Zusammen mit einem Beraterteam um den Restrukturierungsanwalt Jan Hendrik Groß, Partner bei Ebner Stolz in Köln, und den Unternehmensberater Prof. Dr. Heiko Aurenz, Partner bei Ebner Stolz in Stuttgart, konnte das Unternehmen zum 01.09.2020 planmäßig in ein Eigenverwaltungsverfahren überführt werden. Wir sprechen mit Roland Brückmann, Geschäftsführer von Sternenbäck, und Jan Hendrik Groß, wie sie diese Zeiten durchlebt haben und wie es zu einem guten Ende für den 255-jährigen Traditionsbäcker kam.
Herr Brückmann, ein gesundes Unternehmen rutscht so schnell in eine Schieflage. Was waren die Ursachen - und fühlen Sie sich als Opfer der Corona-Krise?
Ganz klar: Ja - wir sind ein Opfer der Corona-Krise! Wir sind zunächst sehr gut in das Geschäftsjahr 2020 gestartet. Umsatz und Ergebnis zu Beginn des Jahres 2020 lagen über unseren Erwartungen. Doch der Lockdown im März hat sich dann massiv auf unser Geschäft ausgewirkt. Uns haben die Schließungen von Einkaufszentren und der Gastronomie schwer getroffen: Dadurch sind unsere Umsätze aus dem Verkauf etwa von Kaffee, Kuchen und Torten sowie Snacks und Kaltgetränken in unseren Café- und Bistrobereichen weggefallen. Ohne diese inzwischen für einen Bäcker wichtigen Umsätze wird es schnell existentiell.
Welche operativen Herausforderungen haben Corona-Krise und die behördlichen Schließungsanordnungen für Sternenbäck mit sich gebracht und wie sind Sie damit umgegangen, Herr Brückmann?
Zunächst war ein schnelles Umschalten vom bisherigen gewohnten Management eines Unternehmens auf totales Krisenmanagement nötig. Zusätzlich mussten wir uns tagtäglich mit den sich sehr schnell ändernden Bedingungen und Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung unseres Geschäftsbetriebes auseinandersetzen und darauf reagieren. Und dies bei aller systemrelevanter Bedeutung als Bäckerei unter der Prämisse des bestmöglichen Schutzes unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Herr Groß, hätte das Unternehmen nicht durch Inanspruchnahme staatlicher Corona-Hilfen gestützt werden können?
Das Unternehmen hat umgehend staatliche Hilfen in Anspruch genommen. So wurde in Teilen auf Kurzarbeit umgestellt. Auch konnten Stundungen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bewirkt werden. Dies hat geholfen, die akute Notlage zu überwinden. Aber der weggefallene Umsatz war tatsächlich verlorenes Geschäft. Den Kuchen, den Sie im Lockdown nicht verkaufen, verkaufen Sie auch danach nicht. Und das macht sich schnell auch liquiditätsmäßig bemerkbar. Es war absehbar, dass irgendwann das Geld ausgeht. Und genau dafür gibt es ja förmliche Restrukturierungsverfahren.
Ab welchem Zeitpunkt war für Sie klar, dass es so nicht mehr weitergeht und Sie Sanierungsmaßnahmen einleiten müssen, Herr Brückmann?
Als es nach bereits zwei mit hohem zeitlichem Aufwand erstellten Gutachten – zuerst hinsichtlich der Planplausibilisierung für 2021 vor Corona und anschließend hinsichtlich des angepassten Planes für 2021 aufgrund Corona - keine Aussicht auf Unterstützung mittels KfW-Darlehen gab.
Herr Groß, wieso wurde eine Sanierung über ein Schutzschirmverfahren eingeleitet. Wie läuft ein solches Verfahren ab - und warum war dieses Verfahren genau das Richtige für Sternenbäck?
Im Schutzschirmverfahren haben Sie die Möglichkeit, sich leistungswirtschaftlich neu aufzustellen. So können Sie bspw. langlaufende Verträge beenden. Diese Möglichkeit wurde genutzt, um das Filialportfolio zu bereinigen. Die verlustbringenden Filialen konnten auf diese Weise abgeschnitten werden. So konnte sich das Unternehmen auf seinen profitablen Kernbereich fokussieren.
