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Die digitale Revolution kommt - worauf müssen sich Unternehmen konkret einstellen?

In der letz­ten Aus­gabe der no­vus Man­dan­ten­in­for­ma­tion ha­ben wir mit Sven Gies­sel­bach, Team Lead Na­tu­ral Lan­guage Un­der­stan­ding beim Fraun­ho­fer IAIS in Sankt Au­gus­tin, all­ge­mein über KI, de­ren Ri­si­ken und Foun­da­tion Mo­dels ge­spro­chen. Jetzt set­zen wir das Ge­spräch mit ihm fort und wol­len nun kon­kre­ter wer­den. Wir er­hal­ten von ihm Ein­bli­cke in seine kon­kre­ten Pro­jekte und wie sich Un­ter­neh­men im Hin­blick auf den Ein­satz von KI auf­stel­len können und sol­len.

Am Fraun­ho­fer In­sti­tut ar­bei­ten Sie un­mit­tel­bar an Foun­da­tion Mo­dels. Viel­leicht ge­ben Sie ein­mal einen prak­ti­schen Ein­blick wie diese ent­lang der Wert­schöpfungs­kette von Un­ter­neh­men ein­ge­setzt wer­den können.

Gerne, auch wenn ich hier ver­mut­lich ganze Sei­ten mit Bei­spie­len füllen könnte. Durch ihre Viel­sei­tig­keit können Foun­da­tion Mo­dels mit den un­ter­schied­lichs­ten Da­ten um­ge­hen und an alle mögli­chen Auf­ga­ben an­ge­passt wer­den. Dar­aus er­gibt sich natürlich eine große Band­breite an An­wen­dungs­ge­bie­ten.

Neh­men wir z. B. das Thema Pro­cu­re­ment, in dem mein Team be­reits ei­nige Er­fah­rung hat. Hier kann der ge­samte Source-to-Pay-Pro­zess un­terstützt wer­den, also von der Lie­fe­ran­ten­su­che bis hin zur Rech­nungs­stel­lung. Um ei­nige Bei­spiele zu nen­nen:

  • Wir ha­ben in un­se­ren Pro­jek­ten be­reits Lösun­gen auf Ba­sis von Foun­da­tion Mo­dels ent­wi­ckelt, um An­ge­bots­an­fra­gen (RFQs) (teil-)au­to­ma­ti­sch zu be­ant­wor­ten und aus ei­ner Aus­wahl von Tau­sen­den von Pro­duk­ten die rich­ti­gen aus­zuwählen.
  • Wir un­terstützen mit Foun­da­tion Mo­dels die Ana­lyse von Verträgen, z. B. um Rah­men­da­ten au­to­ma­ti­siert zu ex­tra­hie­ren oder so­gar Ver­trags­ri­si­ken zu er­ken­nen.
  • Wir ha­ben auf Ba­sis mul­ti­moda­ler Foun­da­tion Mo­dels eine Lösung ent­wi­ckelt, die au­to­ma­ti­siert Da­ten aus Rech­nungs­be­le­gen ex­tra­hiert.

Dies ist nur eine Aus­wahl an Möglich­kei­ten. Diese Mo­delle könn­ten z. B. auch zur au­to­ma­ti­schen Ge­ne­rie­rung von Ver­trags­do­ku­men­ten, zum Ab­gleich von Do­ku­men­ten und vielem mehr ein­ge­setzt wer­den. Ähn­li­che und unzählige wei­tere An­wen­dungs­bei­spiele er­ge­ben sich in der Me­di­zin, im HR-Be­reich etc.

Die landläufige Vor­stel­lung be­steht darin, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Chat GPT4 o. ä, Lösun­gen für al­les bie­ten kann. Ist das zu­tref­fend? Oder geht die Ten­denz da­hin, dass es künf­tig in­di­vi­du­elle KI-Lösun­gen für Un­ter­neh­men und ge­wisse An­wen­dungs­be­rei­che ge­ben wird?

