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Steuerberatung

DBA-Schweiz: "Nichtrückkehrtage" von Grenzgängern

BFH 30.5.2018, I R 62/16

Das Mit­glied ei­nes Opern­chors ist "Künst­ler" i.S.v. Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010. Da­bei um­fasst das Be­steue­rungs­recht des Tätig­keits­staats nach Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 auch die Vergütungs­teile, wel­che dem Künst­ler für die Mit­wir­kung an Pro­ben ge­zahlt wer­den, die der Vor­be­rei­tung der Auf­tritte vor Pu­bli­kum die­nen.

Der Sach­ver­halt:

Der Kläger mit Wohn­sitz im In­land war in der Schweiz als Sänger ei­nes Opern­chors nicht­selbständig tätig. Von den dem ihm zu­ste­hen­den Vergütun­gen be­hiel­ten das Opern­haus und die Aka­de­mie Schwei­ze­ri­sche Quel­len­steuer ein und führ­ten diese an die Eid­genössi­sche Steu­er­ver­wal­tung ab. In der Schweiz un­ter­hielt der Kläger im Streit­jahr 2012 keine Woh­nung. So­weit er in der Schweiz über­nach­tete, schlief er in sei­nem Wohn­mo­bil und ge­le­gent­lich bei Kol­le­gen. Er kehrte im Streit­jahr auf­grund sei­ner Ar­beits­ausübung an ins­ge­samt 85 Ar­beits­ta­gen nicht an sei­nen inländi­schen Wohn­sitz zurück. Die­ser liegt ca. 118 bzw. 95km von den Spielstätten in der Schweiz ent­fernt.

 

Im Ein­kom­men­steu­er­ver­fah­ren ver­trat der Kläger die Auf­fas­sung, dass nur die Ent­loh­nung der Mit­wir­kung bei den Chor­auf­trit­ten der inländi­schen Be­steue­rung - un­ter An­rech­nung der Schwei­zer Quel­len­steuer - un­ter­liege. Der Ar­beits­lohn für die Pro­bentätig­keit sei da­ge­gen im In­land un­ter Pro­gres­si­ons­vor­be­halt steu­er­frei. Das FG gab der Klage teil­weise statt. Es war der An­sicht, dass nur der­je­nige Teil der Vergütung in die Be­mes­sungs­grund­lage der Ein­kom­men­steuer ein­zu­be­zie­hen sei, der auf die Auf­tritte des Klägers vor Pu­bli­kum ent­falle; der auf die Pro­bentätig­keit ent­fal­lende Ar­beits­lohn sei le­dig­lich bei der Be­rech­nung des Steu­er­sat­zes im Rah­men des Pro­gres­si­ons­vor­be­halts zu berück­sich­ti­gen; die in der Schweiz ge­zahlte Quel­len­steuer sei auf die ta­rif­li­che Ein­kom­men­steuer an­zu­rech­nen.

 

Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hat der BFH das Ur­teil auf­ge­ho­ben und die Klage im Gan­zen ab­ge­wie­sen. Die Re­vi­sion des Klägers wurde zurück­ge­wie­sen.

 

Gründe:

Die vom Kläger im Streit­jahr vom Opern­haus und von der Aka­de­mie be­zo­ge­nen Ein­nah­men un­ter­fal­len als Einkünfte aus nicht­selbständi­ger Ar­beit i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG der Ein­kom­men­steuer. In die Be­mes­sungs­grund­lage der Ein­kom­men­steuer sind die ver­ein­nahm­ten Vergütun­gen für die Mit­wir­kung so­wohl an den Pro­ben als auch an den Aufführun­gen der Opernchöre in der Schweiz mit­ein­zu­be­zie­hen.

 

Art. 15 Abs. 1 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 kam im Streit­fall nicht zur An­wen­dung, weil die Vor­aus­set­zun­gen der ge­genüber die­ser Be­stim­mung vor­ran­gi­gen Re­ge­lung des Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 erfüllt wa­ren. Nach die­ser Vor­schrift können un­ge­ach­tet der Art. 7, 14 und 15 des Ab­kom­mens Einkünfte, die be­rufsmäßige Künst­ler, wie Bühnen-, Film-, Rund­funk- oder Fern­sehkünst­ler und Mu­si­ker, so­wie Sport­ler und Ar­tis­ten für ihre in die­ser Ei­gen­schaft persönlich ausgeübte Tätig­keit be­zie­hen, in dem Ver­trag­staat be­steu­ert wer­den, in dem sie diese Tätig­keit ausüben. Auch Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 weist zwar so­mit dem Tätig­keits­staat (hier: Schweiz) ein Be­steue­rungs­recht zu. Im Un­ter­schied zu Art. 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1d DBA-Schweiz 1971/2010 wird die Dop­pel­be­steue­rung in die­sem Fall je­doch nicht durch Aus­nahme der Vergütung von der Be­mes­sungs­grund­lage der Ein­kom­men­steuer ver­mie­den, son­dern durch An­rech­nung der in der Schweiz er­ho­be­nen Steuer auf die deut­sche Steuer nach Maßgabe von Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 i.V.m. § 34c EStG.

