Die Beschlusskammern 8 (Netzentgelte Strom) und 9 (Netzentgelte Gas) der Bundesnetzagentur (BNetzA) haben mit zwei Festlegungen (Az. BK8-19/00002-A, im Folgenden: „Festlegung Strom“ und Az. BK9-19613-1, im Folgenden: „Festlegung Gas“) am 25.11.2019 gemäß § 6b Abs. 6 i. V. m. § 29 Abs. 1 EnWG zusätzliche Vorgaben für die Erstellung und Prüfung von Jahresabschlüssen und Tätigkeitsabschlüssen gegenüber vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen und rechtlich selbständigen Netzbetreibern aufgestellt.
Adressaten der Festlegungen sind Unternehmen nach § 6b Abs. 1 EnWG, die dem Zuständigkeitsbereich der BNetzA unterliegen. Das ist der Fall, wenn über das jeweilige Bundesland hinausgehend ein Versorgungsgebiet vorliegt und/oder mindestens 100.000 Kunden mittelbar oder unmittelbar an das Netz angeschlossen sind, sowie die Fälle der Organleihe für den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen sowie Schleswig-Holstein. Im Hinblick auf die Organleihen wurden gleichlautende Festlegungen mit abweichenden Aktenzeichen getroffen. Für Baden-Württemberg gelten zudem die Prüfungsschwerpunkt-Vorgaben vom 2.6.2015 für bestimmte Unternehmen im Anwendungsbereich der Landesregulierungsbehörde (LRegbBW). Weitere Bundesländer haben (i. d. R.) gleichlautende Festlegungen (ggf. noch im Entwurfsstadium) getroffen - allerdings mit unterschiedlichen Anwendungszeitpunkten.
Der Energiefachausschuss (EFA) des IDW hat am 26.6.2020 einen Entwurf eines IDW Prüfungsstandards: Gesonderte Prüfung aufgrund der Festlegungen der BNetzA nach § 6b Abs. 6 i. V. m. § 29 EnWG (IDW EPS 611) verabschiedet und im Vorfeld mit der BNetzA erörtert.
Die Festlegungen sind für Jahres- und Tätigkeitsabschlüsse mit einem Bilanzstichtag ab dem 30.9.2020 anzuwenden. Der IDW EPS 611 findet auf Berichtszeiträume, die nach dem 30.9.2020 beginnen, mit Ausnahme von Rumpfgeschäftsjahren, welche vor dem 30.9.2021 enden, Anwendung. Eine freiwillige vorzeitige Anwendung ist zulässig.
Beim OLG Düsseldorf wurden mehrere Beschwerden zu den Festlegungen Strom und Gas eingelegt. Die Verhandlung im Hauptsachverfahren ist auf den 3.3.2021 terminiert.
Hinweis: Der Ausgang der Verhandlungen kann derzeit nicht abgeschätzt werden. Unseres Erachtens sollte bei Aufstellung der Abschlüsse bis zum 3.3.2021 die Festlegungen bereits berücksichtigt werden. Vorjahresangaben sind bei der erstmaligen Anwendung nicht erforderlich.
Verpflichtete Unternehmen nach § 6b Abs. 1 EnWG
Als in diesem Sinne verpflichtete Unternehmen gelten:
- Rechtlich selbstständige Netzbetreiber,
- verbundene, vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen, die Tätigkeiten der Elektrizitätsverteilung und/oder -übertragung bzw. Gasverteilung und/oder -fernleitung ausüben,
- Unternehmen, welche energiespezifische Dienstleistungen für die Tätigkeitsbereiche Elektrizitätsübertragung, -verteilung, Gasverteilung und -fernleitung gegenüber einem anderen Unternehmen erbringen,
- Unternehmen, welche energiespezifische Dienstleistungen für die Tätigkeitsbereiche Elektrizitätsübertragung, -verteilung, Gasverteilung und -fernleitung gegenüber verbundenen, vertikal integrierten Unternehmen erbringen.
