Zuweisung des Besteuerungsrechts
Arbeitnehmer sind in ihrem Wohnsitzstaat unbeschränkt steuerpflichtig und haben dort damit auch ihr Arbeitsentgelt zu versteuern. Wird die berufliche Tätigkeit nicht im Wohnsitzstaat ausgeübt, regeln die Doppelbesteuerungsabkommen, in welchem Staat die Besteuerung zu erfolgen hat.
So wohnen entlang der deutschen Grenzen viele Arbeitnehmer, die regelmäßig von ihrem ausländischen Wohnsitz zu ihrer Arbeitsstelle nach Deutschland pendeln bzw. im umgekehrten Fall ihre Arbeitsleistung im Ausland erbringen. In den mit Österreich, Frankreich und der Schweiz vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen ist dazu explizit eine sog. Grenzgängerregelung aufgenommen. Entgegen dem Grundsatz, dass das Arbeitsentgelt in dem Umfang jeweils dort zu versteuern ist, wo die Tätigkeit ausgeübt wird, wird das Besteuerungsrecht insgesamt dem Wohnsitzstaat zugewiesen, sofern der Arbeitnehmer als Grenzgänger qualifiziert. Dazu muss der Arbeitnehmer grenznah wohnen, was im jeweiligen Abkommen geregelt ist, und arbeitstäglich an seinen Wohnsitz zurückkehren.
Bei anderen Doppelbesteuerungsabkommen, die keine Grenzgängerregelung kennen, kommen die klassischen Kriterien zur Zuweisung des Besteuerungsrechts zur Anwendung.
Auswirkungen der Tätigkeit im Home-Office?
In Zeiten der Corona-Krise haben Unternehmen aus Gründen des Gesundheitsschutzes in vielen Fällen angeordnet, dass die Arbeitsleistung, soweit faktisch möglich, nicht mehr im Betrieb, sondern vom Home-Office aus zu erbringen ist. Das betrifft auch Grenzgänger, die sonst regelmäßig über die Grenze zu ihrem Arbeitsplatz pendeln würden. In diesem Fall ist ein Arbeiten vom Home-Office aus oftmals auch deshalb wirtschaftlich sinnvoller, da andernfalls infolge der innerhalb der EU temporär wieder eingeführte Grenzkontrollen ein enorm zeitaufwendiger Grenzübertritt auf dem Weg zur Arbeitsstelle in Kauf zu nehmen wäre.
Damit würden die in den Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Voraussetzungen für die Anwendung der Grenzgängerregelung nicht mehr erfüllt werden. Sofern das Arbeiten im Home-Office über einen längeren Zeitraum erfolgen sollte, könnte zudem die in einer Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene 183-Tage-Regelung nicht mehr greifen, so dass eine Aufteilung des Arbeitsentgelts und eine entsprechend anteilige Besteuerung im Tätigkeitsstaat und im Wohnsitzstaat drohen würde.
Um eine Änderung der bisherigen steuerlichen Behandlung der Grenzgängertätigkeit infolge einer temporären Tätigkeit vom Home-Office aus zu vermeiden, wurde sowohl mit Österreich (BMF-Schreiben vom 16.4.2020, Az. IV B 3 - S 1301-AUT/20/10002 :001) als auch mit der Schweiz (BMF-Schreiben vom 12.6.2020, Az. IV B 2 - S 1301-CHE/07/10015-01) eine bilaterale Regelung getroffen. Der Arbeitnehmer kann durch Mitteilung an den Arbeitgeber und das zuständige Finanzamt im Wohnsitzstaat davon Gebrauch machen. In dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich ist bereits eine Regelung enthalten, wonach im Home-Office verbrachte Arbeitstage keine Auswirkungen auf das Besteuerungsrecht haben. Mit der Schweiz wurde im Doppelbesteuerungsabkommen bereits vereinbart, dass es unschädlich ist, wenn an bis zu 60 Arbeitstagen kein Grenzübertritt erfolgt.