Das ist eine span­nende Frage. Mitte 2022 habe ich mich ge­fragt, ob bald al­les von den Lösun­gen von Mi­cro­soft, OpenAI, Google und Co. do­mi­niert wird. Denn nur diese Un­ter­neh­men ha­ben die Re­chen­ka­pa­zitäten, um wirk­lich große Mo­delle zu trai­nie­ren. Lange Zeit sah es so aus, als ob vor al­lem die Größe des Mo­dells der ent­schei­dendste Fak­tor für de­ren Leis­tungsfähig­keit wäre. Mitt­ler­weile se­hen wir hier eine leichte Um­kehr: klei­nere, leich­ter zu trai­nie­rende und zu be­trei­bende Mo­delle, die auf hoch­qua­li­ta­ti­ven Da­ten trai­niert wer­den, zei­gen sehr gute Er­geb­nisse. Die Open-Source-Com­mu­nity schließt mit einem ra­san­ten Tempo zu den großen Tech-Fir­men auf und wir se­hen heute die ers­ten Open-Source-Mo­delle, die GPT3.5 in ver­schie­de­nen Auf­ga­ben schla­gen und sich der Leis­tungsfähig­keit von GPT4 Mo­del­len annähern.

Ich sehe hier zwei Stränge - Un­ter­neh­men, die diese Mo­delle hauptsäch­lich auf nicht-sen­si­ti­ven Da­ten ein­set­zen, wer­den auf die Lösun­gen von Mi­cro­soft und Co. set­zen. Sie müssen sich nicht um das Trai­ning der Mo­delle kümmern, er­hal­ten die mit­un­ter leis­tungsstärks­ten Mo­delle und kämp­fen auch nicht um die Res­sour­cen im Un­ter­neh­men. Al­ler­dings müssen sie dann in Kauf neh­men, dass die Ant­wort­zei­ten der Mo­delle ggf. lang sind, dass sie von einem Pro­vi­der abhängig wer­den und dass sich mögli­cher­weise mit Ver­si­onsände­run­gen plötz­lich As­pekte der Mo­delle ver­schlech­tern.

Auf der an­de­ren Seite wer­den wir Un­ter­neh­men se­hen, die Foun­da­tion Mo­dels spe­zi­ell für ihre An­wen­dungsfälle oder ihre Un­ter­neh­mens­da­ten an­pas­sen und be­trei­ben. In die­sem Fall sind spe­zi­el­lere, klei­nere Mo­delle sehr span­nend und bie­ten auch Vor­teile ge­genüber der Nut­zung der kom­mer­zi­el­len Mo­delle. Al­ler­dings müssen die Un­ter­neh­men dann auch die Kom­pe­tenz er­wer­ben, diese Mo­delle zu ad­ap­tie­ren und zu be­trei­ben.

In wel­chen Be­rei­chen/Ab­tei­lun­gen ist schon jetzt der Ein­satz von - all­ge­mein zugäng­li­cher - KI in Un­ter­neh­men sinn­voll und wo soll­ten un­be­dingt Ei­gen­ent­wick­lun­gen vor­ge­nom­men wer­den?

Im Mo­ment würde ich das vor al­lem da­von abhängig ma­chen, wie sen­si­bel und schützens­wert die Da­ten sind, die mit dem Mo­dell ver­ar­bei­tet wer­den sol­len und wie kri­ti­sch die Pro­zesse sind, die mit den Mo­del­len au­to­ma­ti­siert wer­den. Wenn die Da­ten un­kri­ti­sch sind und ich da­mit le­ben kann, dass ich ggf. längere Ant­wort­zei­ten habe, dann kann man auf kom­mer­zi­elle Mo­delle zu­grei­fen.

