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Rechtsberatung

BSG schwächt die Position der Vertragsärzte bei der MVZ-Gründung

Mit Ur­teil des Bun­des­so­zi­al­ge­richts (BSG) vom 26.01.2022 hat die­ses klar­ge­stellt, in wel­chen Kon­stel­la­tio­nen der Zu­las­sungs­aus­schuss (ZA) die Ge­neh­mi­gung der An­stel­lung von Ärz­ten in einem MVZ un­ter Ver­weis auf eine abhängige Be­schäfti­gung ab­leh­nen kann. Die zwi­schen­zeit­lich veröff­ent­lich­ten Ur­teilsgründe bestäti­gen die befürch­te­ten Schwie­rig­kei­ten, die seit Ja­nuar so­wohl die Zu­las­sungs­aus­schüsse als auch die an­walt­li­chen Be­ra­ter der Ärzte in aus­geprägtem Maße und un­ter­schied­li­chen Rich­tun­gen be­schäfti­gen. Nach der bis­he­ri­gen Er­fah­rung über­tra­gen die Zu­las­sungs­aus­schüsse die Recht­spre­chung des BSG so­wohl auf MVZ-Träger­ge­sell­schaf­ten in der Rechts­form der Ge­sell­schaft bürger­li­chen Rechts wie auch in der Rechts­form der GmbH. Zukünf­tig sind da­her un­ter­schied­li­che Ge­stal­tun­gen zu durch­den­ken, um un­ter­neh­me­ri­sche Ideen ver­trags­arzt­recht­lich um­set­zen zu können.

Die bis­he­ri­gen Möglich­kei­ten, nach de­nen ein MVZ gem. § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V gegründet wer­den konnte - und zwar die An­ge­stell­ten- bzw. die Ver­trags­arzt-Va­ri­ante - blei­ben im Grund­satz be­ste­hen. Bei den ein­zel­nen Kon­stel­la­tio­nen stel­len sich zukünf­tig aber fol­gende Her­aus­for­de­run­gen:

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Angestellten-Variante

Brin­gen Ärzte zur Gründung ei­nes MVZ ihre bis­he­rige Ver­trags­arzt­zu­las­sung durch Ver­zicht zu­guns­ten ih­rer An­stel­lung ein, um dann im Sta­tus ei­nes an­ge­stell­ten Arz­tes wei­ter im MVZ tätig zu sein („An­ge­stell­ten-Va­ri­ante“), gel­ten be­son­dere An­for­de­run­gen, wenn die Ärzte gleich­zei­tig Gründer bzw. Ei­gentümer der MVZ-Träger­ge­sell­schaft und / oder de­ren Ge­schäftsführer sind. Dass ein Ge­sell­schaf­ter grundsätz­lich in „sei­nem“ MVZ an­ge­stellt sein kann, steht laut dem Sechs­ten Se­nat des BSG nicht zur De­batte. Frag­lich ist, un­ter wel­chen Umständen und Vor­aus­set­zun­gen ein nicht ge­schäftsführungs­be­rech­tig­ter Ge­sell­schaf­ter oder auch ein „Ge­sell­schaf­ter-Ge­schäftsführer“ an­ge­stellt wer­den kann.

Der Sechste Se­nat hat sich dafür ausführ­lich mit der Aus­le­gung des Be­griffs der „An­stel­lung“ aus­ein­an­der­ge­setzt und die Recht­spre­chung des Zwölf­ten Se­nats bestätigt, nach der es ei­ner abhängi­gen Be­schäfti­gung für die Ge­neh­mi­gung der An­stel­lung ei­nes Ver­trags­arz­tes in einem MVZ be­darf. Es­sen­zi­elle Merk­male für eine Be­schäfti­gung sind da­nach gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Tätig­keit nach Wei­sun­gen und eine Ein­glie­de­rung in die Ar­beits­or­ga­ni­sa­tion des Wei­sungs­ge­bers.

Ist der an­ge­stellte Arzt gleich­zei­tig Ge­sell­schaf­ter der Träger­ge­sell­schaft sei­nes „Ar­beit- und Wei­sungs­ge­bers“, kann dies nach An­sicht des BSG pro­ble­ma­ti­sch sein. Ein an­ge­stell­ter Ge­sell­schaf­ter soll nicht über seine Ge­sell­schaf­ter­stel­lung die Rechts­macht be­sit­zen, durch seine „Ein­fluss­nahme auf die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung die Ge­schi­cke der Ge­sell­schaft be­stim­men zu können" und so ihm un­lieb­same Wei­sun­gen ver­hin­dern.

