Der Sachverhalt:
Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass bestimmte der in den Urteilen des Conseil d"État (Staatsrat, Frankreich) festgelegten Bedingungen der Erstattung des Steuervorabzugs für ausgeschüttete Dividenden möglicherweise gegen das Unionsrecht verstießen. Sie gab Frankreich in ihrer Stellungnahme auf, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Da Frankreich der Stellungnahme nicht nachgekommen war, erhob die Kommission Klage beim EuGH und bekam teilweise Recht zugesprochen.
Die Gründe:
Frankreich hat dadurch, dass es den Mechanismus zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung nicht angewandt hat, gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen.
Die Situation einer Gesellschaft, die als Anteilseignerin Dividenden aus ausländischen Quellen erhält, in Bezug auf eine Steuervorschrift, die die wirtschaftliche Doppelbesteuerung ausgeschütteter Gewinne verhindern soll, mit der einer Gesellschaft, die als Anteilseignerin Dividenden aus inländischen Quellen erhält, ist insofern vergleichbar, als es grundsätzlich in beiden Fällen zu einer mehrfachen Besteuerung der erzielten Gewinne kommen kann. Nach dem Unionsrecht muss ein Mitgliedstaat, der bei von gebietsansässigen Gesellschaften an ebenfalls Gebietsansässige gezahlten Dividenden ein System zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung anwendet, für von gebietsfremden Gesellschaften an Gebietsansässige gezahlte Dividenden eine gleichwertige Behandlung vorsehen, und zwar unabhängig davon, auf welcher Stufe der Beteiligungskette - Tochter- oder Enkelgesellschaft - die Besteuerung erfolgt ist.
Zur Klärung der Frage, ob bei Dividenden, die von einer gebietsfremden Gesellschaft weiterausgeschüttet werden, die Besteuerung der entsprechenden Gewinne auf der Ebene einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zu berücksichtigen ist, hätte der Conseil d"État zudem den EuGH um Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts anrufen müssen. Die Vorlagepflicht soll insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Unionsrechts nicht im Einklang steht. Sie besteht ausnahmsweise nicht, wenn das nationale Gericht feststellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.
Der Gerichtshof stellt damit erstmals fest, dass ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ihn hätte anrufen müssen, um die Gefahr einer fehlerhaften Auslegung des Unionsrechts auszuschließen. Da der Conseil d"État den Gerichtshof nicht angerufen hatte, obwohl die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig war, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum geblieben wäre, liegt eine Vertragsverletzung vor.
Hintergrund:
Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen.
Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen.
Linkhinweis:
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