CCS als notwendiges Instrument der Dekarbonisierung
In einigen Industriebereichen (z. B. der Zement- und Kalkindustrie, Bereichen der Grundstoffchemie, der Abfallverbrennung) ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik das Potential zur Vermeidung von CO2-Emissionen sehr gering. Wenn solche Industrien am Standort Deutschland eine langfristige Perspektive haben sollen, dann muss man ihnen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Bemühungen um eine Dekarbonisierung der Wirtschaft tragfähige Brücken bauen. Eine solche „Brückentechnologie“ ist die Carbon Capture and Storage (CCS)-Technik. Sofern CO2 dabei nicht gespeichert, sondern nachfolgend in anderen industriellen Prozessen genutzt werden soll, spricht man von der Variante des Carbon Capture and Usage (CCU).
Im europäischen Ausland wird die CCS-Technik bereits seit geraumer Zeit erprobt. Der Einsatz von CCS ist fester Bestandteil der Klimaschutzpolitik der EU. Ebenso geht der Weltklimarat davon aus, dass CCS in emissionsintensiven Industriesektoren eine notwendige Klimaschutztechnologie zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels ist. Schließlich hat auch die Bundesregierung letzte ideologische Hürden überwunden und am 26.02.2024 mit der Vorlage von Eckpunkten für eine Carbon-Management-Strategie den „Wiedereinstieg“ in die Nutzung der CCS-Technik in Aussicht gestellt. Zur Umsetzung dieser Strategie muss auch die bisherige gesetzliche Grundlage, das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG), überarbeitet werden.
Einen Referentenentwurf für diese anstehende Novelle hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) ebenfalls am 26.02.2024 veröffentlicht. Am 29.05.2024 hat das Bundeskabinett nun die Eckpunkte sowie die Gesetzesnovelle in überarbeiteter Fassung beschlossen.
Die drei Stufen von CCS
Zur richtigen Einordnung der technischen Komplexität von CCS sowie des bisherigen gesetzlichen Rahmens ist es erforderlich, sich die drei Verfahrensschritte von CCS vor Augen zu führen: lm ersten Schritt erfolgt (1) die Abscheidung von CO2 aus den Emissionen einer Industrieanlage oder eines Kraftwerks, sodann (2) die Phase des Transports des CO2 zu einer unterirdischen Lagerstätte und schließlich (3) die dauerhafte Verpressung und Speicherung des CO2 im Untergrund.
Anlagen zur Abscheidung von CO2 werden dabei nach den Vorgaben des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) genehmigt. Die Zulassung von CO2-Transportleitungen sowie von unterirdischen Kohlendioxidspeichern richtet sich hingegen nach dem 2012 neu erlassenen Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG).
Der dritte und abschließende Teil dieser Prozesskette - die langfristige Speicherung von CO2 im tiefen geologischen Untergrund - ist dabei die bergmännische Komponente der CCS-Technologie und enthält gleichzeitig das größte Risikopotential für Mensch und Umwelt, um das sich der Schwerpunkt der Bedenken gegen CCS im letzten Jahrzehnt in Politik und Öffentlichkeit drehte. Der überwiegende Teil der Regelungen des KSpG betrifft dementsprechend diesen letzten Verfahrensschritt.
Das KSpG als Rechtsgrundlage
Das 2012 unter dem Namen „Gesetz zur Demonstration der dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid“ verabschiedete KSpG enthält u. a. umfassende Regelungen für die Genehmigung von Untersuchungen des Untergrunds, die Planfeststellung für Errichtung und Betrieb von CO2-Speichern sowie die abschließende Stilllegung von Speicherstätten. In seiner Struktur als eine Art „Sonderbergrecht“ bietet das Gesetz daher eine Vielfalt an Anschauungs- und Vergleichsmaterial für die seit geraumer Zeit angedachte Modernisierung des Bundesberggesetzes (BBergG).
Als gesetzlicher Rahmen für die CCS-Technologie ist das KSpG jedoch ein „Kuriosum“ geblieben. Seine äußerst restriktiven Vorgaben über Speichermengen und Antragsfristen haben dazu geführt, dass der Einsatz der CCS-Technologie in Deutschland heute faktisch verboten ist. Hinzu kommt die gesetzgeberische Besonderheit, dass den Bundesländern über die sog. „Länderklausel“ die Möglichkeit eingeräumt wurde, den Einsatz von CCS auf ihren Hoheitsgebieten von vornherein auszuschließen. Insbesondere die als besonders geeignet angesehenen norddeutschen Flächenländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben von dieser „opt-out“-Möglichkeit umgehend Gebrauch gemacht.
Vor diesem Hintergrund wurde das KSpG seit seinem Inkrafttreten vielfach als „CCS-Verhinderungsgesetz“ bezeichnet. Als Grundlage für eine substanzielle Nutzung von CCS in Deutschland kann das KSpG daher nur nach einer gründlichen Novellierung taugen - eine solche wird von der Bundesregierung nun aber ins Auge gefasst.
Die neue Carbon Management-Strategie
Die „Eckpunkte der Bundesregierung für eine Carbon Management-Strategie“ bewegen sich in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite soll CCS als Instrument auf dem Wege der Dekarbonisierung ermöglicht werden. Auf der anderen Seite soll der Einsatz dieser Technologie aber nicht dazu führen, dass die Bemühungen um eine substanzielle Reduzierung von CO2-Emissionen wieder nachlassen.
Für die weitere Erarbeitung der Carbon Management-Strategie hat die Bundesregierung vor diesem Hintergrund u. a. folgende Maßgaben getroffen:
- Die Erkundung von Offshore-Speicherstätten in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und dem Festlandsockel soll gesetzlich ermöglicht werden. An geeigneten Standorten sollen Speicher für die industrielle Nutzung erschlossen werden.