Es gilt je­doch der Grund­satz, dass ein Ge­sell­schaf­ter, der nicht zum Ge­schäftsführer be­stellt ist, re­gelmäßig als abhängig Be­schäftig­ter zu qua­li­fi­zie­ren ist. Al­lein auf­grund sei­ner ge­setz­li­chen Ge­sell­schaf­ter­rechte be­sitzt ein Ge­sell­schaf­ter nicht die Rechts­macht, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, die sei­ner Wei­sungs­ge­bun­den­heit als An­ge­stell­ter der Ge­sell­schaft zu­wi­der­lau­fen.

Ist der an­ge­stellte Arzt so­wohl Ge­sell­schaf­ter als auch Ge­schäftsführer stellt der sechste Se­nat un­ter Ver­weis auf die ständige Recht­spre­chung des Zwölf­ten Se­nats (BSG, Ur­teil vom. 07.07.2020, Az. B 12 R 17/18 R; Ur­teile vom 08.07.2020. Az. B 12 R 26/18 R, B 12 R 4/19 R) klar, dass eine abhängige Be­schäfti­gung nur dann zu be­ja­hen sei, wenn der Ge­sell­schaf­ter we­ni­ger als 50 % der Ge­sell­schafts­an­teile be­sitzt und kraft Ge­sell­schafts­ver­trags über keine „echte“ / „qua­li­fi­zierte“ Sperr­mi­no­rität verfügt. Ein Ge­sell­schaf­ter-Ge­schäftsführer, der le­dig­lich 49% der Ka­pi­tal­be­tei­li­gung hält und des­sen Ge­sell­schaft grundsätz­lich mit ei­ner ein­fa­chen Mehr­heit be­schlussfähig ist, be­sitzt nach An­sicht des Ge­richts keine Rechts­macht, die ge­gen eine abhängige Be­schäfti­gung spre­chen würde. Eine echte / qua­li­fi­zierte Sperr­mi­no­rität liegt vor, wenn diese nicht auf be­stimmte An­ge­le­gen­hei­ten der Ge­sell­schaft be­grenzt ist, son­dern un­ein­ge­schränkt die ge­samte Un­ter­neh­menstätig­keit um­fasst. Selbst ein Ge­sell­schaf­ter-Ge­schäftsführer ist also nicht per se kraft sei­ner Ka­pi­tal­be­tei­li­gung selbstständig tätig.

Ist ein Ge­sell­schaf­ter also nicht gleich­zei­tig Ge­schäftsführer, so ist er laut dem BSG re­gelmäßig abhängig be­schäftigt. Erst wenn der Ge­sell­schaf­ter die Lei­tungs­macht ge­genüber dem Ge­schäftsführer hat, kann er nach An­sicht des BSG nicht mehr als abhängig Be­schäftig­ter gel­ten. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn er über min­des­tens 50 % der Ge­sell­schafts­an­teile der Träger­ge­sell­schaft des MVZ verfügt oder kraft sei­ner ge­sell­schafts­recht­li­chen Po­si­tion ihm nicht ge­nehme Wei­sun­gen des Ge­schäftsführers auf­grund ei­ner ech­ten Sperr­mi­no­rität ver­mei­den kann.

Für eine Ein-Mann-GmbH folgt hier­aus, dass der Ge­sell­schaf­ter, un­abhängig da­von, ob er gleich­zei­tig Ge­schäftsführer der Ge­sell­schaft ist, nicht als abhängig Be­schäftig­ter an­ge­se­hen wer­den kann. Eine Gründung des MVZ in die­ser Kon­stel­la­tion ist da­her in Zu­kunft nicht mehr in der An­ge­stell­ten-Va­ri­ante möglich. Hier bleibt le­dig­lich die Gründung des MVZ in der Ver­trags­arzt-Va­ri­ante.

