Seit der Verabschiedung der „Quick fixes“ im Dezember 2018 und der Umsetzung im UStG zum Januar 2020 sind zahlreiche Rechtsunsicherheiten vor allem auch bei den Konsignationslagerfällen in der Beratungspraxis aufgekommen. Probleme gab es vor allem im Bereich der Zusammenfassenden Meldung, bezüglich der Definition des Verwendens der USt-IdNr. bzw. der Ansässigkeit des Unternehmers sowie der richtigen Behandlung von Zerstörung, Verlust und Diebstahl im Rahmen des § 6b Abs. 6 Satz 4 UStG. Bereits im Sommer hat das BMF Anwendungsfragen in einem Entwurf eines BMF-Schreibens aufgegriffen und hierzu den Verbänden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit BMF-Schreiben vom 10.12.2021 (Az: III C 3 - S 7146/20/10001 :005, DStR 2021, S. 2911) veröffentlicht die Finanzverwaltung nun das finale Einführungsschreiben zur Konsignationslagerregelung und nimmt umfangreiche Änderungen im Umsatzsteueranwendungserlass vor.
Hintergrund der gesetzlichen Regelung
Über die zum 01.01.2020 eingeführte Regelung des § 6b UStG wurde eine Vereinfachungsregelung im Hinblick auf die Besteuerung von Lieferungen in einen anderen EU-Mitgliedstaat über ein dort belegenes Konsignationslager gesetzlich implementiert. Sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 6b UStG erfüllt, so ist der Warentransport in das Konsignationslager umsatzsteuerlich unbeachtlich. Denn die Regelung des § 6b UStG sieht vor, dass erst im Zeitpunkt der Entnahme der Ware aus dem Konsignationslager (Zeitpunkt der Lieferung) eine innergemeinschaftliche Lieferung angenommen wird. Diese ist umsatzsteuerfrei, so dass der Lieferant im Mitgliedstaat des Konsignationslagers nicht registrierungspflichtig ist.
Die Vereinfachungsregelung für Konsignationslager wurde dabei als (faktisches) Wahlrecht ausgestaltet, da die Anwendung der Regelung die Erfüllung bestimmter Aufzeichnungs- und Meldepflichten und die (aktive) Verwendung der USt-IdNr durch den Abnehmer voraussetzt.
Probleme gab es vor allem im Bereich der Zusammenfassenden Meldung (ZM) bezüglich der Definition des Verwendens der USt-IdNr. bzw. der Ansässigkeit des Unternehmers sowie der richtigen Behandlung von Zerstörung, Verlust und Diebstahl im Rahmen des § 6b Abs. 6 Satz 4 UStG. Zudem gab es Unsicherheiten im Hinblick auf die sog. feststehende Abnehmerrechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Insbesondere zu dem letzten Punkt überrascht die Finanzverwaltung mit dem nun vorliegenden BMF-Schreiben. Außerdem werden auch einige weitere interessante Aspekte aufgegriffen.
Nachfolgend werden daher die wesentlichen Eckpunkte des Einführungsschreiben zusammengestellt. Aufgrund der Vielzahl der vorgenommenen Änderungen des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE) möchten wir die Darstellung der besseren Übersichtlichkeit wegen auf folgende Aspekte beschränken:
Eckpunkte des nun vorliegenden BMF-Schreibens
Faktisches Wahlrecht in sog. feststehenden Abnehmerfällen
Problemstellung: Der BFH hatte mit Urteilen vom 16.11.2016 (Az. V R 1/16) und vom 20.10.2016 (Az. V R 31/15) Grundsätze dafür aufgestellt, wann die Zwischenlagerung bspw. in einem Konsignationslager unbeachtlich ist und bereits bei Beginn der Beförderung in das Lager von einer Lieferung an den Abnehmer auszugehen ist. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Waren bereits verbindlich bestellt (bspw. aufgrund vereinbarter verbindlicher Abrufpläne) oder schon bezahlt sind. Die Finanzverwaltung hat diese Grundsätze in den Anwendungserlass übernommen, und die Nichtbeanstandungsregelung über den 01.01.2020 hinaus nicht verlängert.
Bei Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze kommt es zu einem Auseinanderfallen von handelsrechtlicher Behandlung nach dem HGB (Umsatzrealisation erst bei Entnahme) und umsatzsteuerlicher Behandlung (Umsatzversteuerung bzw. Meldung bereits beim Verbringen in das Lager). Zudem fehlt es an einem für die Anwendung der Vereinfachungsregelung erforderlichen und der Lieferung an den Abnehmer vorgelagerten Verbringen.