- Die Bundesrepublik Deutschland soll die Änderung des London-Protokolls zur Ermöglichung des CO2-Exports zum Zwecke der Offshore-Speicherung ratifizieren und die erforderlichen Änderungen am Hohe-See-Einbringungsgesetz
- Die dauerhafte Speicherung von CO2 im geologischen Untergrund des deutschen Festlands (Onshore-Speicherung) soll auch weiterhin nicht möglich sein.
- Über die Förderrichtlinie Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (FRL BIK) soll eine Förderung von CCS/CCU ermöglicht werden. Der Schwerpunkt der staatlichen Förderung soll sich jedoch auf schwer oder nicht vermeidbare Emissionen fokussieren.
- Für Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern oder Biomasse soll die Anwendung von CCS/CCU im Sinne eines „technologieoffenen Übergangs zu einem klimaneutralen Stromsystem“ ermöglicht werden. Bei einer Verstromung von fossilen Energieträgern soll jedoch keine Förderung erfolgen.
- Mit Blick auf den Kohleausstieg soll für Emissionen aus der Kohle-Verstromung der Zugang zu CO2-Pipelines ausgeschlossen sein.
- Die im Moment bestehenden rechtlichen Hürden für den Einsatz von CCS/CCU und der Errichtung von CO2-Pipelines in privater Trägerschaft sollen insbesondere durch eine Überarbeitung des KSpG behoben werden.
Die Novelle des KSpG
Ein zentraler Teil dieser Strategie ist somit die Novellierung des KSpG, welches im bislang vorliegenden Entwurf den Namen „Kohlendioxid-Speicherungs- und Transportgesetz (KSpTG) trägt. Das Gesetz soll die Errichtung und den Betrieb von kommerziell betriebenen CO2-Speichern im industriellen Maßstab auf dem Gebiet des Festlandsockels und in der ausschließlichen Wirtschaftszone - nicht aber an Land - ermöglichen. Hierfür sollen der Gesetzeszweck, der Geltungsbereich, eine Reihe von Begriffsbestimmungen geändert sowie insbesondere das Planfeststellungsverfahren für CO2-Leitungen dem Verfahren für Leitungsvorhaben nach dem EnWG angeglichen werden.
Bemerkenswert ist dabei, dass sich die Gesetzesinitiative - nach den Erfahrungen mit dem Widerstand in den Ländern beim Erlass des KSpG in 2012 - nun prinzipiell nur noch auf die Offshore-Speicherung von CO2 bezieht. Mit Blick auf eine mögliche Onshore-Speicherung hat jedoch eine „Opt-in“-Lösung Eingang in den Gesetzentwurf gefunden. Somit können einzelne Bundesländer über die durch Bundesgesetz ermöglichte Offshore-Speicherung hinaus auf ihrem jeweiligen Landesgebiet eine Onshore-Speicherung von CO2 zulassen. Ob Bundesländer sich für diesen Weg entscheiden, erscheint im Moment unwahrscheinlich, bleibt aber abzuwarten.
Mit Blick auf diese Hinwendung zur Offshore-Nutzung von CCS sieht der Gesetzesentwurf auch vor, dass es dadurch zu keiner Beeinträchtigung des Baus und Betriebs von Wasserstoffleitungen, Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen kommen darf - denn schließlich dient der ohnehin knappe, der Bundesrepublik zur Verfügung stehende Meeresraum auch dem Ausbau der Windenergie. Des Weiteren soll auch eine CO2-Speicherung in Meeresschutzgebieten ausgeschlossen bleiben.
Fazit und Ausblick
Die Carbon Management-Strategie und auch die KSpG-Novelle sind gegenwärtig noch nicht im finalen Stadium, sodass weitere Anpassungen und Änderungen noch abzuwarten sind. Festzuhalten ist jedoch bereits jetzt, dass der „CCS-Wiedereinstieg“ Chancen für eine Reihe von Industrien bietet.
Die im Eckpunktepapier als besonders emissionsintensiv genannten Bereiche der Zement- und Kalkindustrie, der Grundstoffchemie sowie der Abfallverbrennung sind nicht abschließend, sondern nur beispielhaft genannt. Es können also auch noch weitere Industriebereiche die Möglichkeiten von CCS/CCU nutzen. Betroffene Unternehmen sollten daher frühzeitig prüfen, ob eine Nutzung von CCS/CCU für sie eine wirtschaftliche Alternative sein kann. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Nutzung dieser Technologie günstiger ist als die Emissionszertifikate, welche das Unternehmen ansonsten zu erwerben hätte. Ein zusätzlicher Anreiz ist die vorgesehene staatliche Förderung entsprechender Projekte über die Förderrichtlinie Bundesförderung Industrie und Klimaschutz.
Ebenfalls fällt auf, dass zwar Betreiber von Kohlekraftwerken und Kohle-Kraft-Wärmekoppelungs-Anlagen nicht von CCS/CCU profitieren sollen, Gaskraftwerke und Biomasseanlagen aber ausdrücklich zugelassen werden. Ferner wird die Errichtung der erforderlichen CO2-Transportinfrastruktur (Pipelines) von den jeweiligen industriellen Zentren bis an die Küste ein finanzieller und technischer Kraftakt, aber auch eine Geschäftschance für Akteure der Energiewirtschaft (Netzbetreiber) und flankierender Branchen.
Ob sich diese Chancen realisieren lassen, ist gegenwärtig noch offen. Viel wird davon abhängen, ob die Carbon Management-Strategie und die gesetzlichen Anpassungen nun zügig finalisiert werden, damit kommerzielle CCS/CCU-Projekte schnellstmöglich Planungssicherheit erhalten.