Was das Winterpaket beinhaltet und welche Änderungen auf die Branche zukommen, diskutieren wir mit Christoph Germer, Rechtsanwalt und Energierechtsexperte bei Ebner Stolz in Hamburg.
Herr Germer, was steckt alles im Winterpaket der EU?
Das sog. Winterpaket ist bereits das vierte EU-Binnenmarktpaket der europäischen Energiepolitik. Das Winterpaket richtet die Energiepolitik der EU neu aus und verzahnt Energie- und Klimapolitik. Schwerpunkt der Neuregelungen ist nicht mehr die Verstärkung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten, sondern die Anpassung des Energiemarktes an die Anforderungen, die aus den Klimaschutzvorgaben der EU resultieren. Mit vier Richtlinien und vier Verordnungen wird der EU-Rechtsrahmen zur Energiepolitik und zum Klimaschutz komplett überarbeitet und auf die Umsetzung der EU-Klimaziele ausgerichtet.
Welche konkreten Ziele verfolgt die EU mit dem Winterpaket?
In ihrer Mitteilung zum Winterpaket definiert die EU-Kommission drei Hauptziele: Vorrang für Energieeffizienz, Erreichen einer globalen Führungsrolle Europas bei den erneuerbaren Energien und ein faires Angebot an Verbraucher. Die EU will damit den Rahmen dafür schaffen, dass die Mitgliedsstaaten bis 2030 die Klimaziele erreichen, die sich aus dem Pariser Übereinkommen ergeben. So soll die Energieeffizienz bis 2030 auf 30 % gegenüber 2005 gesteigert werden. Konkret soll der Endenergieverbrauch in der EU 2030 höchstens noch 956 Mio. Tonnen Rohöleinheiten betragen und damit um 20 % geringer sein als 2005. Besonderes Augenmerk gilt der Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Bis 2050 soll der Gebäudebestand nahezu vollständig dekarbonisiert sein. Dazu ist eine Renovierungsrate von 3 % pro Jahr erforderlich. Der Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch soll bis 2030 EU-weit 32 % betragen. Erstmals werden den Mitgliedsstaaten konkrete Vorgaben für die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien im Wärme- und Kältesektor gemacht. Dieser Anteil soll um jährlich 1,3 % gegenüber dem Anteil im Jahr 2020 gesteigert werden. Um die Akzeptanz für die erforderliche Umstellung der Energieversorgung zu erhöhen, soll die Position der Verbraucher deutlich gestärkt werden. Daneben hat die Kommission sich vorgenommen, die sogenannte Energiearmut in der EU zu bekämpfen.
Welche Instrumente sieht das Winterpaket vor, um diese Effizienzziele zu erreichen?
Die Mitgliedsstaaten erhalten keine Vorgaben, wie sie im Einzelnen die Effizienzziele erfüllen sollen. Die einzelnen Maßnahmen, die künftig ergriffen werden, sind wie bisher schon in integrierten nationalen Energie- und Klimaplänen niederzulegen.
Um Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen deutlich zu steigern, wird die Kommission den Mitgliedsstaaten noch in diesem Jahr Leitlinien zu Mobilisierung privater Investitionen vorlegen. Neu ist, dass die Mitgliedsstaaten eine langfristige Renovierungsstrategie vorlegen müssen. Daraus muss sich ergeben, welche Meilensteine bis 2050 angepeilt werden und welche konkreten Maßnahmen zur Erreichung der Ziele im Hinblick auf die Gebäudeenergieeffizienz die Mitgliedsstaaten ergreifen wollen. Im Gebäudesektor sollen private Investitionen verstärkt werden. Die Netzbetreiber sollen ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Die Kommission erarbeitet bis Ende 2020 eine gemeinsame Vorgehensweise, wie Netzbetreiber angehalten werden können, ihre Investitionen in effizientere Infrastruktur zu steigern. Auch die Ökodesign- und Energieeffizienzkennzeichnung soll nachgeschärft werden, um weitere Effizienzpotentiale zu erschließen.
