Im Streitfall wurden wegen Verdachts eines gewichtigen Compliance-Verstoßes im Oktober 2018 von einem Compliance-Team unternehmensinterne Untersuchungen zur Sachverhaltsaufklärung angestellt. Die Untersuchungen wurden im Juni 2019 unterbrochen und der Geschäftsführung die bisherigen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht am 19.09.2019 zur Verfügung gestellt, damit diese über weitere, u. a. auch arbeitsrechtliche Maßnahmen entscheiden konnte. Daraufhin wurde das in Frage stehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.09.2019 fristlos gekündigt. Der betroffene Arbeitnehmer machte geltend, die Kündigung sei nicht fristgerecht ausgesprochen worden.
Das BAG stellte in seiner Entscheidung klar, dass es für die Zwei-Wochen-Frist ausschließlich auf die Kenntnis der (kündigungsberechtigten) Geschäftsführer ankommt. Die Kenntnis des Compliance-Teams oder des Leiters der Compliance-Abteilung sei nicht maßgeblich. Ein Arbeitgeber kann sich nach § 242 BGB allerding dann nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn er selbst es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die spätere Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt. Eine solche unzulässige Rechtsausübung setzt nach Ansicht des BAG zumindest voraus, dass die Verspätung, mit der ein für den Arbeitgeber Kündigungsberechtigter Kenntnis erlangt, auf einer unsachgemäßen Organisation beruht, die sich als Verstoß gegen Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB darstellt. Da selbst grob fahrlässige Unkenntnis die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht in Gang setzt, begründet nicht schon jede Unkenntnis aufgrund eines Organisationsverschuldens eine unzulässige Rechtsausübung. Der Kündigungsberechtigte muss vielmehr den Informationsfluss zielgerichtet verhindert oder zumindest in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise ein den Informationsfluss behinderndes sachwidriges und überflüssiges Organisationsrisiko geschaffen haben. Zudem kommt ein missbräuchliches Berufen auf den späteren Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Kündigungsberechtigten nur in Betracht, wenn die nicht kündigungsberechtigte Person, die bereits früher Kenntnis erlangt hat, eine so herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehat, dass sie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Beide Voraussetzungen (ähnlich selbstständige Stellung und treuwidriger Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung) müssen kumulativ vorliegen und vom Gericht positiv festgestellt werden.
Hinweis: Das BAG betont, dass das Recht zur fristlosen Kündigung nicht ausgeschlossen sei, solange eine Compliance-Untersuchung läuft - und zwar auch, wenn sich diese gegen eine Vielzahl von potenziell Betroffenen richtet und deshalb lange dauert.