Grundsätzlich haftet der Geschäftsführer einer GmbH persönlich gegenüber dem Finanzamt für Steuerschulden der Gesellschaft, wenn er als gesetzlicher Vertreter die steuerlichen Pflichten der GmbH vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt (§§ 34 und 69 AO). Aber was geschieht, wenn ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen überraschend in Liquiditätsschwierigkeiten gerät, wie dies gegenwärtig aufgrund der Corona-Pandemie der Fall sein kann?
In solchen Situationen ist dem Geschäftsführer zunächst einmal kein Schuldvorwurf zu machen. Er kann aber grundsätzlich in Haftung genommen werden, wenn etwa der Gesellschaft im Fälligkeitszeitpunkt die Zahlung der Steuern noch möglich war. Dies dürfte derzeit bei vielen Unternehmen der Fall sein: Liquidität ist zwar noch vorhanden, soll aber wegen der unbekannten Dauer der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie möglichst im Unternehmen gehalten werden.
Eingeschränkt wird die Haftung durch die Mittelvorsorgepflicht des Geschäftsführers. Danach muss er die Gesellschaftsmittel mit Blick auf die in absehbarer Zeit fälligen Steuerzahlungen so einteilen, dass die Zahlung bei Fälligkeit gesichert ist.
Zudem hat der Geschäftsführer zu beachten, dass er die Steuerschulden gleichmäßig in dem Verhältnis zahlt, in dem er auch anderen Gläubigern Befriedigung gewährt (Grundsatz der anteiligen Tilgung). Das gilt nach BFH-Auffassung ungeachtet dessen, dass dem Geschäftsleiter ab Insolvenzreife Zahlungen nach § 64 S. 1 GmbHG verboten sind und einen neuen Haftungsgrund auslösen. Hinsichtlich der Lohnsteuer soll die Finanzverwaltung sogar vorrangig vor anderen Gläubigern und ungeachtet des Zahlungsverbots (§ 64 S. 1 GmbHG) trotz Insolvenzreife bedient werden. Entlastung soll für den Geschäftsleiter nur möglich sein, wenn ihm die Abführung der Steuern tatsächlich unmöglich ist, weil die Gesellschaft nicht über die dafür notwendigen Mittel verfügt.
Das bedeutet konkret für den Antrag auf Stundung auf Basis des BMF-Schreibens vom 19.3.2020 bzw. vom 22.12.2020 und 07.12.2021, durch das die Möglichkeit einer Steuerstundung verlängert wurde:
- Wird vorsätzlich eine Stundung auf Grundlage des BMF-Schreibens vom 19.3.2020, des 22.12.2020 oder des 07.12.2021 erwirkt, obwohl tatsächlich keine Liquiditätsschwierigkeiten bestehen, kann der Geschäftsführer neben § 69 AO auch als Steuerhinterzieher gemäß § 71 AO in Haftung genommen werden, da durch die ungerechtfertigt in Anspruch genommene Stundung eine Steuerverkürzung auf Zeit begründet werden kann (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 AO). Die Nutzung der Stundungsmöglichkeit als „Trittbrettfahrer“ ist somit ggf. sowohl haftungsrechtlich als auch strafrechtlich relevant.
- Soll die Möglichkeit der Stundung nach Maßgabe der vorgenannten BMF-Schreiben genutzt werden, besteht ggf. ein Haftungsrisiko des Geschäftsführers im Fall der späteren Uneinbringlichkeit der gestundeten Steuer. Dieses besteht nur dann nicht, wenn der Stundungsantrag vor Fälligkeit der zu stundenden Steuer gestellt wird oder dem Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt die Stundung durch die Finanzverwaltung zugesagt wurde. Vorsorglich sollten die durch die Stundung freiwerdenden Mittel erst verwendet werden, wenn die Stundung gewährt wurde. Die Gründe, warum eine Stundung wegen unmittelbarer und nicht unerheblicher Betroffenheit des Unternehmens durch die Corona-Pandemie beantragt wird, sollten in dem Stundungsantrag offengelegt werden. Dies ist von besonderer Relevanz, wenn zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung noch Liquidität vorhanden war, aber davon ausgegangen wurde, dass diese alsbald durch Zahlungsverpflichtungen aufgezehrt sein wird. Damit ist sichergestellt, dass die Entscheidung der Steuerbehörde über den Stundungsantrag auf Basis der tatsächlichen Verhältnisse erfolgte und dem Geschäftsführer kein Schuldvorwurf gemacht werden kann.
- Entsprechendes gilt für den Antrag auf Stundung der Sozialversicherungsbeiträge, da auch dort die Stundung eine unmittelbare und nicht unerhebliche Krisenbetroffenheit des Unternehmens erfordert. Zudem sind bei einem Antrag auf Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen zwingend noch die weiteren Voraussetzungen des Ausschöpfens weiterer staatlicher Unterstützungsmöglichkeiten, u. a. Kurzarbeit, zu erfüllen. Hier ist ein vollständiges Darlegen der Verhältnisse und richtige Angaben zudem von strafrechtlicher Relevanz, da sich der Geschäftsführer andernfalls sowohl haftungs- als auch strafrechtlichen Risiken aussetzt. Bei der Thematik des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen ist auch in der Krise größte Vorsicht geboten. Die strafgerichtliche Rechtsprechung war in der Vergangenheit in diesem Bereich sehr streng und ist in zahlreichen Entscheidungen von einem Vorrang der Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge (insbesondere des Arbeitnehmeranteiles) gegenüber anderen Schulden ausgegangen.