Studien zufolge nutzen mittelständische Unternehmen noch zu wenig das Potenzial für neue digitale Geschäftsmodelle, das die Plattformökonomie und das Internet of Things (IoT) bieten. Woran liegt das?
Voraussetzung für digitale Geschäftsmodelle im IoT ist die gemeinsame Big-Data-Auswertung von Maschinendaten durch Hersteller und Zulieferer. Das hat sich bislang aber noch nicht durchgesetzt, weil Standards für den Datenaustausch fehlen. Ein weiterer Grund ist die ungleiche Verhandlungsmacht zwischen Konzernen und mittelständischen Zulieferern. Es wird kein gesetzliches Eigentumsrecht an Maschinendaten geben, so dass vertraglich zu regeln ist, wer welche Daten wie nutzen darf.
Wie lässt sich die Situation ändern? Worauf müssen Mittelständler achten, wenn sie datengetriebene Geschäftsmodelle voranbringen wollen?
Die Zeit ist günstig für Mittelständler, die an der digitalen Transformation tüfteln. Erstens brauchen die Hersteller ihre Zulieferer, um Innovationen zu skalieren: Digitale Services für ein besseres Energie-, Ressourcen- und Kostenmanagement werden umso wertvoller, je mehr Partner Erkenntnisse aus Sensordaten teilen. Zugleich ergeben sich dadurch immer neue Ansatzpunkte für noch mehr digitale Dienste. Deshalb pochen Hersteller bei einer Zusammenarbeit auf IoT-Plattformen in der Regel nicht mehr auf Exklusivrechte an Daten.
Zweitens spielen Initiativen für standardisierte, cloudbasierte Ökosysteme wie das europäische Projekt Gaia X oder der Industrial Data Space der Fraunhofer-Gesellschaft mittelständischen Unternehmen in die Hände: Sie helfen, Datenzugriff und -nutzung selbstbestimmt, sicher und diskriminierungsfrei vertraglich zu regeln und möglichst viele Partner unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen einzubinden – von OEMs und Zulieferern bis zum Windenergielieferanten oder Öffentlichen Personennahverkehr und Wetterdienst. Die Inhaber von Maschinendaten werden mit Verfahren und Technologien unterstützt, um Bedingungen und Auflagen beim Umgang mit Daten zu beschreiben und Nutzungsrestriktionen durchzusetzen. Es gibt auch branchenspezifische Ansätze wie das Nevada Share & Secure-Konzept des Verbands der deutschen Automobilindustrie.
Wie wird aus der besseren Verhandlungsposition ein geldwerter Vorteil?
Zulieferer müssen den Wert ihrer Daten kennen und wissen, welche Bausteine für neue digitale Services einem OEM ohne diese Informationen fehlen könnten. Ein Ansatzpunkt kann sein, dass das eigene Produkt in den Maschinen von Wettbewerbern ebenfalls verbaut ist oder auch in anderen Märkten agiert. Aus der Anzahl produzierter Waren lassen sich beispielsweise Rückschlüsse auf den Rohstoffbedarf ziehen und die Dauer des Fertigungsprozesses zeigt Potenziale für Effizienzsteigerungen auf, die unter Umständen für verschiedene Branchen von Interesse sind.
Was sind typische Hürden in der Praxis?
Häufig müssen Mittelständler zunächst in technische Kompetenz investieren, um den Wert ihrer Daten zu kennen. Das scheuen viele genauso wie die Komplexität der neuen Vertrags- und Wertschöpfungsstrukturen: Statt einer produktzentrierten Denke gilt es den Blickwinkel zu weiten auf die Chancen und Risiken in einem offenen Ökosystem mit vielen Partnern unterschiedlichster Branchen. Alle bewegen sich auf Neuland. Kosten und Nutzen der Investition sind oft schwer zu beziffern.
Wie überwindet man diese Hindernisse? Wie lassen sich Daten monetarisieren?
Die Wertschöpfung hängt bei digitalen Services von der Verfügbarkeit, Menge und Qualität der Daten ab. Es geht um Fragen wie: Wie wollen wir uns strategisch positionieren? Ist es sinnvoll, sich den Zugriff auf die Produktions- und Zustandsdaten einzelner Maschinen oder der kompletten Industrieanlage zu sichern? Welche Verpflichtungen hinsichtlich IT-Sicherheit und Datenschutz wollen beziehungsweise müssen wir dafür übernehmen? Welcher Partner hat welches Interesse und welche Risiken entstehen dadurch für unser Geschäftsmodell?
Umfragen zufolge bestehen oft auch Unsicherheiten beim Datenschutz. Wo lauern Fußangeln bei der gemeinsamen Datennutzung von Herstellern, Zulieferern und Endkunden?
Der wirtschaftliche Erfolg von Data-Sharing-Modellen hängt wesentlich von der Frage ab: Wie kann ich Daten generieren, ohne dass ein Personenbezug gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die Verwertung erschwert oder faktisch unmöglich macht? Gerade bei der Auswertung der Daten an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungskette kann das schwierig werden. Unter Umständen bedeutet das, dass der Autohändler für Hersteller und Zulieferer Einwilligungen einholen muss. Denn die DSGVO definiert strenge Grenzen, um personenbezogene Informationen aus Sensoren in Maschinen oder Fahrzeugen für digitale Services zu nutzen: Etwa wenn dies erforderlich ist, um den Vertrag mit dem Betroffenen durchzuführen, seine Einwilligung oder ein berechtigtes Interesse vorliegt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Aufsichtsbehörden in diesem Bereich aktiv werden, so dass bei Geschäftsmodellen mit vielen aggregierten Daten hohe Bußgelder drohen.
Wie lässt sich Haftungsrisiken vorbeugen?
Sinnvoll ist, nach Anwendungsmodellen ohne Personenbezug zu suchen. In den meisten Fällen ist ein solcher verzichtbar und nur nice-to-have. Mit einer DSGVO-konformen Anonymisierung oder Pseudonymisierung der erhobenen Daten kann die Datenverarbeitung erheblich vereinfacht werden. Die genannten Initiativen für einen offenen Datenaustausch wie Gaia X, Industrial Data Space oder Nevada bieten ebenfalls Lösungsansätze, um zu verhindern, dass Mittelständler für Datenschutzverstöße eines OEM haften.