Zwischen Deutschland und den Niederlanden wurde zudem bereits vereinbart, dass infolge der Corona-Pandemie im Home-Office geleistete Arbeitstage als solche im Tätigkeitsstaat gelten. Diese Regelung gilt ab dem 11.3.2020 bis zur einseitig möglichen Kündigung der Vereinbarung. Sie kann allerdings nur einheitlich in beiden Vertragsstaaten zur Anwendung kommen. Zudem sind geeignete Aufzeichnungen zu führen, wie z. B. eine Bescheinigung des Arbeitgebers über durch die Corona-Krise bedingte Home-Office-Tage (BMF-Schreiben vom 8.4.2020, Az. IV B 3 - S 1301-NDL/20/10004 :001). Eine entsprechende Regelung wurde auch zwischen Deutschland und Luxemburg (BMF-Schreiben vom 6.4.2020, Az. IV B 3 - S 1301-LUX/19/10007 :002) sowie zwischen Deutschland und Belgien (BMF-Schreiben vom 7.5.2020, Az. IV B 3 - S 1301_BEL/20/10002 :001) getroffen. Damit dürfte weiterhin dem Tätigkeitsstaat das vollständige Besteuerungsrecht zustehen, sofern unter Berücksichtigung der Fiktion die 183-Tage-Regelung erfüllt ist.
Angesichts der anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden bereits mit mehreren Staaten Verlängerungen der vorgenannten Regelungen vereinbart (so z. B. zuletzt mit den Niederlanden, BMF-Schreiben vom 5.7.2021).
Hinweis: Es ist aber auch denkbar, dass Mitarbeiter ihren Zweit- oder Ferienwohnsitz im Ausland zum „Remote working“ nutzen bzw. schlicht im Ausland gestrandet sind und von dort aus dank der Technik weiterarbeiten können. Dazu ist derzeit noch unklar, wie mit diesen Steuerpflichtigen verfahren wird, die keine klassischen Grenzgänger im steuerlichen Sinne sind, und nun dennoch vom Ausland aus arbeiten. Im Falle eines vorübergehenden Charakters, sollte dies keine Auswirkungen haben. Verfestigt sich die Tätigkeit vom Ausland aus jedoch, empfehlen wir eine Abklärung im jeweiligen Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird. Schnell kann ein regelmäßig genutztes Home-Office zu einer Betriebsstätte des Arbeitgebers im Ausland führen. Wir regen daher eine Abklärung gemeinsam mit dem Arbeitgeber an.
Sozialversicherungsrechtlicher Status bei Home-Office-Tätigkeit?
Die sozialversicherungsrechtliche Absicherung eines Arbeitnehmers, der in einem Staat wohnt und in einem oder mehreren anderen Staaten arbeitet, erfolgt grundsätzlich nur in einem Staat. Innerhalb der EU und der Schweiz bestehen einheitliche Vorgaben, wonach die Sozialversicherungspflicht im Tätigkeitsstaat besteht, wenn die berufliche Tätigkeit zu mehr als 75 % dort ausgeübt wird. Wird die Tätigkeit zu mindestens 25 % im Ansässigkeitsstaat erbracht, erfolgt dort die sozialversicherungsrechtliche Absicherung. Bei Tätigkeiten in mehreren EU-Staaten bzw. der Schweiz, die nicht Ansässigkeitsstaat sind, besteht die Sozialversicherungspflicht im Ansässigkeitsstaat, auch wenn dort kein wesentlicher Teil der Tätigkeit erbracht wird.
Durch die infolge der Corona-Pandemie ausgelöste vorübergehende Tätigkeit vom Home-Office aus soll sich grundsätzlich nichts an dem bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Status ändern. Hierauf weist der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem Rundschreiben vom 17.3.2020 hin. Die Tätigkeit erfolge im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers und sei somit sozialversicherungsrechtlich nicht schädlich für den bisherigen sozialversicherungsrechtlichen Status.
Hinweis: Die Verlautbarungen stellen auf den vorübergehenden Charakter der Home-Office-Tätigkeiten ab und empfehlen, diese steuerlich wie sozialversicherungsrechtlich auszublenden. Darauf sollte man sich jedoch nicht uneingeschränkt verlassen, da aus einem vorübergehend auch ein regelmäßiges Tätigwerden in der Zukunft werden kann. Steuerpflichtige und ihre Arbeitgeber sollten genau hinschauen und frühzeitig die Einzelsituation näher beleuchten.
Zudem sollten Arbeitgeber auf Grund ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht betroffene Arbeitnehmer über die möglichen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen ihrer Home-Office-Tätigkeit informieren und mit ihnen die Handhabung im Einzelfall klären.