Der Sachverhalt:
Es ist streitig, ob der Kläger im Streitzeitraum (Juli 2007 bis April 2010) deutsches Kindergeld abzgl. der in Polen bezogenen Familienleistungen (Differenzkindergeld) beanspruchen kann.
Das FG wies die Klage, mit der der Kläger Differenzkindergeld für P und K für den Streitzeitraum begehrte, ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Gründe:
Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass der Kläger nach den §§ 62 ff. EStG für die beiden in Polen lebenden Kinder P und K anspruchsberechtigt ist. Es ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Kläger bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 und Zuständigkeit Deutschlands für die Gewährung der Familienleistungen (Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71) kein Anspruch auf Differenzkindergeld zustehe, wenn die Konkurrenz zwischen dem deutschen Kindergeldanspruch und den polnischen Familienleistungen nach der nationalen Antikumulierungsvorschrift des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu lösen sei. Entgegen der Rechtsansicht des FG besteht in einer derartigen Situation ein Anspruch auf Differenzkindergeld.
Nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind. Der EuGH entschied in dem Urteil Hudzinski und Wawrzyniak u.a. für eine Konstellation, in der der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 (sogar) der unzuständige Mitgliedstaat war, dass § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG aufgrund der Bestimmungen der Art. 45 ff. AEUV nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer Kürzung des deutschen Kindergeldes um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen darf.
Zwar erging dieses Urteil zur Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, während im Streitfall die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit der Selbständigen; Art. 49 AEUV) in Rede steht. Doch ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, in einem Fall, in dem der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland der nach den Art. 13 ff. zuständige Mitgliedstaat sein sollte, einen Selbständigen anders zu behandeln als einen Arbeitnehmer. Der EuGH hat u.a. auf den ersten Erwägungsgrund der VO Nr. 1408/71 verwiesen, nach dem die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Regelungen über soziale Sicherheit zur Freizügigkeit von Personen gehören und zur Verbesserung deren Lebensstandards und Arbeitsbedingungen beitragen sollen. Dieser Zweck greift für Selbständige, die dem persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterliegen, gleichermaßen ein.
Auch der Senat hat in seinem Urteil vom 13.11.2014 (III R 1/13) einen deutschen Kindergeldanspruch in voller Höhe aus dem Primärrecht für eine nicht unter den Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallende Person maßgeblich mit dem Argument abgelehnt, dass der genannte Erwägungsgrund der VO Nr. 1408/71 bei einer nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Person nicht zum Tragen kommt. Danach sind bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich die im bezeichneten EuGH-Urteil niedergelegten Grundsätze auf den Streitfall übertragbar, so dass für den Fall, dass Deutschland nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der zuständige Mitgliedstaat und die Anspruchskonkurrenz nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG zu lösen sein sollte, es nur zu einer entsprechenden Kürzung des deutschen Kindergeldanspruchs in Höhe der in Polen gewährten Familienleistung kommen darf.
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