits zugelassene und in der Angestellten-Variante gegründete MVZ genießen Bestandsschutz und werden durch die Rechtsprechung des BSG zunächst nicht berührt. Es wird aber auch hier in Zukunft Konstellationen geben, zum Beispiel die Aufnahme eines zweiten Gesellschafters in die Ein-Mann-GmbH, in denen die Beteiligten die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der weiteren Überlegungen berücksichtigen müssen.
Fazit
Die Rechtsprechung des BSG macht die unternehmerischen Wege nicht einfacher. Letztlich ist es aber wie so oft eine Betrachtung des Einzelfalls. Einmal mehr verdeutlich das Urteil in der Konsequenz, dass die Disziplinen Recht und Steuern eng zusammenarbeiten sollten und die Gestaltung jeweils nicht losgelöst von den anderen Fachrichtungen betrachtet werden kann.