Im Folgenden wird beleuchtet, welche neuen Instrumente Verbrauchern an die Hand gegeben werden sollen, damit sie mehr als bisher aktiv am Energiemarkt teilnehmen können und welche konkreten Ziele damit verfolgt werden.
Das Winterpaket
Das sog. Winterpaket wurde von der Europäischen Kommission bereits Ende November 2016 vorgestellt. Es beinhaltet acht Legislativakte, die sich in zwei Gruppen unterteilen. Die Neufassungen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, der Energie-Effizienz-Richtlinie, der Richtlinie zur Gebäudeeffizienz und der Governance Verordnung zielen in erster Linie auf eine Steigerung der Energieeffizienz und einen verbesserten Klimaschutz ab. Die Neufassungen der Strombinnenmarkt-Richtlinie, der Strombinnenmarkt-Verordnung, der ACER Verordnung und der Risikovorsorgeverordnung beinhalten vor allem die Regelungen zum Strommarktdesign. Mit der Veröffentlichung der letzten vier Rechtsakte im Amtsblatt der EU vom 14.6.2019 (ABl. EU 2019, Nr. L 156) ist das Winterpaket vollständig. Drei weitere Rechtsakte waren bereits im Dezember 2018 (ABl. EU 2018, Nr. L 328), ein weiterer im Juni 2018 (ABl. EU 2018, Nr. L 156) veröffentlicht worden. Die geänderten Richtlinien müssen durch die Mitgliedsstaaten innerhalb der nächsten etwa zwei Jahre in nationales Recht umgesetzt werden, die geänderten Verordnungen gelten unmittelbar.
Aktive Kunden und Eigenversorger
Im Vorfeld des Winterpakets hatte die EU-Kommission in verschiedenen Mitteilungen definiert, welche Ziele erreicht werden sollen. In den Erwägungsgründen der Strom-Binnenmarktrichtlinie ist unter Berufung auf diese Mitteilungen ausgeführt, dass es Ziel der Neuregelungen ist, eine Energieunion zu schaffen, in deren Mittelpunkt Bürger stehen, die Verantwortung für die Energiewende übernehmen, neue Technologien zur Senkung der Energiekosten nutzen und aktiv am Markt teilnehmen. Durch eine bessere Verknüpfung von Großhandels- und Endkundenmärkten mittels neuer Technologien sollen neue und innovative Energiedienstleistungsunternehmen die Verbraucher in die Lage versetzen, sich umfassend an der Energiewende zu beteiligen und ihren Verbrauch so zu steuern, dass energieeffiziente Lösung erzielt werden. Dadurch sollen die Verbraucher Geld sparen und dazu beitragen, den Energieverbrauch insgesamt zu senken. Als Eigenversorger oder gemeinsam handelnde Eigenversorger sollen Endkunden erneuerbare Elektrizität erzeugen, speichern, verbrauchen oder verkaufen dürfen, ohne dass diese Tätigkeiten durch übermäßige bürokratische Hürden oder prohibitive Abgaben oder Umlagen erschwert werden.
Sowohl der „aktive Kunde“ als auch der „Eigenversorger“ werden in den Richtlinien definiert. Der „aktive Kunde“ ist danach ein Endkunde, der an Ort und Stelle oder an einem anderen Ort erzeugte Elektrizität verbraucht, speichert oder eigenerzeugte Elektrizität verkauft und/oder an Flexibilitäts- oder Energieeffizienzprogrammen teilnimmt. Dem aktiven Kunden wird es ermöglicht, alleine oder in einer Gruppe mit anderen aktiven Kunden gemeinsam zu handeln.
Nahezu identisch ist die Definition der „Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“. Auch der Eigenversorger kann alleine oder als „gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare Elektrizität“ als Gruppe handeln. Diese Gruppe muss sich aber im selben Gebäude oder Mehrfamilienhaus befinden.
Aktive Kunden und Eigenversorger sollen angemessen an den Systemkosten beteiligt werden und für die von ihnen verursachten Ungleichgewichte finanziell verantwortlich sein. Sie dürfen aber weder hinsichtlich der bezogenen noch der eigenerzeugten Elektrizität mit diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren, Abgaben, Umlagen oder Gebühren belastet werden.