Vor diesem Hintergrund war fraglich, ob die Neuregelung zu EU-Konsignationslagern in diesen Fällen zur Anwendung kommt. Eine Rechtsprechung gibt es hierzu bisher nicht. In der Kommentarliteratur wird jedoch überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Rechtsprechungsgrundsätze fortgelten und die EU-Vereinfachung insoweit nicht zur Anwendung kommen kann. Hiergegen könnte sprechen, dass nach den sog. Explanatory Notes der EU-Kommission scheinbar auch bei einem sog. feststehenden Abnehmer die EU-Vereinfachungsregelung zur Anwendung kommen soll. Letztlich ist daher leider offen, ob die nationale Rechtsprechung zum sog. feststehenden Abnehmer bei einem Konsignationslager im EU-Ausland greift bzw. vor dem EuGH Bestand haben wird. In der Praxis wurde häufig versucht, dieses Risiko über entsprechende vertragliche Formulierungen abzumildern. Zudem sind Wertungswidersprüche bei den involvierten Mitgliedsstaaten vorprogrammiert.
Ausführungen im BMF-Schreiben: Aufgrund der Anpassungen im nun vorliegenden BMF-Schreiben soll die Vereinfachungsregelung trotz verbindlicher Bestellung oder Bezahlung vor Entnahme durch den Abnehmer gleichwohl zur Anwendung kommen, wenn die Vertragspartner in einem Rahmenvertrag die Anwendung des § 6b UStG vereinbaren (vgl. Abschnitt 6b.1 Abs. 3 S 3 UStAE).
Korrespondierend werden auch Abschnitt 1a.2 Abs. 6 Satz 5, Satz 6, Satz 10 - NEU - sowie Abschnitt 3.12 Abs. 3 Satz 5 UStAE ergänzt, so dass zumindest bei grenzüberschreitenden Konsignationslagern die Anwendung der Vereinfachungsregelung durch die Vertragsparteien vereinbart werden kann.
Hinweis: Die Anpassungen setzen insgesamt die Vereinbarung der Vertragsparteien über die Anwendung der Vereinfachungsregelung für Konsignationslager nach § 6b UStG für die Nichtgeltung der sog. feststehenden Abnehmer-Rechtsprechung des BFH voraus. Dies ist für grenzüberschreitende Konsignationslager innerhalb der EU zu begrüßen.
Bedauerlich ist, dass die Finanzverwaltung keine entsprechende Wahlmöglichkeit für reine Inlandssachverhalte einräumt. Insoweit bleibt es bei verbindlichen Bestellungen oder bei Bezahlung vor Entnahme bei den oben beschriebenen Risiken, nämlich dem Auseinanderfallen von HGB (Umsatzrealisation erst bei Entnahme) und Umsatzsteuer (Umsatzversteuerung bzw. Meldung bereits beim Verbringen in das Lager). Gleiches gilt leider, wenn im grenzüberschreitenden EU-Kontext die Vertragspartner nicht von der Vereinfachungsregelung Gebrauch machen wollen, weil bspw. die Lagerzeit von 12 Monaten nicht eingehalten werden kann.
Klarstellungen und weitere Vereinfachungsregelungen
Zudem enthält das BMF-Schreiben einige Klarstellungen. In der nachfolgenden, nicht abschließenden Aufzählung sollen ein paar interessante Verlautbarungen hervorgehoben werden:
- Verwendung der USt-IdNr: Die Anwendung der Vereinfachungsregelung setzt die Verwendung einer durch den Bestimmungsmitgliedsstaat erteilten USt-IdNr. durch den Erwerber voraus. Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 5 Satz 5 i. V. m. 3a.2 Abs. 10 Satz 7 UStAE soll es hierbei im Einzelfall unschädlich sein, wenn der Leistungsempfänger die USt-IdNr. erst nachträglich verwendet.
Hinweis: Generell sollte die Vereinbarung über die Anwendung der Vereinfachungsregelung nebst Verwendung der USt-IdNr. im Konsignationslagervertrag (vorab) schriftlich fixiert werden.
Zudem wird klargestellt, dass die Verwendung einer anderen als die vom Bestimmungsmitgliedsstaat erteilten USt-IdNr. die Anwendung der Vereinfachungsregelung ausschließt.