Übe­rall dort, wo das nicht der Fall ist, lohnt es sich, über Ei­gen­ent­wick­lun­gen nach­zu­den­ken, z. B. auf Ba­sis der unzähli­gen Mo­delle auf der Platt­form hug­ging­face. Dies hat den zusätz­li­chen Vor­teil, dass man un­abhängig von Dritt­an­bie­tern bleibt. Al­ler­dings müssen hier die Kos­ten und Res­sour­cen berück­sich­tigt wer­den. Die nötige Ex­per­tise, In­fra­struk­tur und der Auf­wand sind nicht un­beträcht­lich.

Ge­hen wir weg von der Ent­wick­lung hin zur An­wen­dung von Künst­li­cher In­tel­li­genz. Hier spielt das sog. Prompting eine große Rolle. Da­von hängt schließlich die Qua­lität des von der KI ge­ne­rier­ten Er­geb­nis­ses ab. Ist also KI im­mer nur so gut, wie die Frage, die ihr ge­stellt wurde?

Das Prompting ist tatsäch­lich ein ent­schei­den­der Fak­tor. Die Art und Weise, wie ich meine An­frage for­mu­liere, kann die Ant­wort, die ich er­halte, maßgeb­lich be­ein­flus­sen. Eine der ers­ten Pu­bli­ka­tio­nen, die sich mit die­sem Thema be­schäftigt hat, hat z. B. ge­zeigt, dass es eine große Leis­tungs­stei­ge­rung bringt, wenn man das Mo­dell an­weist, schritt­weise eine Lösung zu er­ar­bei­ten. Es hat sich auch ge­zeigt, dass es bes­ser ist, dem Mo­dell eine be­stimmte Rolle zu­zu­wei­sen, also z. B. zu Be­ginn ei­ner An­wei­sung zu sa­gen: Du bist Ex­perte für Steu­er­recht. Mitt­ler­weile ar­bei­ten die An­bie­ter der Mo­delle aber auch daran, dies zu ver­ein­fa­chen, so dass die Mo­delle un­abhängi­ger von kon­kre­ten For­mu­lie­run­gen wer­den. Außer­dem hat sich ge­zeigt, dass die Mo­delle selbst bes­ser als Men­schen in der Lage sind, ge­eig­nete Prompts zu for­mu­lie­ren. D. h. wir müssen uns ggf. nicht mehr lange da­mit aus­ein­an­der­set­zen, wie wir die rich­ti­gen Prompts for­mu­lie­ren, son­dern fra­gen ein­fach die Mo­delle selbst.

Was be­deu­ten die Ent­wick­lun­gen im Be­reich der KI für die Ar­beits­welt. Ge­genwärtig ha­ben wir einen großen Man­gel an (Fach-)Kräften zu ver­zeich­nen - be­steht nicht auf kurze oder lange Sicht die Ge­fahr, dass zahl­rei­che Ar­beitsplätze weg­fal­len? Oder verändern sich le­dig­lich die Job­pro­file?

Es wäre falsch zu glau­ben, dass wir kei­nen Weg­fall von Ar­beitsplätzen se­hen wer­den. Wenn diese Mo­delle zu Ef­fi­zi­enz­stei­ge­run­gen führen, wer­den Un­ter­neh­mer und Un­ter­neh­me­rin­nen si­cher darüber nach­den­ken, auf diese Weise Geld zu spa­ren. Dar­auf müssen wir uns und die Ge­sell­schaft vor­be­rei­ten. Ich glaube, dass die­je­ni­gen, die sich die Nut­zung die­ser neuen Mo­delle an­eig­nen und da­mit um­ge­hen können, jetzt im Vor­teil sind. In diese Rich­tung wer­den sich auch die Job­pro­file verändern. Es liegt aber auch an uns, diese The­men in der Schul­bil­dung und in der Aus- und Wei­ter­bil­dung von Ar­beit­neh­mern zu plat­zie­ren. Wie ein­gangs ge­sagt: Wir soll­ten die Chan­cen se­hen - müssen dann aber auch jetzt han­deln.

Lie­ber Herr Gies­sel­bach, vie­len Dank für das Ge­spräch!

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