Infolge der Absage von hunderten Veranstaltungen alleine im zurückliegenden Jahr verzeichnete die Branche, d. h. Veranstalter, Geländebetreiber sowie Servicepartner, Umsatzverluste in Milliardenhöhe. Durch verschiedene staatliche Stabilisierungsinstrumente, wie z. B. die Unterstützung der Kurzarbeit oder die Nutzung der Geländeflächen als Test-bzw. Impfzentren, konnten teilweise kurzfristige Finanzierungslücken geschlossen werden. Nichtsdestotrotz erforderte die jähe Beendigung des jahrelangen Wachstumskurses der Veranstaltungsbranche an diversen Messestandorten eine unmittelbare Reaktion in Form von fundamentalen strategischen, operativen und organisatorischen Anpassungen.
Bereits vor der Covid-19-Pandemie war die Messe Augsburg als vor allem regionaler Messestandort entlang der Technologieachse Süd einer Vielzahl struktureller Marktveränderungen ausgesetzt. Diese bestanden in der zunehmenden Bedeutung von Nischen- und Spezialmessen, der wachsenden Bedeutung regionaler Veranstaltungsansätze sowie der fortschreitenden (Teil-)Transformation des Messeerlebnisses in virtuelle Welten. Zusätzlicher operativer Handlungsdruck bestand aufgrund einer zu geringen wirtschaftlichen Eigenständigkeit und aufgrund eines schwach ausgeprägten Eigenveranstaltungsprofils. Durch die Covid-19-Pandemie kam dann die Unklarheit hinsichtlich deren nachhaltigen Auswirkungen auf das Messegeschäft hinzu. Aufgrund all dieser Faktoren hat sich die Messe Augsburg entschieden, gemeinsam mit Ebner Stolz in einem Strategieprozess die Ausrichtung des Unternehmens für die nächsten fünf bis zehn Jahre neu zu entwickeln. Ebner Stolz berät seit vielen Jahren Messegesellschaften in strategischen Fragestellungen und der Performance-Steigerung.
Ausgangslage
Der wesentliche Impuls für die Durchführung eines Strategieprozesses entstand durch den Wechsel in der Geschäftsführung der Messe Augsburg. Im März 2020, kurz vor der offiziellen Erklärung von Covid-19 als Pandemie, wurde Lorenz A. Rau zum Geschäftsführer bestellt. Im Vorjahr erwirtschaftete die Messe Augsburg einen Gesamtumsatz von rd. 6.3 Mio. Euro, davon entfiel ca. 80 % auf Gastveranstaltungen und 20 % auf Eigenveranstaltungen. Auf der Erlösseite bestand eine starke strategische Abhängigkeit von der erfolgreichen Durchführung zweier internationaler Spezialmessen. Trotz der insgesamt positiven Erlösentwicklung im zurückliegenden Jahrzehnt war die Messe Augsburg aufgrund der geringen operativen Ertragskraft v. a. des Geschäftsbereichs Eigenveranstaltungen auf die durchgehende finanzielle Unterstützung seines städtischen und der kommunalen Gesellschafter angewiesen.
Bereits im Jahr 2008 unternahm die damalige Messeleitung u. a. mit der Neupositionierung als regionaler Premium-Standort und der Ergänzung des bestehenden Dienstleistungsportfolios sowie der späteren Etablierung des Geschäftsbereichs Eigenveranstaltungen einen Versuch zur schrittweisen Schärfung des Profils der regionalen Messegesellschaft. Jedoch führten die Preispolitik bei Gastveranstaltungen und das vergleichsweise eingeschränkte Angebot an Messeservices trotz starken Wachstumszahlen von rund 6 % p. a. durch den Zugewinn weiterer Gastveranstaltungen zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Aufgrund des sich als geringer herausgestellten Marktpotenzials bei der Übernahme und Weiterentwicklung von Eigenveranstaltungen anderer Standorte konnten die hier gesetzten Erfolgserwartungen - u. a. die Verringerung der Abhängigkeit von wenigen Gastveranstaltungen - nicht erzielt werden. Zudem unterstrichen zuletzt geäußerte Erwartungen der Gesellschafter nach einer vermehrten Eigenfinanzierungskraft der heimischen Messegesellschaft die Notwendigkeit zu einer strategischen Weiterentwicklung.