Hinweis
Die Vorgaben der Richtlinien müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Dabei dürfte der Umsetzungsbedarf geringer sein als ursprünglich erwartet. Soweit ersichtlich, kann die EEG-Umlage auf Eigenverbrauch jedenfalls bei Anlagen mit einer höheren Leistung als 30 kW weiterhin erhoben werden. Der Eigenverbrauch von Strom aus Anlagen bis 10 kW ist bis 10.000 kWh pro Jahr ohnehin schon frei von EEG-Umlage. Die sehr strengen Regelungen zur Eigenversorgung werden allerdings insbesondere im Hinblick darauf gelockert werden müssen, dass sowohl der aktive Kunde als auch der Eigenversorger künftig auch als Gruppe agieren kann. Das ist im deutschen Recht bisher nicht vorgesehen.
Bürgerenergiegemeinschaften und Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften
Energieverbrauchern soll auch die Möglichkeit eröffnet werden, gemeinsam mit anderen am Markt teilzunehmen. Mit „Bürgerenergiegemeinschaften“ und „Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften“ definieren die Richtlinien Gemeinschaften, die aus natürlichen Personen, Körperschaften oder Kleinunternehmen bestehen können und die in den unterschiedlichsten Bereichen am Energiemarkt teilnehmen können. Der Hauptzweck dieser Gemeinschaften darf nicht darin bestehen, finanzielle Gewinne zu erwirtschaften, sondern ihren Mitgliedern Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten. Ob diesen Gemeinschaften auch erlaubt sein muss, Verteilnetze zu betreiben, dürfen die Mitgliedsstaaten entscheiden.
Zu welchen Bedingungen die Gemeinschaften den von ihnen erzeugten oder erworbenen Strom gemeinsam nutzen dürfen, ist in den Richtlinien nicht abschließend geregelt. Einerseits soll die gemeinsame Nutzung von Elektrizität in Energiegemeinschaften „unbeschadet“ der geltenden Netzentgelte sonstiger Umlagen, Abgaben, Gebühren und Steuern erfolgen. Andererseits schreiben die Richtlinien vor, dass der Bestimmung der Konditionen, zu denen die Energie genutzt wird, eine transparente Kosten-Nutzen-Analyse voranzugehen hat, die die zuständigen nationalen Behörden erarbeiten müssen.
Der bestehende Rechtsrahmen lässt die gemeinsame Nutzung von eigen erzeugtem Strom nur sehr eingeschränkt zu. Die Fördervariante „Mieterstrom“ gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 3 EEG 2017 ist wirtschaftlich wenig attraktiv und wird in der bestehenden Form bei weitem nicht ausreichen, die Anforderungen aus den Richtlinien zu erfüllen.
Schutzbedürftige Kunden
Schutzbedürftige Kunden und insbesondere solche, die von Energiearmut betroffen sind, sollen künftig besser geschützt werden. Die Mitgliedstaaten müssen definieren, wer als „schutzbedürftig“ gilt. Dabei können die Höhe des Einkommens, der Anteil der Energieausgaben am verfügbaren Einkommen, die Energieeffizienz von Wohnungen, die kritische Abhängigkeit von elektrischen Geräten für gesundheitliche Zwecke, das Alter oder andere Kriterien herangezogen werden. Auch die Kriterien für die Definition von Energiearmut legen die Mitgliedsstaaten selbst fest.
Schutzbedürftige und von Energiearmut betroffene Kunden sollen durch sozialpolitische Maßnahmen und nur ganz ausnahmsweise durch staatliche Eingriffe in die marktorientierte Preisbildung geschützt werden. Vorrangig sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass auch schutzbedürftige und von Energiearmut betroffene Kunden Zugang zu Energiedienstleistungen und den Angeboten des Strommarktes erhalten. Auch diese Kundengruppen sollen intelligente Messsysteme erhalten und die Möglichkeit haben, zu dynamischen Stromtarifen beliefert zu werden. Zum Schutz dieser Kundengruppen sollen die Mitgliedstaaten auch sicherstellen, dass unabhängige Vergleichsinstrumente wie etwa Vergleichsportale am Markt verfügbar sind, die den Kunden eine möglichst vollständige Palette an Stromangeboten aufzeigen, die einen wesentlichen Teil des Marktes abdecken. Auch kürzere Wechselfristen sollen dem Schutz der Kunden dienen. Die Mitgliedsstaaten haben sicherzustellen, dass der technische Vorgang des Versorgerwechsels spätestens ab 2026 nicht länger als 24 Stunden dauert und der Versorgerwechsel an jedem Werktag erfolgen kann. Weiterhin sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, regulatorische oder verwaltungstechnische Hindernisse zu beseitigen, die der Beteiligung von Haushaltskunden an sog. kollektiven Wechselsystemen oder Wechselmodellen entgegenstehen. Damit sind offenbar Systeme oder Modelle gemeint, mit denen sich Verbraucher zum gemeinsamen Bezug von Energie zusammenschließen, um die Nachfragemacht zu nutzen, die sich aus der größeren Bezugsmenge ergibt. Ob es diese Hindernisse tatsächlich gibt und ob derartige Systeme überhaupt ein Geschäftsmodell darstellen das am Markt angeboten werden wird, ist offen.