Der Vorteil bei einem Schutzschirmverfahren ist, dass die Geschäftsleitung „am Ruder“ bleibt. Zwar ist es ein gerichtliches Verfahren, die Geschäftsleitung gibt jedoch die Handlungsbefugnis nicht ab. Sie bekommen lediglich einen gerichtlich bestellten Sachwalter als Überwachungsorgan an ihre Seite gestellt. Das Unternehmen hat dann drei Monate Zeit, einen Restrukturierungsplan zu erarbeiten. Dieser Plan wird anschließend in einer Gläubigerversammlung zur Abstimmung gestellt. Bei Sternenbäck hatten wir - bis auf eine Gegenstimme - eine vollumfassende Zustimmung der Gläubiger erreichen können.
Herr Brückmann, wie war die Reaktion der Stakeholder, d. h. der Arbeitnehmer, Lieferanten und Vermieter, auf die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens?
Zuerst bestand große Sorge um Sternenbäck, aber zugleich auch sehr schnell Sorge um die eventuell daraus resultierenden direkten Auswirkungen auf jede einzelne Gruppe. Dieses Problem haben wir aber mit einer offenen, ehrlichen und schnellen Kommunikation gut in den Griff bekommen. Wir haben noch am Tag der Antragstellung mit allen wesentlichen Stakeholdern persönlich gesprochen. Auf diese Weise konnten viele Fragen geklärt und Missverständnisse ausgeräumt werden. Am Ende sind wir von einer breiten Unterstützung aller Beteiligten durch das Verfahren getragen worden.
Welche Maßnahmen mussten konkret umgesetzt werden, um die Unternehmensgruppe zu sanieren, Herr Groß? In welchen Bereichen waren die Herausforderungen am Größten?
Wichtig war es, das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. Defizitäre Filialen ziehen naturgemäß in einer solchen Krise das Unternehmen noch stärker runter. Es galt also, sich dieses Ballastes zu entledigen. Ein wesentlicher Baustein war damit die Schließung von Filialen. Die größte Herausforderung bestand darin, die richtigen Schnitte zu setzen: nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Wirtschaftlichkeitsanalyse einzelner Standorte hängt von vielen Faktoren ab. Die dazu notwendigen Daten aufzubereiten und zu bewerten, war ein essentieller Schritt. Und manchmal müssen dann auch Entscheidungen getroffen werden, die im Einzelfall schmerzlich sind, aber zur Gesundung des Ganzen beitragen.
Herr Groß, wenn es den präventiven Restrukturierungsrahmen im vergangenen Jahr schon gegeben hätte: hätte eine Sanierung auch über dieses Instrument erfolgen können - bzw. wäre eine Sanierung dann ggf. noch einfacher umzusetzen gewesen?
Ich denke nicht. Mit dem seit Jahresbeginn zur Verfügung stehenden Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kann ein Unternehmen gerichtliche Unterstützung bei der Neugestaltung seiner Schulden in Anspruch nehmen. Sie können z. B. Forderungsverzichte mit qualifizierten Mehrheiten (75 % Zustimmung) durchsetzen. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gibt Ihnen aber nicht die Möglichkeit, in Verträge einzugreifen. Mietvertragsbeendigungen, wie wir sie bei Sternenbäck vornehmen mussten, sind nicht möglich. Daher war das Schutzschirmverfahren das Mittel der Wahl.
Herr Brückmann, was sind Ihre Lessons learned aus dieser Krise und was würden Sie anderen Unternehmen in einer derartigen Situation raten?
Ich habe daraus gelernt, künftig auch möglicherweise zunächst unliebsam erscheinende Entscheidungsalternativen dennoch intensiv zu prüfen und nach erfolgter Entscheidung für eine dieser Alternativen diese ebenso konsequent wie nachhaltig anzugehen.
Zum Schluss nun noch eine persönliche Frage an Sie, Herr Brückmann: Haben Sie es als persönliches Scheitern empfunden, dass Sie Sanierungsmaßnahmen zur Rettung des Unternehmens einleiten mussten?
Definitiv! Wer will sich schon gerne – zumal bei anhaltender positiver Geschäftsentwicklung - eingestehen, dass er Hilfe benötigt. Aber dieses Gefühl bestand nur zu Beginn der Überlegungen, diesen Weg zu gehen. Je intensiver wir uns mit dem Thema beschäftigten, desto schneller wurde uns klar, dass dies für uns der einzig richtige Weg durch die Krise sein wird – und nun auch tatsächlich war.