Der Sachverhalt:
In Bauträger-Fällen erbringt ein Bauleistender gegenüber einem Bauträger, d.h. einem Unternehmer, der selbst nur Grundstückslieferungen ausführt, Bauleistungen. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Erbringung von Bauleistungen (Verputzen von Wänden und Mauern) für die Herstellung von Gebäuden. Im Streitjahr 2012 hatte die Klägerin Innenputzarbeiten an die H-GmbH im Umfang von rund 10.667 € ausgeführt.
Im Verfahren Az.: 15 K 1553/15 U war streitig, ob der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2012 schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin gem. § 176 Abs. 2 AO entgegenstand und ob § 27 Abs. 19 UStG verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben genügt. Das FG wies die Klage ab.
Im Verfahren Az. 15 K 3669/15 U war streitig, ob die Klägerin gem. § 27 Abs. 19 S. 3 UStG einen Anspruch gegen den Beklagten auf Annahme der Abtretung ihres zivilrechtlichen Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen die H-GmbH hat. Das FG gab der Klage in diesem Fall statt. Allerdings wurde in beiden Fällen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitfragen die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
+++ 15 K 1553/15 U +++
Das Finanzamt hatte zu Recht die von der Klägerin an die H-GmbH im Streitjahr 2012 erbrachten Bauleistungen bei der Klägerin der Umsatzsteuer unterworfen und ist zutreffend nicht von einer Änderung der Bemessungsgrundlage gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG im Streitzeitraum ausgegangen. Das Finanzamt nach § 27 Abs. 19 S. 1 UStG auch zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2012 befugt, wobei sich die Klägerin aufgrund von § 27 Abs. 19 S. 2 UStG nicht auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO berufen konnte.
Zwar erfüllte die Klägerin den Vertrauensschutztatbestand des § 176 Abs. 2 AO. In sog. Bauträger-Fällen stehen aber einer Inanspruchnahme des Bauleistenden keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegenstehen, wenn im Ergebnis eine finanzielle Belastung des Bauleistenden durch Abtretung des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger an das Finanzamt - wie hier - ausgeschlossen werden kann.
§ 27 Abs. 19 S. 1 u. 2 UStG verstoßen nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vertrauensschutz betreffend die Rückwirkung von Gesetzen. Denn sowohl die rückwirkende Einführung einer Änderungsnorm - vorliegend § 27 Abs. 19 S. 1 UStG - vor festsetzungsverjährter Zeit als auch der rückwirkend eingeführte Ausschluss von § 176 Abs. 2 AO durch § 27 Abs. 19 S. 2 UStG verletzen nicht das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen.
Die Vorschriften sind letztlich auch unionsrechtskonform. Denn sie verstoßen als verfahrensrechtliche Vorschriften weder gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit und den Grundsatz der Effektivität noch verstößt die rückwirkende Einführung der Vorschriften gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit hat der EuGH in jüngeren Entscheidungen stets betont, dass dieses Gebot besonders zu beachten ist, wenn es sich um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können (EuGH-Urt. vom 9.7.2015, C-183/14, Salomie und Oltean).
Im Umkehrschluss ist dem zwar nicht zu entnehmen, dass der Grundsatz nicht zu beachten ist, wenn keine finanzielle Belastung droht. Nach Auffassung des Senats ist dieser Umstand aber in der Abwägung zwischen dem mit der Rückwirkung bezweckten Ziel und dem Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage zu berücksichtigen. Dadurch, dass der Klägerin keine finanzielle Belastung drohte, überwog das gesetzgeberische Ziel, eine richtlinienkonforme Umsatzbesteuerung herbeizuführen, das enttäuschte Vertrauen der Klägerin in die bisherige Rechtslage.
+++ 15 K 3669/15 U +++
Das Finanzamt ist verpflichtet, die angebotene Abtretung des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegenüber der H-GmbH im Umfang von 2.026 € anzunehmen. Der Ablehnungsbescheid ist nicht bestandskräftig geworden. Der Anspruch der Klägerin auf Annahme der Abtretung der Forderung gegen die H-GmbH ergab sich aus § 27 Abs. 19 S. 3 UStG.
Die Abtretung des zivilrechtlichen Umsatzsteuernachforderungsanspruchs ist möglich und ihr konnte nicht entgegengehalten werden, dass der zivilrechtliche Umsatzsteuernachforderungsanspruch nicht bestehe. Der Anspruch auf Annahme der Abtretung war weder durch Zahlung der Klägerin auf die Steuerschuld entfallen oder erloschen noch stand der Durchsetzung des Anspruchs die Nichtausstellung der Rechnung gegenüber der H-GmbH entgegen.
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