International operierende Unternehmen sind seitens ihrer Zulieferer mit förmlichen Anzeigen von Lieferschwierigkeiten aufgrund Höherer Gewalt konfrontiert bzw. agieren entsprechend gegenüber ihren Geschäftspartnern. Doch wer hat für verspätete Lieferungen und etwaige Mehrkosten einzustehen?
Ereignisse der Höheren Gewalt
Ereignisse der Höheren Gewalt sind unerwartet eintretende, außergewöhnliche und unabwendbare Ereignisse, wie z. B. Naturkatastrophen oder Krieg. Die deutsche Rechtsprechung hat zu diesem Haftungsmaßstab Kriterien entwickelt, die sich im Wesentlichen daran orientieren, dass das schädigende Ereignis durch elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen herbeigeführt sein muss, nach bestem Ermessen unvorhersehbar war und auch durch äußerste Sorgfalt oder mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln nicht verhütet werden konnte.
Der englische oder französische Begriff der Höheren Gewalt ist nicht deckungsgleich mit der deutschen Begrifflichkeit, so dass je nach anwendbarem Vertragsrecht die Bewertung schwanken kann. Aufgrund der Vielzahl von behördlichen Maßnahmen, wie z. B. Ausgangssperren, amtlichen Reisewarnungen der Bundesregierung oder die Einstufung der WHO als gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite dürften jedoch wenig Zweifel bestehen, dass der Ausbruch des Coronavirus auch international als ein Ereignis Höherer Gewalt angesehen werden kann. Für die aktuellen Beeinträchtigungen ist für jeden Einzelfall eine individuelle Bewertung vorzunehmen, nicht alle müssen auf Höherer Gewalt beruhen.
Regelungen zu Leistungsstörungen
Viele internationale Verträge enthalten für Ereignisse Höherer Gewalt sogenannte „Force-Majeure“-Klauseln, die regelmäßig für die Dauer der Höheren Gewalt eine Suspendierung der gegenseitigen Leistungspflichten, konkrete Informations- und Nachweispflichten und gesonderte Kündigungsregeln für den Fall einer längeren Dauer vorsehen und durchaus ausdrücklich einen Entfall von Schadensersatz regeln. Das deutsche BGB enthält keine expliziten Regelungen zu Ereignissen Höherer Gewalt, aber durch Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen zu Leistungsstörungen (u. a. § 275 BGB) kann auch ein Wegfall der Leistungspflicht oder ein Leistungsverweigerungsrecht für die Dauer des Ereignisses begründet sein.
Der Wegfall der Lieferpflicht führt in der Regel auch zum Wegfall der Vergütungspflicht für den Kunden. Da bei Höherer Gewalt in der Regel auch kein Verschulden vorliegt, bestehen aufgrund einer verzögerten Leistung nach deutschem Recht auch keine Schadenersatzansprüche.
Soweit „Force-Majeure“-Klauseln die eigene Rechtsposition im Vergleich zum Gesetzesrecht deutlich verbessern, besteht die Gefahr der Unwirksamkeit dieser Klauseln. Diese Klauseln werden zumeist nicht individuell ausgehandelt sein, gelten dann als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ und können unwirksam sein, wenn sie stark vom gesetzlichen Leitbild abweichen. Aus diesem Grund kann man sich auf die Wirksamkeit von „Force-Majeure“-Klauseln nicht blind verlassen.
Im Einzelfall ist auch die Unabwendbarkeit des individuellen Leistungshindernisses entscheidend. Wobei vom Lieferanten aber auch zumutbare alternative Lieferquellen oder alternative Transportwege zur Vermeidung des Lieferhindernisses zu berücksichtigen sind - notfalls unter Inkaufnahme zusätzlicher angemessener Kosten für den Lieferanten.
Kunden können somit von ihren Lieferanten verlangen, dass sie zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Lieferschwierigkeiten ergreifen. Insb. sind die Verträge dahingehend zu prüfen, ob Informationspflichten der Lieferanten hinsichtlich von Lieferverzögerungen oder Lieferengpässen bestehen. Solche Informationspflichten ergeben sich oft als Nebenpflichten aus dem Vertrag oder finden sich häufig in „Force-Majeure“-Klauseln in Verträgen oder in den allgemeinen Pflichten zum (drohenden) Lieferverzug. Eine Verletzung solcher Informationspflichten kann ggf. einen eigenen Schadensersatzanspruch des Kunden gegen den Lieferanten auslösen. Den Kunden trifft aber in jedem Fall eine Schadensminderungspflicht.
Empfehlung für die Praxis
Als vorsorgende Maßnahme bei einer Lieferkette ist es sinnvoll, wenn Kunden ihre Lieferanten schriftlich nach Leistungshindernissen oder Lieferverzögerungen befragen, insb. hinsichtlich der konkreten Umstände in Bezug auf das Coronavirus. Daraus lassen sich ggf. Maßnahmen für die eigene Sicherung der Lieferfähigkeit ableiten, etwa die Umstellung auf alternative Lieferanten, Transportwege oder Materialien. Entsprechend können auch die eigenen Kunden gezielt über zu erwartende Störungen oder Verzögerungen informiert werden. Je besser innerhalb der Lieferkette die Hindernisse gemanagt werden, desto besser kann das Risiko für das eigene Unternehmen gesteuert und die eigene Berufung auf Höhere Gewalt im Einzelfall auch erfolgreich durchgesetzt werden.
Lieferanten sollten sich in der derzeitigen Krisenzeit möglichst nicht auf fixe Liefertermine einlassen. Es sollte vereinbart werden, dass Liefertermine bei Nichtverfügbarkeit bzw. Höherer Gewalt verschoben werden und, sofern der neue Termin auch nicht eingehalten werden kann, auch der Lieferant vom Vertrag zurücktreten kann. Auch hier sind allerdings die hohen Anforderungen an die Wirksamkeit solcher Klauseln nach AGB-Recht zu beachten, wie auch bei Klauseln, die Haftungsbeschränkungen vorsehen.
Es empfiehlt sich generell für beide Vertragsparteien, die bestehenden Versicherungen im Hinblick auf „All Risk“-Versicherungen und den dafür bestehenden Deckungsumfang zu überprüfen.
Die aktuelle Corona-Krise macht deutlich, wie elementar wichtig die Ausgestaltung von Verträgen mit Lieferanten und Kunden im Bereich der Leistungsstörungen ist, insb. dann, wenn verschieden große Marktplayer in einer Lieferkette aufeinandertreffen.
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