Und wie soll Europa seiner Vorreiterrolle in Sachen erneuerbare Energien gerecht werden?
Nach wie vor ist die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien das zentrale Instrument, um den Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch zu steigern. Als wirkungsvollstes Mittel sieht es die EU aber an, ein Marktumfeld zu schaffen, in dem sich Flexibilität und Innovation lohnen. Dazu sollen auch die Verteilnetzbetreiber beitragen. Sie sollen Anreize erhalten, auf der Grundlage von Marktverfahren dezentrale Erzeuger und Verbraucher einzubinden. Sie sollen Erzeugungsanlagen und Verbraucher kostengünstiger und mit so wenig Netzausbau wie möglich in ihr Netz integrieren. Für bestehende und auch für kleinere neue Erzeugungsanlagen soll der Einspeisevorrang erhalten bleiben. Kunden in ineffizienten Fernwärme- und Fernkältesystemen sollen die Möglichkeit erhalten, sich aus diesen Systemen zu verabschieden, wenn sie Wärme oder Kälte effizienter bereitstellen können. Betreiber solcher Systeme sollen verpflichtet werden können, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien in ihre Systeme aufzunehmen bzw. durch sie durchzuleiten.
Was ist konkret vorgesehen, um die Verbraucherrechte zu stärken?
Konkret ist vorgesehen, die Möglichkeiten, selbst oder gemeinsam mit andern erzeugten Strom zu vermarkten oder wiederum gemeinsam mit anderen zu verbrauchen, zu stärken. Die Mitgliedsstaaten müssen künftig ein objektives Vergleichsportal einrichten, das Verbrauchern einen guten Marktüberblick bietet. Die Fristen zum Wechsel des Lieferanten werden auf ein Minimum verkürzt. Bevor einem Kunden der Strom gesperrt wird, muss der Lieferant künftig über alternative Maßnahmen wie Schuldnerberatung und ähnliches informieren.
Sie hatten noch als „Randthema“ Energiearmut erwähnt. Was ist hier zu erwarten?
Zum Thema Energiearmut hat die EU bereits 2016 eine Beobachtungsstelle eingerichtet. Das Projekt ist befristet bis 2020 und soll die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, das Problem zu verstehen und zu bekämpfen.
Wie wird das Winterpaket umgesetzt?
Die vier geänderten Verordnungen des Winterpakets sind bereits in Kraft getreten und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Das hat mit einer wichtigen Ausnahme zunächst kaum unmittelbare Auswirkungen auf den Markt, weil die Verordnungen vorwiegend Grundsätze vorgeben, wie die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Energiemärkte organisieren müssen. Die Vorgaben aus den vier Richtlinien sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen März 2020 und Juni 2021 umzusetzen. Der Gesetzgeber ist also gefordert.
Welches sind die wichtigsten Änderungen für den Energiemarkt in Deutschland?
Die wohl wichtigste Änderung für den Strommarkt kann sich aus einer Änderung der Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt ergeben. Darin ist das Verfahren zur Überprüfung einheitlicher Stromgebotszonen oder auch Strompreiszonen neu geregelt. Derzeit wird diskutiert, ob aufgrund der Netzengpässe zwischen Nord- und Süddeutschland eine einheitliche deutsche Strompreiszone aufrechterhalten werden kann. Bislang ist das in der Stromnetzzugangsverordnung so vorgesehen. Durch die Änderungen der Verordnung wird die Diskussion neu entfacht. Eine Aufteilung in unterschiedliche Gebotszonen würde den Stromhandel in Deutschland schwieriger machen und unterschiedliche Preise im Stromgroßhandel innerhalb Deutschlands nach sich ziehen. Ob das sinnvoll ist oder nicht, wird unterschiedlich bewertet.
Wenn die Verbraucher die neuen Möglichkeiten nutzen, die ihnen der Gesetzgeber einräumen muss, wird der Wettbewerb auf dem Strommarkt verstärkt werden, weil Anlagenbetreiber als lokale Stromlieferanten agieren können und in Konkurrenz zu etablierten Lieferanten treten. Ob das allerdings zu weiter sinkenden Preisen führt, bezweifle ich.