Ebner Stolz unterstützte die Strategieentwicklung der Messe Augsburg in einem dreistufigen Prozess, der im gesamten Verlauf eine enge Zusammenarbeit der Bereichsverantwortlichen mit den Beratern umfasste. In der ersten Stufe wurden die strukturierte Analyse und Bewertung der aktuellen Markt- und Wettbewerbspositionierung sowie die Entwicklung des „Big Picture“ für das Unternehmen vorgenommen. Anschließend wurden für beide Geschäftsbereiche differenzierte Geschäftsfeldstrategien mit operationalisierten Umsetzungsinitiativen erarbeitet. Von Beginn an wurden alle Führungskräfte und involvierten Mitarbeiter in den Diskussionsprozess eingebunden, um ein hohes Commitment für die entwickelte Strategie und die spätere Umsetzung zu erzielen. Auf diesem Wege gelang es der neuen Geschäftsführung trotz der für das Messewesen bedrohlichen Situation, eine spürbare Aufbruchsstimmung und Veränderungsbereitschaft in der Belegschaft zu erzeugen.
Strategische Positionierung
Die durchgeführten Markt- und Wettbewerbsanalysen ergaben, dass die Messe Augsburg weder im Kundenumfeld noch in der deutschen Messewirtschaft - trotz eines modernen Messegeländes im mittleren Größensegment und einiger internationaler Leitmessen - überregionale Bekanntheit genießt. Eine zielgerichtete strategische Kommunikation zur Prägung eines eigenen Markenbilds erfolgte weder auf Basis der relativen Preispositionierung noch aufgrund anderer Differenzierungsmerkmale zur Realisierung eines prägnanten Markt-/Wettbewerbsvorteils.
Die im Wettbewerbsvergleich als überaus attraktiv zu bewertende Preispositionierung konnte die Geländeauslastung nur bedingt verbessern. Das eingeschränkte Dienstleistungsangebot sowie geringfügig ausgeprägte Vertriebs- und Vermarktungsstrukturen wurden als mögliche Ursachen für die geringe Geländeauslastung und Wirtschaftlichkeit identifiziert. Ein klarer Beleg dafür bestand in einem im Vergleich zu anderen Messegesellschaften geringen, aber grundsätzlich erlösträchtigen Serviceumsatzanteil. Eine vergleichende Bewertung anderer (über)-regionaler Marktteilnehmer zeigte zudem zum Teil erhebliche Defizite in der Geländeausstattung- und Infrastruktur - auch mit Blick auf die sich aus den Erfahrungen der Pandemie ergebenen Anforderungen an digitale Streaming- bzw. Content-Plattformen als zukunftsorientierter Bestandteil des Dienstleistungsangebots.
Geschäftsfeldstrategien
Zwar offenbarten sich dadurch in der Synthese eindeutige strukturelle und operative Schwachstellen: Die Region Augsburg mit traditionellen Schwerpunkten im Maschinen- und Anlagenbau sowie weiteren zukunftsträchtigen Forschungsclustern, eine tatkräftige Mitarbeiterschaft und das flächenmäßig überdurchschnittliche Veranstaltungsgelände stellen jedoch substanzielle Ansatzpunkte zur strategischen Weiterentwicklung zu einer relevanten Innovationsplattform dar.
Mit der WIR-Strategie strebt die Messe Augsburg demnach perspektivisch eine Marktpositionierung als Innovationsplattform im Süddeutschen Raum an. Dabei nimmt neben der gesetzten Zielgröße der erhöhten Wirtschaftlichkeit (W) die inkrementelle Weiterentwicklung der Messegesellschaft von einem reinem Geländebetreiber zu einem relevanten Full-Service-Dienstleister (S) mit regionaler Verankerung (R) eine Schlüsselrolle ein. Zuschüsse und Subventionen begrenzen sich zukünftig auf größere Infrastrukturprojekte (I), die v. a. die Basis für die Erbringung marktgerechter Dienstleistungen bieten soll.
Wesentlich für den Umsetzungserfolg ist dabei die funktionale Fokussierung der operativen Geschäftsbereiche auf das Kerngeschäft der aktiven Gewinnung bzw. operativen Durchführung von werthaltigen Veranstaltungsformaten. Dies umfasst zum einen die angestrebte Zentralisierung der Dienstleistungen als eigene Organisationseinheit Messeservice und zum anderen den verstärkten Bezug von Fremdleistungen im technischen Service.
