Verfügt ein Unternehmen über Finanzinstrumente, die in den Anwendungsbereich von IFRS 9 Finanzinstrumente fallen, sollten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das sog. Expected Credit Loss (ECL)-Modell berücksichtigt und evtl. Wertminderungen für erwartete Kreditverluste erfasst werden. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die ECL werden für Banken besonders herausfordernd sein. Jedoch sind nicht allein Banken betroffen.
Die Auswirkungen könnten auch für Industrieunternehmen bedeutend sein, denn das ECL-Modell ist für diverse Anlagen in verzinsliche finanzielle Vermögenswerte (z. B. Anleihen und Schuldverschreibungen), Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Leasingforderungen, aktive Vertragsposten i. S. v. IFRS 15, sowie Kreditzusagen und Finanzgarantien von Relevanz. Dabei sind häufig Einzelabschlüsse - aufgrund konzerninterner Transaktionen - stärker betroffen als Konzernabschlüsse.
Das Unternehmen sollte die Auswirkungen der Corona-Pandemie insb. hinsichtlich der beiden folgenden Aspekte berücksichtigen:
- Messung des ECL in Höhe des erwarteten 12-Monats-Kreditverlusts (Stufe 1) oder - sofern das Kreditrisiko seit dem erstmaligen Ansatz signifikant gestiegen ist - in Höhe des über die (Rest-)Laufzeit erwarteten Kreditverlustes (Stufe 2) oder sofern ein objektiver Hinweis auf eine Wertminderung vorliegt, in Höhe des über die (Rest-)Laufzeit erwarteten Kreditverlustes bei Anpassung der Zinserfassung in den darauffolgenden Perioden (Berechnung Zinsertrag auf Basis des Nettobuchwertes, Stufe 3). Bei der Einschätzung, ob sich das Kreditrisiko signifikant erhöht hat, sind die folgenden Punkte zu beachten:
- Die derzeitige Situation soll nicht zu einem undifferenzierten, automatischen Transfer von Finanzinstrumenten von der Stufe 1 in die Stufe 2 oder gar Stufe 3 führen, da dies die tatsächlichen wirtschaftlichen Risiken wesentlich überzeichnen könnte.
- Es sind angemessene und belastbare zukunftsgerichtete Informationen, deren Auswirkungen auf das Kreditausfallrisiko aus Erfahrungen der Vergangenheit abgeleitet werden, zu berücksichtigen.
- Die Schätzunsicherheiten und Ermessensspielräume sind, insb. vor dem Hintergrund der aktuell herrschenden Ausnahmesituation, sachgerecht auszuüben.
(vgl. Fachlicher Hinweis des IDW Bankenfachausschusses (BFA) zu Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wertminderungen von Finanzinstrumenten nach IFRS 9 im Quartalsabschluss von Banken zum 31.3.2020, Abschnitt 3, vom 27.3.2020). Im Falle der Anwendung des vereinfachten Ansatzes (z. B. für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) erfolgt die Messung des ECL stets auf Basis des über die (Rest-)Laufzeit erwarteten Kreditverlustes (Stufe 2).
- Schätzung des ECL selbst. Dies beinhaltet:
- das Kreditrisiko (Ausfallrisiko), welches sich bspw. erhöhen kann, sofern Kreditnehmer (Unternehmen wie auch Privatpersonen) von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind,
- die Höhe des Engagements bei Ausfall (Exposure at Default), sofern von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffene Kreditnehmer bspw. bestehende, bisher nicht genutzte Kreditfazilitäten in Anspruch nehmen, mit ihren Zins- und Tilgungszahlungen in Verzug geraten (Stundungen) oder diese einstellen, was jeweils zu einem höheren Exposure führt,
- die Verlustquote bei Ausfall (Loss Given Default), die aufgrund des Wertverlustes der Sicherheiten (als Folge eines zu beobachtenden allgemeinen Preisrückgangs bei Vermögenswerten) steigen kann.
Nach IFRS 9 müssen zukunftsgerichtete Informationen (einschließlich makroökonomischer Informationen) sowohl bei der Beurteilung des signifikanten Anstiegs des Kreditrisikos als auch bei der Messung des ECL berücksichtigt werden. Staatliche Stabilisierungsmaßnahmen müssen hierbei angemessen risikomindernd berücksichtigt werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Verzicht auf die Berücksichtigung zukunftsgerichteter Informationen vor dem Hintergrund der bestehenden Unsicherheiten als sachgerecht erachtet werden wird.
Unternehmen sollten daher ihre Kreditrisikomodelle zur Ermittlung des ECL um folgende Punkte aktualisieren:
- Historische Daten allein sind nicht ausreichend, zukunftsgerichtete Informationen müssen ergänzt werden:
- Zu den zukunftsgerichteten Informationen könnten zusätzliche Abwärtsszenarien im Zusammenhang mit der Verbreitung des Coronavirus gehören. So könnten bspw. bestehende makroökonomische Szenarien angepasst (Berücksichtigung z. B. schwerwiegender Nachteile und/ oder Anpassung deren Gewichtung - stärkere Gewichtung langfristig stabiler Szenarien, damit kurzfristige Entwicklungen nicht übergewichtet werden) oder um ein oder mehrere Szenarien ergänzt werden.
- Auf historischen Informationen beruhende Risikomatrizen, die im Zuge des vereinfachten Verfahrens zur Ermittlung des ECL für bspw. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen verwendet wurden, müssen überdacht werden.
- Es sind alle verfügbaren Informationen vom Markt wie bspw. aktualisierte Ratings, Prognosen etc. zu berücksichtigen. Dabei ist zu prüfen, inwieweit vorliegende Ratings die Auswirkungen der Corona-Pandemie bereits widerspiegeln.
- Sofern die Auswirkungen in dem ECL-Modell nicht berücksichtigt sind - was vermutlich mehrheitlich der Fall sein wird - sind sog. Post Model Adjustments (ggf. auch für den Stufentransfer) zu berücksichtigen. Diese sind erforderlich, wenn bspw. für bestimmte Branchen oder Kundensegmente höhere Ausfälle erwartet werden als sich aus dem Kreditrisikomodell ergeben (falls aktuelle Entwicklungen im Modell nicht angemessen berücksichtigt werden). Zudem sollten Regierungsmaßnahmen bei der Ermittlung des Post Model Adjustments berücksichtigt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die nachhaltigen Folgen der Pandemie kaum verlässlich abschätzbar sind, sodass die Expertenmeinungen eine große Spannbreite aufweisen.
Zu beachten ist, dass eine ganzheitliche Beurteilung erfolgen sollte, bei der der Fokus auf einer Änderung der Kreditausfallrisiken über die gesamte erwartete Restlaufzeit des Finanzinstruments gelegt wird.
Darüber hinaus fordern Regierungen die Banken dazu auf, von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffene Kreditnehmer zu unterstützen. Dies kann z. B. in Form von Zins- und Tilgungsstundungen bestehender Kredite erfolgen. Banken, die solch eine Unterstützung gewähren, sollten diese im Rahmen ihrer Beurteilung des signifikanten Anstiegs des Kreditrisikos oder bei der Messung des ECLs entsprechend berücksichtigen.
Unternehmen sollten die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wertminderung von finanziellen Vermögenswerten offenlegen und die weiteren nach IFRS 7 Finanzinstrumente: Angaben geforderten Informationen entsprechend umfassend darstellen (z. B. Einbeziehung zukunftsgerichteter Informationen und wesentliche Änderungen von getroffenen Annahmen im Rahmen der Ermittlung des ECL).