Han­delt es sich um eine Zwei-Per­so­nen-Ge­sell­schaft, an der je­der Ge­sell­schaf­ter zur Hälfte am Vermögen und an Ge­winn und Ver­lust be­tei­ligt ist, und in der die Ge­schäftsführung durch die Ge­sell­schaf­ter ge­mein­sam er­folgt, lehnt das BSG eine abhängige Be­schäfti­gung nach den vor­ste­hen­den Maßstäben ab. Als Lösungs­weg bie­tet sich hier die Be­stel­lung ei­nes Fremd­ge­schäftsführers an. Ge­schäftsführer ei­ner GmbH, die nicht am Ge­sell­schafts­ka­pi­tal be­tei­ligt sind („Fremd­ge­schäftsführer“), sind aus­nahms­los abhängig be­schäftigt (BSG, Ur­teil vom 14.03.2018, Az. B 12 KR 13/17 R). Al­ter­na­tiv kommt zum Bei­spiel die Auf­nahme ei­nes drit­ten Ge­sell­schaf­ters in Be­tracht. Da­mit die bei­den Ge­sell­schaf­ter-Ge­schäftsführer bei der MVZ-GmbH an­ge­stellt blei­ben können, könnte man die Ge­schäfts­an­teile zum Bei­spiel drit­teln, so­dass je­der Ge­sell­schaf­ter 33,33 % hält und im Ge­sell­schafts­ver­trag fest­hal­ten, dass für die Be­schluss­fas­sung eine Zwei­drit­tel­mehr­heit er­for­der­lich ist. So kann kei­ner der Ge­sell­schaf­ter die Ge­schi­cke der Ge­sell­schaft al­lein len­ken und alle Ge­sell­schaf­ter sind als abhängig Be­schäftigte an­zu­se­hen. Die­ser Ge­stal­tungs­an­satz dürfte je­doch we­nig prak­ti­ka­bel sein.

Es gibt also wei­ter­hin Kon­stel­la­tio­nen, in de­nen ein MVZ von Ver­tragsärz­ten gegründet wer­den kann und diese als Ge­sell­schaf­ter an­ge­stellt und ggf. so­gar als Ge­schäftsführer der Träger­ge­sell­schaft ein­ge­setzt wer­den können.

Vertragsarzt-Variante

Da­ne­ben bleibt noch die ge­nannte Ver­trags­arzt-Va­ri­ante, bei der der Arzt ne­ben der Zu­las­sung des MVZ seine ver­tragsärzt­li­che Zu­las­sung behält und selbstständig im MVZ tätig wird. Diese wird nun­mehr re­gelmäßig bei ei­ner Ein-Mann-GmbH an­zu­wen­den sein, da die An­stel­lungs­va­ri­ante we­gen der Ein­fluss­nahme des Ge­sell­schaf­ters nach der Recht­spre­chung des BSG zukünf­tig aus­schei­det. Nun könnte man ge­ne­rell zu dem Schluss ge­lan­gen, dass es durch die Recht­spre­chung des BSG und die da­mit ein­her­ge­hende Kom­ple­xität der An­stel­lungs­va­ri­ante sinn­vol­ler wäre, in der Ver­trags­arzt-Va­ri­ante ein MVZ zu gründen. Bringt ein Ver­trags­arzt seine Ein­zel­pra­xis un­ter Zurück­be­hal­tung sei­ner Ver­trags­arzt­zu­las­sung in eine MVZ-Träger­ge­sell­schaft ein, kann dies aber zu steu­er­li­chen Nach­tei­len führen (siehe S. XXX). Die Ver­trags­arzt-Va­ri­ante ist da­her mit Vor­sicht zu wählen.

Bestandsschutz für bereits zugelassene in der Angestellten-Variante gegründete MVZ

Be­reits zu­ge­las­sene und in der An­ge­stell­ten-Va­ri­ante gegründete MVZ ge­nießen Be­stands­schutz und wer­den durch die Recht­spre­chung des BSG zunächst nicht berührt. Es wird aber auch hier in Zu­kunft Kon­stel­la­tio­nen ge­ben, zum Bei­spiel die Auf­nahme ei­nes zwei­ten Ge­sell­schaf­ters in die Ein-Mann-GmbH, in de­nen die Be­tei­lig­ten die ak­tu­el­len Ent­wick­lun­gen im Rah­men der wei­te­ren Über­le­gun­gen berück­sich­ti­gen müssen.

Fazit

Die Recht­spre­chung des BSG macht die un­ter­neh­me­ri­schen Wege nicht ein­fa­cher. Letzt­lich ist es aber wie so oft eine Be­trach­tung des Ein­zel­falls. Ein­mal mehr ver­deut­lich das Ur­teil in der Kon­se­quenz, dass die Dis­zi­pli­nen Recht und Steu­ern eng zu­sam­men­ar­bei­ten soll­ten und die Ge­stal­tung je­weils nicht los­gelöst von den an­de­ren Fach­rich­tun­gen be­trach­tet wer­den kann.

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