Erfasste Dienstleistungen
Unter energiespezifische Dienstleistungen fallen sowohl unmittelbare als auch mittelbare Dienstleistungen. Unmittelbare energiespezifische Dienstleistungen stellen kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben dar. Beispielhaft sind hier zu nennen:
- Netzwartung und -instandsetzung,
- Netzführung,
- Netzerneuerung,
- Zählerauswertung.
Der Begriff der mittelbaren Dienstleistungen ist weiter auszulegen. Eine fehlende externe Ausschreibungsmöglichkeit spricht entschieden für eine spezielle, in der Energiewirtschaft angebotenen und damit energiespezifischen Dienstleistung. Beispielhaft sind hier zu nennen:
- IT-Dienstleistungen, welche speziell in der Energiewirtschaft angeboten werden und keine Standardsoftware darstellen,
- energierechtliche Beratung,
- Verbrauchsabrechnung,
- Bewirtschaftung von Bilanzkreisen,
- Energiebeschaffung und -handel,
- Telekommunikationsleistungen, wenn spezielle Anschlüsse für den Netzbetrieb vorhanden sind,
- Vermietung netzspezifischer Gebäude,
- Kunden-Management, bspw. Call Center für Störungen, oder energiewirtschaftliche Beratung.
In den Festlegungen vertritt die BNetzA die Auffassung, dass Geschäftsführungs- und Controllingleistungen, die nicht auch am Markt erbracht werden, zu energiespezifischen Dienstleistungen zu zählen sind. Demgegenüber stellen Lohnabrechnungen oder der Betrieb der Kantine keine energiespezifischen Dienstleistungen dar.
Erbringt ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen (viEVU) sowohl energiespezifische als auch sonstige Dienstleistungen für einen verbundenen Netzbetreiber, könnten laut Festlegung beide Dienstleistungen als energiespezifisch eingestuft werden, um Zuordnungsschwierigkeiten zu vermeiden. Der IDW fordert vom Abschlussprüfer die Einsichtnahme in die Dokumentation und Würdigung der Abgrenzungskriterien, ob die energiespezifischen von den sonstigen Dienstleistungen korrekt abgegrenzt wurden. Hierfür ist das Kriterium maßgeblich, ob diese objektiv und speziell für die Energiewirtschaft angeboten werden. Der IDW EPS 611 verweist hier auf Abschn. II. 5.1 der Festlegungen sowie auf das Begleitdokument zu den Festlegungen.
Hinweis: Sollten zwischen dem eigentlichen Erbringer der energiespezifischen Dienstleistungen und dem Netzbetreiber weitere verbundene, vertikal integrierte Unternehmen zwischengeschaltet sein, müssen für alle beteiligten Unternehmen Tätigkeitsabschlüsse aufgestellt werden und die energiespezifischen Dienstleistungen zugeordnet werden.
Zuordnung von Leistungen und Posten zu den Tätigkeitsbereichen
Gemäß der BNetzA müssen die Leistungen den Tätigkeitsbereichen der Elektrizität- und Gasverteilung zugeordnet werden. Derzeit sieht der einschlägige IDW Rechnungslegungsstandard (IDW RS ÖFA 2) noch eine andere Sichtweise vor, in welcher die Leistungen zu den Tätigkeitsbereichen „Sonstige Elektrizität“ und „Sonstige Gas“ zugeordnet werden. Bei dieser bislang überwiegend vorzufindenden Sichtweise müssen im Jahresabschluss keine Tätigkeitsabschlüsse für die Elektrizitäts- und Gasverteilung aufgestellt werden und lediglich eine Kontentrennung erfolgen. Im Falle der Anwendung der abweichenden Sichtweise wäre die Festlegung jedoch ausgehebelt.