- Grundsätzlich muss der Transport in das Konsignationslager durch den Lieferanten oder durch einen von diesem beauftragten Dritten erfolgen. Gleichwohl soll die Transportveranlassung durch den Erwerber der Anwendung der Vereinfachungsregelung gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 7 UStAE nicht entgegenstehen, wenn der spätere Erwerber den Transport ausdrücklich und im Namen des liefernden Unternehmers übernimmt. Zudem darf ihm die Verfügungsmacht noch nicht verschafft werden.
Hinweis: In der Praxis wird häufig diskutiert, ob die Anwendung der Vereinfachungsregelung eine gesonderte Rechnungstellung durch den Abnehmer über die Transportdienstleistung an den liefernden Unternehmer voraussetzt. Im BMF-Schreiben wird diese Fragestellung leider nicht explizit aufgegriffen. Unter Risikogesichtspunkten sollte dies erwogen werden.
- Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 12 UStAE ist eine Kombination der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG (EUSt-Befreiung im Verfahren 42 bei Einfuhr und nachgelagerter innergemeinschaftlicher Lieferung) mit der Anwendung der Vereinfachungsregelung des § 6b UStG ausgeschlossen.
- Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 14 UStAE kommt die Vereinfachungsregelung bei Reihengeschäften nicht zur Anwendung.
- Die Anwendung der Vereinfachungsregelung setzt die Entnahme der Waren binnen eines Zeitraums von 12 Monaten voraus. In Abschnitt 6b.1 Abs. 15 UStAE wird näher definiert, wie der 12-Monatszeitraum zu bestimmen ist. So beginnt dieser bspw. erst am Tag der Beendigung des Warentransports. Der Unternehmer hat die Einhaltung der Frist nachzuweisen.
Hinweis: Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 16 UStAE wird zudem bei Waren besonderer Form (bspw. Flüssigkeiten, Gase) nicht beanstandet, wenn das First-in-First-out-Verfahren angewendet wird. Für andere Waren kann dieses Verfahren auch zur Anwendung kommen. Eine die Finanzgerichte bindende Nichtbeanstandungsregelung wurde insoweit leider nicht aufgenommen.
- Wird die 12-Monatfrist überschritten, ist die Vereinfachungsregelung nicht mehr anwendbar. Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 17 UStAE führt dies für den Lieferanten zur unverzüglichen Registrierungspflicht im Bestimmungsland. Abhängig von den Regelungen im Bestimmungsland kann die Möglichkeit der Beauftragung eines Fiskalvertreters bestehen.
Hinweis: Dem erläuternden Beispiel kann entnommen werden, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung die Registrierung und die Abgabe der zutreffenden ZM zwingende Voraussetzung für die Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Verbringens sein soll. Würde dies verabsäumt, würde durch die Versagung der Steuerbefreiung die Umsatzsteuer zur Definitivbelastung werden.
- Zu begrüßen ist, dass Abschnitt 6b.1 Abs. 19 UStAE klarstellt, dass bei Überschreiten der 12-Monatsfrist die Anwendung der Vereinfachungsregelung nur hinsichtlich dieses Gegenstandes ausgeschlossen ist, dies aber keine generelle Versagung der Vereinfachungsregelung zur Folge hat.
- Grundsätzlich ist die Anwendung der Vereinfachungsregelung bei Verlust, Diebstahl und Zerstörung ausgeschlossen, so dass eine Registrierung für den Verlustzeitpunkt bzw. den Zeitpunkt des Erkennens (§ 6b Abs. 6 Satz 4 UStG) vorzunehmen wäre, um eine Umsatzversteuerung des innergemeinschaftlichen Verbringens zu vermeiden. Gemäß Abschnitt 6b.1 Abs. 22 UStAE soll § 6b Abs. 6 Satz 4 UStG für kleine Verluste nicht zur Anwendung kommen. Anerkannt wird insoweit ein branchenüblicher Schwund, der jedoch dokumentiert werden muss. Zudem wird in Abschnitt 6b.1 Abs. 22 Satz 4 UStAE eine Freigrenze von 5 % bezogen auf den Gesamtbestand identischer Gegenstände aufgenommen.
Hinweis: Dies ist zu begrüßen, zu beachten ist jedoch, dass es sich um eine reine Kulanzregelung der deutschen Finanzverwaltung handelt, die die Gerichte nicht bindet. Zudem ist auch die Behandlung in den jeweiligen anderen EU-Mitgliedsstaaten von Interesse.
Bei Fragen zur Konsignationslagerregelung oder den umfangreichen Änderungen des Umsatzsteueranwendungserlasses stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.