Der Sachverhalt:
Im Einkommensteuerverfahren vertrat der Kläger die Auffassung, dass nur die Entlohnung der Mitwirkung bei den Chorauftritten der inländischen Besteuerung - unter Anrechnung der Schweizer Quellensteuer - unterliege. Der Arbeitslohn für die Probentätigkeit sei dagegen im Inland unter Progressionsvorbehalt steuerfrei. Das FG gab der Klage teilweise statt. Es war der Ansicht, dass nur derjenige Teil der Vergütung in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einzubeziehen sei, der auf die Auftritte des Klägers vor Publikum entfalle; der auf die Probentätigkeit entfallende Arbeitslohn sei lediglich bei der Berechnung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen; die in der Schweiz gezahlte Quellensteuer sei auf die tarifliche Einkommensteuer anzurechnen.
Auf die Revision des Finanzamtes hat der BFH das Urteil aufgehoben und die Klage im Ganzen abgewiesen. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.
Gründe:
Die vom Kläger im Streitjahr vom Opernhaus und von der Akademie bezogenen Einnahmen unterfallen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG der Einkommensteuer. In die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer sind die vereinnahmten Vergütungen für die Mitwirkung sowohl an den Proben als auch an den Aufführungen der Opernchöre in der Schweiz miteinzubeziehen.
Art. 15 Abs. 1 S. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 kam im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die Voraussetzungen der gegenüber dieser Bestimmung vorrangigen Regelung des Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 erfüllt waren. Nach dieser Vorschrift können ungeachtet der Art. 7, 14 und 15 des Abkommens Einkünfte, die berufsmäßige Künstler, wie Bühnen-, Film-, Rundfunk- oder Fernsehkünstler und Musiker, sowie Sportler und Artisten für ihre in dieser Eigenschaft persönlich ausgeübte Tätigkeit beziehen, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem sie diese Tätigkeit ausüben. Auch Art. 17 Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 weist zwar somit dem Tätigkeitsstaat (hier: Schweiz) ein Besteuerungsrecht zu. Im Unterschied zu Art. 15 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1d DBA-Schweiz 1971/2010 wird die Doppelbesteuerung in diesem Fall jedoch nicht durch Ausnahme der Vergütung von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vermieden, sondern durch Anrechnung der in der Schweiz erhobenen Steuer auf die deutsche Steuer nach Maßgabe von Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 i.V.m. § 34c EStG.
Art. 17 DBA-Schweiz 1971/2010 ist dahin auszulegen, dass das Mitglied eines im Rahmen einer Opernaufführung auftretenden Opernchors unter den Künstlerbegriff (Bühnenkünstler bzw. Musiker) fällt. Maßgeblich ist, dass es sich um eine persönlich ausgeübte vortragende Tätigkeit handelt, die vornehmlich dem Kunstgenuss oder auch nur der Unterhaltung des Publikums dient, was bei dem Auftritt eines Opernchors im Rahmen einer Opernaufführung fraglos der Fall ist. Handelt es sich - wie im Fall von Orchestern oder Chören - um den gemeinsamen Auftritt einer Personengruppe, sind sämtliche Mitglieder der Gruppe und nicht nur deren Leiter oder Dirigenten als Künstler i.S. des Art. 17 DBA-Schweiz 1971/2010 anzusehen.
Dabei erfasst der Tatbestand des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA - Schweiz 1971/2010 nicht nur die auf die Mitwirkung an den Auftritten vor Publikum entfallenden Vergütungsbestandteile, sondern auch jene Bestandteile, die dem Steuerpflichtigen nach den Regelungen der Chorzuzügerverträge für die Mitwirkung an den Proben gezahlt worden sind. Denn im Streitfall handelte es sich um solche Proben, die der Vorbereitung der jeweiligen Auftritte der Opernchöre und der für diese Auftritte erforderlichen Koordination der Chöre mit den sonstigen Ensemblemitgliedern (Orchestermusikern und Sängern) gedient haben. Ein über die Vorbereitung der jeweiligen Opernaufführungen hinausgehender Zweck der Proben - z.B. eine Stärkung der allgemeinen künstlerischen Fähigkeiten der Mitwirkenden - war hingegen nicht erkennbar.
Die Rechtswirkungen des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 wurden im Streitfall auch nicht durch die Grenzgängerregelung des Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 verdrängt. Zwar gebührt Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010 bei Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Vorrang gegenüber Art. 17 DBA - Schweiz 1971/2010. Doch lagen die Voraussetzungen der Bestimmung im Streitfall nicht vor. Gem. Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 können ungeachtet des Art. 15 des Abkommens Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger in diesem Sinne ist gem. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.
Im Streitfall war der Steuerpflichtige jedoch durchgehend kein Grenzgänger im vorstehend beschriebenen Sinne, weil er an mehr als 60 - nämlich an 85 - Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt war. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer in dem betreffenden Kalenderjahr für einen oder für mehrere Arbeitgeber tätig gewesen ist. Die dieser Rechtsfolge entgegen stehende Übereinkunft zwischen den deutschen und den Schweizer Steuerbehörden (hier: Konsultationsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zur einheitlichen Anwendung und Auslegung des Art. 15a DBA-Schweiz 1971 i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21.12. 1992, BStBl I 1993, 928) bindet die Gerichte nicht.
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