Worauf müssen sich Energieversorger und Kunden noch einstellen?
Das Marktgeschehen im Strommarkt wird künftig wohl kurzfristiger und kleinteiliger werden und sich eher am Spotmarkt als am Terminmarkt orientieren. Damit werden auch die Preise stärker schwanken als bisher. Verbraucher sollen durch zeit- und lastvariable Tarife davon profitieren können. Solche Tarife werden derzeit aber so gut wie nicht angeboten. Das hat unterschiedliche Ursachen, nämlich die fehlende Ausstattung von Abnahmestellen mit intelligenten Messsystemen, die Abrechnung der Lieferungen nach Standardlastprofilen und das starre System von Netzentgelten, Abgaben und Umlagen. Wenn der Verbrauch stärker an der volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien orientiert werden soll, müssen diese Hindernisse beseitigt werden. Der Anteil des reinen Energiepreises am gesamten Strompreis beträgt rund 20 %. Der Rest sind Netzentgelte, Steuern und Umlagen. Solange diese Preisbestandteile nicht auch variabel werden, sind die möglichen Preisanreize zu gering, als dass Haushalte ihren Verbrauch deswegen verlagern würden. Die Diskussion über eine Flexibilisierung der Netzentgelte, Steuern und Umlagen läuft bereits seit längerem, Ergebnisse sind allerdings nicht in Sicht.
Für Lieferanten wird es künftig noch schwieriger werden, säumige Haushaltskunden zu sperren. Künftig muss der Lieferant vor der Sperrung über alternative Maßnahmen wie Schuldnerberatung informieren. Damit wird ein wichtiger Teilbereich des Problems Energiearmut schlicht auf die Grundversorger verlagert.
Was steht in diesem Jahr noch auf der energierechtlichen Agenda des Gesetzgebers?
Der Gesetzgeber hat bis zum Ende der Legislaturperiode im Sommer 2021 noch einiges zu erledigen. Auf den Weg gebracht ist die Änderung des Energiedienstleistungsgesetzes, das - Stand heute - nur noch im Bundesgesetzblatt verkündet werden muss. Ganz oben auf der Agenda steht natürlich die Umsetzung des Klimapakets. Dazu hat die Bundesregierung ja die ersten Gesetzgebungsverfahren schon eingeleitet. Auch das Klimaschutzgesetz, das noch vor einigen Monaten hoch umstritten war, wird jetzt auf den Weg gebracht.
Im Gesetzgebungsverfahren zur Novelle des Energiedienstleistungsgesetzes hat das BMWi zugesagt, das Mieterstromgesetz so nachzubessern, dass Mieterstrommodelle einfacher und wirtschaftlicher werden.
Schließlich wartet die Branche gespannt auf den Vorschlag für ein Kohleausstiegsgesetz, den das Bundeswirtschaftsministerium für Ende 2019 angekündigt hat.
Das Gesetz gegen Kostenfallen oder auch Gesetz für faire Verbraucherverträge hat nur am Rande energierechtlichen Bezug, ist aber dennoch von großer Bedeutung für Lieferanten und Verbraucher. Mit diesem Gesetz soll die zulässige Erstlaufzeit auch von Energieverträgen mit Verbrauchern von zwei Jahren auf ein Jahr, der Verlängerungszeitraum von jeweils einem Jahr auf je drei Monate und die Kündigungsfrist von drei Monaten auf einen Monat abgekürzt werden. Für Energielieferanten verringert sich die Planungssicherheit und erhöht sich der Verwaltungsaufwand. Das wird sich in den Preisen niederschlagen müssen.
Mit dem Gesetz sollen Verbraucher auch gegen Energielieferverträge geschützt werden, die ihnen am Telefon untergeschoben werden. Telefonisch geschlossene Verträge sollen künftig erst wirksam werden, wenn der Verbraucher sie in Textform bestätigt hat. Dagegen ist meines Erachtens nichts einzuwenden.