 

Art. 17 DBA-Schweiz 1971/2010 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass das Mit­glied ei­nes im Rah­men ei­ner Opern­aufführung auf­tre­ten­den Opern­chors un­ter den Künst­ler­be­griff (Bühnenkünst­ler bzw. Mu­si­ker) fällt. Maßgeb­lich ist, dass es sich um eine persönlich ausgeübte vor­tra­gende Tätig­keit han­delt, die vor­nehm­lich dem Kunst­ge­nuss oder auch nur der Un­ter­hal­tung des Pu­bli­kums dient, was bei dem Auf­tritt ei­nes Opern­chors im Rah­men ei­ner Opern­aufführung frag­los der Fall ist. Han­delt es sich - wie im Fall von Or­ches­tern oder Chören - um den ge­mein­sa­men Auf­tritt ei­ner Per­so­nen­gruppe, sind sämt­li­che Mit­glie­der der Gruppe und nicht nur de­ren Lei­ter oder Di­ri­gen­ten als Künst­ler i.S. des Art. 17 DBA-Schweiz 1971/2010 an­zu­se­hen.

 

Da­bei er­fasst der Tat­be­stand des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA - Schweiz 1971/2010 nicht nur die auf die Mit­wir­kung an den Auf­trit­ten vor Pu­bli­kum ent­fal­len­den Vergütungs­be­stand­teile, son­dern auch jene Be­stand­teile, die dem Steu­er­pflich­ti­gen nach den Re­ge­lun­gen der Chor­zuzüger­verträge für die Mit­wir­kung an den Pro­ben ge­zahlt wor­den sind. Denn im Streit­fall han­delte es sich um sol­che Pro­ben, die der Vor­be­rei­tung der je­wei­li­gen Auf­tritte der Opernchöre und der für diese Auf­tritte er­for­der­li­chen Ko­or­di­na­tion der Chöre mit den sons­ti­gen En­sem­ble­mit­glie­dern (Or­ches­ter­mu­si­kern und Sängern) ge­dient ha­ben. Ein über die Vor­be­rei­tung der je­wei­li­gen Opern­aufführun­gen hin­aus­ge­hen­der Zweck der Pro­ben - z.B. eine Stärkung der all­ge­mei­nen künst­le­ri­schen Fähig­kei­ten der Mit­wir­ken­den - war hin­ge­gen nicht er­kenn­bar.

 

Die Rechts­wir­kun­gen des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 wur­den im Streit­fall auch nicht durch die Grenzgänger­re­ge­lung des Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 verdrängt. Zwar gebührt Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 bei Steu­er­pflich­ti­gen mit Einkünf­ten aus nicht­selbständi­ger Ar­beit Vor­rang ge­genüber Art. 17 DBA - Schweiz 1971/2010. Doch la­gen die Vor­aus­set­zun­gen der Be­stim­mung im Streit­fall nicht vor. Gem. Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 können un­ge­ach­tet des Art. 15 des Ab­kom­mens Gehälter, Löhne und ähn­li­che Vergütun­gen, die ein Grenzgänger aus un­selbständi­ger Ar­beit be­zieht, in dem Ver­trag­staat be­steu­ert wer­den, in dem die­ser ansässig ist. Grenzgänger in die­sem Sinne ist gem. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 jede in einem Ver­trag­staat ansässige Per­son, die in dem an­de­ren Ver­trag­staat ih­ren Ar­beits­ort hat und von dort re­gelmäßig an ih­ren Wohn­sitz zurück­kehrt. Kehrt diese Per­son nicht je­weils nach Ar­beits­ende an ih­ren Wohn­sitz zurück, entfällt die Grenzgäng­er­ei­gen­schaft nur dann, wenn die Per­son bei ei­ner Be­schäfti­gung während des ge­sam­ten Ka­len­der­jah­res an mehr als 60 Ar­beits­ta­gen auf Grund ih­rer Ar­beits­ausübung nicht an ih­ren Wohn­sitz zurück­kehrt.

 

Im Streit­fall war der Steu­er­pflich­tige je­doch durch­ge­hend kein Grenzgänger im vor­ste­hend be­schrie­be­nen Sinne, weil er an mehr als 60 - nämlich an 85 - Ar­beits­ta­gen auf­grund sei­ner Ar­beits­ausübung nicht an sei­nen Wohn­sitz zurück­ge­kehrt war. Da­bei spielt es keine Rolle, ob der Ar­beit­neh­mer in dem be­tref­fen­den Ka­len­der­jahr für einen oder für meh­rere Ar­beit­ge­ber tätig ge­we­sen ist. Die die­ser Rechts­folge ent­ge­gen ste­hende Übe­rein­kunft zwi­schen den deut­schen und den Schwei­zer Steu­er­behörden (hier: Kon­sul­ta­ti­ons­ver­ein­ba­rung mit der Eid­genössi­schen Steu­er­ver­wal­tung zur ein­heit­li­chen An­wen­dung und Aus­le­gung des Art. 15a DBA-Schweiz 1971 i.d.F. des Ände­rungs­pro­to­kolls vom 21.12. 1992, BStBl I 1993, 928) bin­det die Ge­richte nicht.

 

Link­hin­weis:

 

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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