Im Hinblick auf die strategische Kommunikation i. S. des Standorts setzen die Organisationseinheiten verstärkt auf eine cross-funktionale Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang kommt dem Bereich Eigenveranstaltungen mit einem Fokus auf regional angebundene Zukunftstechnologien perspektivisch eine noch stärkere profilprägende Rolle zu. Angesichts der derzeitigen operativen Ertragskraft findet jedoch kurzfristig eine Fokussierung der internen Ressourcen auf ein etabliertes B2C-Format und ein wachstumsstarkes B2B-Format statt.
Umsetzungsinitiative
In enger Abstimmung mit der Geschäftsleitung und anderen Zentralfunktionen definierten und bewerteten die Bereichsverantwortlichen mit Unterstützung von Ebner Stolz das Umsetzungsprogramm „Gestärkt30“ mit insgesamt rd. 60 Maßnahmen. Neben der Ausprägung einer eigenen Serviceeinheit gliedert sich das Programm v. a. in vertriebsnahe, umsatzsteigernde Einzelmaßnahmen bzw. beschreibt strukturiert den zukünftigen Investitionsbedarf. Darüber hinaus leitete das Projektteam auf Basis der erfolgten internen Analyse konkrete Maßnahmen zur Behebung operativer Ineffizienzen ab. Diese umfassen u. a. die Optimierung interner Prozessstrukturen in Vertrieb und Marketing durch Etablierung agiler Arbeitsmethoden sowie die Gestaltung von „State-of-the-Art“-Prozessen in der Beschaffung und Zusammenarbeit mit Dienstleistungspartnern. Insgesamt strebt die Messe Augsburg mit der Umsetzung der neuen Strategie eine über das Vorkrisenniveau deutlich hinausgehende Steigerung des Umsatzes bis 2030 an. Der Anstieg wird deutlich geprägt von einer zukünftigen Ausweitung des Serviceangebots für Aussteller und Besucher.
Nach Abstimmung der Strategie mit den Gesellschaftern wurde der Kommunikations- und Umsetzungsprozess gestartet und das Controlling aufgesetzt. Durch die zunehmende Aufhebung der Corona-Einschränkungen können die bereits eingeleiteten Maßnahmen schrittweise ihre Wirkung entfalten.
Resümee
„Die strategische Neuausrichtung der Messe Augsburg ist zentraler Erfolgsfaktor für die Weiterentwicklung unserer Messegesellschaft in Augsburg. Mit Ebner Stolz hat ein transformationsstarkes und branchenerfahrenes Team den Prozess begleitet, mit dem notwendigen Handwerkszeug konzeptionell und strategisch flankiert und die Organisation auf Augenhöhe und mit der notwendigen Empathie mitgenommen,“ fasst Lorenz A. Rau, Geschäftsführer der Messe Augsburg, den bisherigen Prozess zusammen. Allerdings stellen die Ergebnisse des Strategieentwicklungsprozesses lediglich einen Zwischenschritt in der Weiterentwicklung des Messestandorts Augsburg dar. Dennoch ist es bemerkenswert, dass es dem Unternehmen mit Unterstützung von Ebner Stolz gelungen ist, innerhalb von wenigen Monaten einen umfassenden Transformationsprozess anzustoßen. „Mitten in der Krise ist es der Messe Augsburg gelungen, einen umfassenden Transformationsprozess mit starken Wachstums- und Potenzialfeldern aufzusetzen. Das definierte Umsetzungsprogramm konkretisiert die strategische Neuaufstellung und verankert es in der Organisation und bei den Mitarbeitern“, resümiert der Unternehmensberater Harald Göbl, Partner bei Ebner Stolz in Köln. Eine wesentliche Erfolgsgröße war dabei gerade die aktive Beteiligung der Führungskräfte und Mitarbeiter, die die Akzeptanz der strategischen Richtungsentscheidungen maßgeblich unterstützte. In den nächsten Jahren gilt es, durch aktive Kommunikation der Organisationseinheiten und hohe Ergebnistransparenz den Umsetzungsprozess weiterhin voranzutreiben.