Hinweis: Aufgrund der unklaren rechtlichen Verbindlichkeit der Festlegungen besteht derzeit auch im EFA reger Diskussionsbedarf. Nach unseren Informationen wird diese Sichtweise voraussichtlich keine Einschränkung des Bestätigungsvermerks nach sich ziehen. Auf eine abschließende Klärung muss jedoch noch gewartet werden, bis dahin sind auch die Berichtspflichten des Adressaten (z. B. im Anhang) sowie des Abschlussprüfers im Prüfungsbericht und ggf. als sonstiger Hinweis im Bestätigungsvermerk bei Beziehung auf die abweichende Sichtweise noch offen.
Konstellation der Dienstleistungsunternehmen
Sollte z. B. eine IT-Dienstleistungsgesellschaft energiespezifische Dienstleistungen an eine Abrechnungsgesellschaft erbringen, welche die Verbrauchsabrechnung für die Netzgesellschaft im viEVU durchführt, führt dies dazu, dass sowohl die IT-Dienstleistungsgesellschaft als auch die Abrechnungsgesellschaft Kontentrennung anwenden und Tätigkeitsabschlüsse (Elektrizitäts- und/oder Gasverteilung) aufstellen müssen. Bei dieser Konstellation ergibt sich die oben beschriebene Auslegungsproblematik bezüglich der Zuordnung der energiespezifischen Dienstleistung oder den sonstigen Tätigkeiten.
Hinweis: Im Falle von mittelbaren energiespezifischen Dienstleistungen wird insb. in Konzernstrukturen mit komplexen Verflechtungen die Informationsbeschaffung problematisch sein, um die mittelbar weitergeleitete Dienstleistung den einzelnen Tätigkeitsbereichen Elektrizitäts- und Gasverteilung und den weiteren Tätigkeitsbereichen zuzuordnen.
Besonderheit bei mehreren Empfängern von energiespezifischen Dienstleistungen
Im Falle von mehreren Leistungsempfängern gibt es zwei denkbare Alternativen, die an folgendem Beispiel verdeutlicht werden sollen.
Ausgangssachverhalt: Eine Abrechnungsgesellschaft führt die Verbrauchsabrechnung für eine Gas-Netzgesellschaft (A) und einen Strom- und Gas Netzgesellschaft (B) durch.
- In jedem Fall müssen sowohl die Gesellschaft A als auch die Gesellschaft B getrennte Kontenführung anwenden und Tätigkeitsabschlüsse aufstellen, wohingegen in der ersten Alternative die Abrechnungsgesellschaft je einen Tätigkeitsabschluss Elektrizitätsverteilung und einen gemeinsamen Tätigkeitsabschluss Gasverteilung aufstellen muss.
- Bei der zweiten Alternative bleibt es dabei, dass sowohl die Gesellschaft A als auch die Gesellschaft B eine getrennte Kontenführung vorzunehmen und Tätigkeitsabschlüsse aufzustellen haben. Jedoch könnte die Abrechnungsgesellschaft nun einen Tätigkeitsabschluss für Elektrizitätsverteilung und je einen Tätigkeitsabschluss Gasverteilung für die Gesellschaft A und einen weiteren Tätigkeitsabschluss Gasverteilung für die Gesellschaft B aufstellen.
Für die Aufteilung der Tätigkeitsabschlüsse nach Leistungsempfänger liegt hier ein Wahlrecht vor. Den Verpflichteten wird die Möglichkeit eingeräumt ihre Tätigkeitsabschlüsse nach den Leistungsempfängern aufzuteilen.
Hinweis: Es ist zu erwarten, dass die BNetzA für Zwecke der Kostenprüfung gemäß § 28 StromNEV/Gas NEV die aufgeschlüsselten Daten anfordern wird.
Insgesamt ist festzustellen, dass es weiterhin offene Auslegungsfragen gibt. Dadurch und infolge der erweiterten Prüfungs- und Berichtspflichten des Abschlussprüfers wird es mit hinreichender Sicherheit zu einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand kommen.