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Differenzkindergeld für einen unter die VO (EWG) Nr. 1408/71 fallenden Selbständigen bei Gewährung von Familienleistungen im EU-Ausland

BFH 16.7.2015, III R 39/13

Un­ter­liegt der Selbständige dem persönli­chen An­wen­dungs­be­reich der VO (EWG) Nr. 1408/71, steht ihm ein An­spruch auf Dif­fe­renz­kin­der­geld auch dann zu, wenn Deutsch­land nach Art. 13 ff. der VO (EWG) Nr. 1408/71 der für die Gewährung der Fa­mi­li­en­leis­tun­gen zuständige Mit­glied­staat und die Kon­kur­renz zu den im EU-Aus­land gewähr­ten Fa­mi­li­en­leis­tun­gen nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu lösen sein sollte.

Der Sach­ver­halt:
Es ist strei­tig, ob der Kläger im Streit­zeit­raum (Juli 2007 bis April 2010) deut­sches Kin­der­geld ab­zgl. der in Po­len be­zo­ge­nen Fa­mi­li­en­leis­tun­gen (Dif­fe­renz­kin­der­geld) be­an­spru­chen kann.

Der Kläger ist pol­ni­scher Staats­an­gehöri­ger. Seine nicht er­werbstätige Ehe­frau lebte mit den bei­den Kin­dern P (ge­bo­ren im April 1991) und K (ge­bo­ren im Ja­nuar 1993) in Po­len und be­zog dort im Streit­zeit­raum pol­ni­sche Fa­mi­li­en­leis­tun­gen. Der Kläger ist seit Juli 2007 in Deutsch­land selbständig tätig und hat dort sei­nen Wohn­sitz. Er ist nach sei­nen An­ga­ben in Deutsch­land kran­ken­ver­si­chert, i.Ü. je­doch nicht so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig. Im Juni 2011 setzte die Fa­mi­li­en­kasse je­weils Kin­der­geld für die Kin­der P und K für den Streit­zeit­raum in hälf­ti­ger Höhe fest. I.Ü. lehnte sie den An­trag ab.

Das FG wies die Klage, mit der der Kläger Dif­fe­renz­kin­der­geld für P und K für den Streit­zeit­raum be­gehrte, ab. Auf die Re­vi­sion des Klägers hob der BFH das Ur­teil auf und ver­wies die Sa­che an das FG zurück.

Die Gründe:
Das FG hat zwar zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass der Kläger nach den §§ 62 ff. EStG für die bei­den in Po­len le­ben­den Kin­der P und K an­spruchs­be­rech­tigt ist. Es ist aber rechts­feh­ler­haft da­von aus­ge­gan­gen, dass dem Kläger bei eröff­ne­tem persönli­chen An­wen­dungs­be­reich der VO Nr. 1408/71 und Zuständig­keit Deutsch­lands für die Gewährung der Fa­mi­li­en­leis­tun­gen (Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71) kein An­spruch auf Dif­fe­renz­kin­der­geld zu­stehe, wenn die Kon­kur­renz zwi­schen dem deut­schen Kin­der­geld­an­spruch und den pol­ni­schen Fa­mi­li­en­leis­tun­gen nach der na­tio­na­len An­ti­ku­mu­lie­rungs­vor­schrift des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu lösen sei. Ent­ge­gen der Rechts­an­sicht des FG be­steht in ei­ner der­ar­ti­gen Si­tua­tion ein An­spruch auf Dif­fe­renz­kin­der­geld.

Nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG wird Kin­der­geld nicht für ein Kind ge­zahlt, für das Leis­tun­gen zu zah­len sind oder bei ent­spre­chen­der An­trag­stel­lung zu zah­len wären, die im Aus­land gewährt wer­den und dem Kin­der­geld oder ei­ner der in § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG ge­nann­ten Leis­tun­gen ver­gleich­bar sind. Der EuGH ent­schied in dem Ur­teil Hud­zinski und Wa­wr­zy­niak u.a. für eine Kon­stel­la­tion, in der der persönli­che An­wen­dungs­be­reich der VO Nr. 1408/71 eröff­net und Deutsch­land nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 (so­gar) der un­zuständige Mit­glied­staat war, dass § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG auf­grund der Be­stim­mun­gen der Art. 45 ff. AEUV nicht zum Aus­schluss, son­dern nur zu ei­ner Kürzung des deut­schen Kin­der­gel­des um die Höhe des Be­trags der in dem an­de­ren Staat gewähr­ten ver­gleich­ba­ren Leis­tung führen darf.

Zwar er­ging die­ses Ur­teil zur Ausübung der Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit, während im Streit­fall die Ausübung der Nie­der­las­sungs­frei­heit (Freizügig­keit der Selbständi­gen; Art. 49 AEUV) in Rede steht. Doch ist kein sach­li­cher Grund dafür er­sicht­lich, in einem Fall, in dem der persönli­che Gel­tungs­be­reich der VO Nr. 1408/71 eröff­net und Deutsch­land der nach den Art. 13 ff. zuständige Mit­glied­staat sein sollte, einen Selbständi­gen an­ders zu be­han­deln als einen Ar­beit­neh­mer. Der EuGH hat u.a. auf den ers­ten Erwägungs­grund der VO Nr. 1408/71 ver­wie­sen, nach dem die Vor­schrif­ten zur Ko­or­di­nie­rung der in­ner­staat­li­chen Re­ge­lun­gen über so­ziale Si­cher­heit zur Freizügig­keit von Per­so­nen gehören und zur Ver­bes­se­rung de­ren Le­bens­stan­dards und Ar­beits­be­din­gun­gen bei­tra­gen sol­len. Die­ser Zweck greift für Selbständige, die dem persönli­chen An­wen­dungs­be­reich der VO Nr. 1408/71 un­ter­lie­gen, glei­chermaßen ein.

Auch der Se­nat hat in sei­nem Ur­teil vom 13.11.2014 (III R 1/13) einen deut­schen Kin­der­geld­an­spruch in vol­ler Höhe aus dem Primärrecht für eine nicht un­ter den An­wen­dungs­be­reich der VO Nr. 1408/71 fal­lende Per­son maßgeb­lich mit dem Ar­gu­ment ab­ge­lehnt, dass der ge­nannte Erwägungs­grund der VO Nr. 1408/71 bei ei­ner nicht un­ter den persönli­chen An­wen­dungs­be­reich die­ser Ver­ord­nung fal­len­den Per­son nicht zum Tra­gen kommt. Da­nach sind bei eröff­ne­tem persönli­chen An­wen­dungs­be­reich die im be­zeich­ne­ten EuGH-Ur­teil nie­der­ge­leg­ten Grundsätze auf den Streit­fall über­trag­bar, so dass für den Fall, dass Deutsch­land nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der zuständige Mit­glied­staat und die An­spruchs­kon­kur­renz nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu lösen sein sollte, es nur zu ei­ner ent­spre­chen­den Kürzung des deut­schen Kin­der­geld­an­spruchs in Höhe der in Po­len gewähr­ten Fa­mi­li­en­leis­tung kom­men darf.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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