Seitens verschiedener Verbraucherverbände wird schon geraume Zeit moniert, dass schutzbedürftige und von Energiearmut betroffenen Kunden dem Markt und den Stromversorgern ausgeliefert seien. Insbesondere sei die Anzahl der Stromsperren zu hoch. Hier dürfte erheblicher Umsetzungsbedarf bestehen. Das vom Bundesjustizministerium im März 2019 vorgelegte Eckpunktepapier zum „Gesetz gegen Kostenfallen“ geht bereits in diese Richtung. Danach soll die Erstlaufzeit von unterschiedlichen Verträgen, u.a. von Energielieferverträgen außerhalb der Grundversorgung, künftig nicht mehr wie bisher zwei Jahre, sondern höchstens noch ein Jahr betragen. Verträge sollen sich danach nur noch um jeweils drei Monate und nicht mehr um je ein Jahr verlängern dürfen.
Peer to peer Geschäfte
Eigenversorgern mit erneuerbarer Elektrizität soll mit „peer to peer Geschäften“ ein neues Instrument in die Hand gegeben werden. Der Begriff in den Definitionskatalog in Art. 2 der Richtlinie[1] aufgenommen. Er beschreibt den Verkauf erneuerbarer Energie zwischen Marktteilnehmern auf Grundlage eines Vertrages mit vorab festgelegten Bedingungen für die automatische Abwicklung und Abrechnung der Transaktion, entweder direkt zwischen den Beteiligten oder über einen dritten Marktteilnehmer, beispielsweise einen Aggregator. Die Richtlinie greift damit Geschäftsmodelle auf, mit denen verschiedene Anbieter seit einiger Zeit versuchen, den direkten Handel zwischen Erzeugern von Strom aus erneuerbaren Energien und Verbrauchern zu etablieren. Einige Modelle basieren auf der sog. Blockchain-Technologie.
Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die Infrastruktur für solche Geschäfte bereitzustellen, sie müssen lediglich sicherstellen, dass Marktteilnehmer berechtigt sind, Energie auch mittels solcher Instrumente zu handeln. Mitgliedsstaaten dürfen die mittels „peer to peer Geschäften“ gehandelte Energie nicht diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren, Umlagen, Abgaben oder Netzentgelten unterwerfen.
Fernwärme
Auch im Wärmesektor sollen die Rechte der Verbraucher gestärkt und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert werden. Die Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass Fernwärmekunden Informationen über die Gesamtenergieeffizienz der Wärmeversorgung und den Anteil erneuerbarer Energie im Wärme- oder Kältesystem erhalten. Kunden von Fernwärme- oder Fernkältesystemen, die keine effizienten Systeme i.S.d. Rili. 2012/27 (Effizienzrichtlinie) sind, sollen sich unter bestimmten Voraussetzungen durch Kündigung oder Änderung des Vertrages abkoppeln können, um selbst Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Quellen zu produzieren. Die Mitgliedsstaaten können das Kündigungsrecht auf die Kunden beschränken, die belegen, dass die geplante Wärme- bzw. Kälteversorgung zu wesentlich besseren Ergebnissen bei der Gesamtenergieeffizienz führt. Bei Mehrfamilienhäusern kann das Kündigungsrecht nur für das gesamte Gebäude und nicht für einzelne Wohnungen ausgeübt werden.
Hinweis
Die bisherigen rechtlichen Regelungen zur Fernwärme sehen weder die Informations- noch die Kündigungsrechte von Verbrauchern in der Form und in dem Umfang vor, wie in der Richtlinie geregelt. Hier ist der Gesetz- und Verordnungsgeber gefordert.
Ausblick
Der Erfolg der Maßnahmen aus dem Winterpaket hängt nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, auch Haushalte zügig mit intelligenten Messeinrichtungen auszustatten und ob der Verbraucher die ihm zugedachte Rolle als aktiver Marktteilnehmer auch annimmt. Wie die Beispiele Eigenerzeugung einerseits und Mieterstrom andererseits zeigen, werden die Instrumente erfolgreich sein, die dem Verbraucher einen klaren Kostenvorteil verschaffen. Nur wirtschaftlich attraktive Modell werden sich am Markt behaupten können.
[1] Art. 2 Nr. 18 Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2018/2001).