Erstattungsanspruch für rechtsgrundlos gezahlte Umsatzsteuer gegen den Fiskus
Hat ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer eine unzutreffend in Rechnung gestellte und gesetzlich nicht geschuldete Umsatzsteuer bezahlt, ist der Steuerbetrag nicht als Vorsteuer abziehbar. Grundsätzlich hat die Rückabwicklung der Zahlung zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger daher auf dem Zivilrechtsweg zu erfolgen.
Im Wege des sich aus dem Unionsrecht ergebenden sog. Direktanspruchs in der Umsatzsteuer kann der Leistungsempfänger jedoch eine Erstattung des Umsatzsteuerbetrags von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller übermäßig erschwert ist. Das Rechtsinstrument des Direktanspruchs zur Regelung der Rückzahlung von rechtsgrundlos gezahlten Steuern geht zurück auf die EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Reemtsma Cigarettenfabrik (EuGH-Urteil vom 15.03.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma, DStRE 2007, S. 570). Dieses wurde durch den BFH u.a. mit Urteilen vom 30.06.2015 (Az. VII R 30/14, BFH/NV 2015, S. 1611) und 22.08.2019 (Az. V R 50/16, BFH/NV 2020, S. 71) fortentwickelt.
BMF nimmt erstmals Stellung zu den Anspruchsvoraussetzungen
Mit dem nun vorliegenden BMF-Schreiben vom 12.04.2022 veröffentlicht das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die o.g. BFH-Urteile und ergänzt Abschnitt 15.11 des Umsatzsteueranwendungserlasses um einen neuen Absatz 8, in dem auf das vorliegende BMF-Schreiben verwiesen wird. Darin konkretisiert die Finanzverwaltung ihre Auffassung zum Direktanspruch in der Umsatzsteuer und stellt folgende Grundsätze auf:
Leistungsbezug und grundsätzlich „ordnungsgemäße“ Rechnung
- Voraussetzung für eine Erstattung der Umsatzsteuer im Wege des Direktanspruchs ist, dass der Rechnungsaussteller die Leistung tatsächlich erbracht hat oder bei Anzahlungsrechnungen tatsächlich erbringen wollte. Im Falle des unberechtigten Steuerausweises (§ 14c Abs. 2 UStG) fehlt es daher an den Voraussetzungen für den Direktanspruch.
- Die allgemeinen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug müssen grundsätzlich gegeben sein, insbesondere muss eine bis auf den Steuerausweis ordnungsgemäße Rechnung vorliegen. Ein Ausschlussgrund nach § 15 Abs. 2 bis 4 UStG steht dem Direktanspruch hingegen nicht entgegen, da der Leistungsempfänger bei korrekter Rechnungsstellung nicht mit Umsatzsteuer belastet gewesen wäre.
Anspruch muss durchsetzbar sein und die Finanzbehörde muss bereichert sein
- Der zivilrechtliche Anspruch muss (weiter) bestehen und durchsetzbar sein, d.h. es darf keine Verjährung eingetreten sein.
- Zudem muss die Finanzbehörde bereichert sein. Einem Direktanspruch steht vor allem entgegen, wenn der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer nicht angemeldet hat, die Umsatzsteuer in Schätzungsfällen festgesetzt wurde, Steuerrückstände bestehen oder der leistende Unternehmer unberechtigt Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
Geltendmachung im besonderen Billigkeitsverfahren und nur nachrangig möglich
- Über den Direktanspruch ist im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens nach §§ 163, 227 AO zu entscheiden. Zuständig ist das für die Umsatzsteuerfestsetzung des Leistungsempfängers zuständige Finanzamt.
- Ein etwaiges Mitverschulden des Leistungsempfängers an der Ausstellung der falschen Rechnung kann, je nach Sachlage, zur Versagung des Direktanspruchs führen. Ebenso wie der Umstand, dass der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Leistungsbezug an einer Steuerhinterziehung nach § 25f UStG beteiligt hat.
- Der Leistungsempfänger hat seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegen den Leistenden geltend zu machen.
- Der Direktanspruch ist nachrangig gegenüber dem Verfahren zur Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG.
Anspruch besteht regelmäßig nur bei abgeschlossenem Insolvenzverfahren über das Vermögen des leistenden Unternehmers
- Von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung kann regelmäßig nur im Fall eines mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages ausgegangen werden.
- Die bloße Zahlungsunfähigkeit reicht nicht aus, da dann immer noch die (vorrangige) Möglichkeit des Ausgleichs über die Quote besteht. Ein Direktanspruch kann dann allenfalls für den nicht über die Quote erzielten Teil in Betracht kommen.
Strenge Anforderungen der Finanzverwaltung
Zu begrüßen ist, dass die Finanzverwaltung mit dem BMF-Schreiben einen Direktanspruch anerkennt und sich Steuerpflichtige mit dem neu ergangenen BMF-Schreiben nun neben BFH- und EuGH-Rechtsprechung erstmals auf eine Verlautbarung der Finanzverwaltung stützen können.
Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
Der Anspruch muss jedoch im besonderen Billigkeitsverfahren geltend gemacht werden, was immer einer Abwägung im Einzelfall bedarf. Eine Ermessensreduktion des Finanzamtes auf null ist dem Schreiben nicht zu entnehmen, jedoch deuten die durch die Finanzverwaltung aufgestellten Grundsätze auf strenge, verwaltungsseitige Anforderungen für die Erlangung des Direktanspruches hin. So soll finanzamtsseitig beispielsweise erst dann über den Direktanspruch entschieden werden, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Leistenden bereits abgeschlossen ist.
Steuerpflichtige sollten in jeden Fall Vorkehrungen dafür treffen, dass die Ansprüche gegen den Leistenden zivilrechtlich durchsetzbar bleiben, um die Möglichkeit des Rechtsinstituts des Direktanspruchs überhaupt nutzen zu können.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Abwägung der Erfolgsaussichten eines Direktanspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer in Ihrem konkreten Fall.