
Einzelhandel: Omni-Channel als Chance
Alle sprechen von der Digitalisierung des Einzelhandels. Doch wie wirkt sich die Digitalisierung wirklich auf Umsatz und Ertrag aus? Wie verhält sich der Kunde? Welche Anwendungen, Applikationen und Geräte sollten im Fokus stehen? Und, besonders: Wie muss ich als Einzelhändler mein stationäres Geschäft und meine digitalen Zugangsmöglichkeiten ausgestalten, damit der Kunde zufrieden ist? Diese und viele andere konkrete Fragen standen im Mittelpunkt des „3. Retail Summit – Port of Thoughts“, der am 1. Oktober 2015 in Hamburg stattfand. Rund 300 Teilnehmer waren der gemeinsamen Einladung der Ebner Stolz Management Consultants, der Eversfrank Gruppe, einem international agierenden Medienunternehmen, und der Comosoft GmbH, einem der führenden Software-Unternehmen für datenbankbasierte Medienproduktion im Bereich Handel und Versandhandel, gefolgt.
Omni-Channel wird zur Normalität
„Omni-Channel wird so normal werden, wie einen Hamburger zu essen“, sagt Dr. Gerold Doplbauer von der GfK. Diese Feststellung zog sich durch fast alle Beiträge. Stacey Renfro, Senior Vice President E-Commerce bei Pier 1 Imports, drückte es so aus: „The sooner we drop the ‘E’ out of E-Commerce the better.” Untersuchungen zeigen: Der Kunde wechselt die Medien ständig, informiert sich zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit per Handy, besucht dann abends die Website auf dem PC und kauft im Geschäft oder umgekehrt. Glen Bradley, Ex-Vize-Präsident von Levi Strauss & Co.: „67 Prozent der US-Amerikaner benutzen für einen einzigen Einkauf nacheinander verschiedene internetfähige Geräte."
Diesem ständigen Wechsel muss der Einzelhandel Rechnung tragen, will er an der Entwicklung teilhaben. „Leider haben Handel und Medien die digitale Revolution lange unterschätzt“, kritisiert Otto Christian Lindemann, Partner bei Ebner Stolz Management Consultants. Es geht schon lange nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Und hier liegt die Crux. Ein einfaches Aufsetzen eines Online-Shops reicht nicht. Jens Silligmüller von der Eversfrank Gruppe: „Nur die Unternehmen, die ‚digital’ verstanden und in ihrer Kultur verankert haben, werden nachhaltig in der Lage sein, ein digitales Leistungsversprechen auf allen Ebenen auch halten zu können."
Alle Touchpoints vernetzen
Der Kunde erwartet an allen Touchpoints – vom Ladengeschäft über den PC und das Tablet bis zu Handy und App – inhaltlich und gestalterisch das gleiche Einkaufserlebnis. Dabei müssen die Übergänge so bequem und unbemerkt wie möglich sein, denn dem Kunden ist es gleichgültig, auf welchem Wege er zu seinem Artikel und einem erfolgreichen Kauf gelangt. Das Motto müsse heißen: „Gibt‘s nicht, gibt‘s nicht“, so Jens Diekmann, Director Cross Channel & Business Development bei Douglas. Und auch für den Einzelhändler solle es keine Rolle mehr spielen, auf welchem Weg der Kunde kommt. Diekmann: „Es gilt die Bereiche stationär, online und mobil so zu vernetzen, dass es uns am Ende egal ist, ob der Kunde in unserem Webshop, in einer Filiale oder über eine App zu uns kommt. Hauptsache, er kauft bei uns."
Neue Geschäftsmodelle
Dabei eröffnet Cross-Channel auch zahlreiche neue Geschäftsmodelle und zusätzliche Dienstleistungen. Beispiel „Click and Collect“. Hier bestellt der Kunde online und lässt die Ware an die Filiale liefern. In den USA ist das ein großer Erfolg, so Glen Bradley. Dort favorisieren 70 Prozent der Kunden diesen Service. In den Douglas-Parfümerien in Deutschland sei die Quote fast genauso hoch, so Jens Diekmann. Ein Vorteil: Meist kaufe der Kunde beim Abholen der Ware weitere Artikel im Laden. Sehr zu empfehlen ist aus seiner Sicht auch die Möglichkeit, nicht vorhandene Waren direkt in der Filiale online zu bestellen. Die Botschaft, die beim Kunden ankomme, sei: „Wir lösen Dein Problem!" So profitiere die Filiale mit ihrem naturgemäß begrenzten Sortiment von dem um ein Vielfaches größeren Warenangebot des Online-Shops. Erstmals gäbe es hier einen digitalen Impuls, ein stationäres Geschäft zu betreten. Beim gut vernetzten Cross-Channel ergänzen sich digitale und stationäre Kanäle also nicht nur, sie fördern sich sogar gegenseitig.
Technologie ist Innovationstreiber
Mit der Digitalisierung des Einzelhandels wächst die Bedeutung der IT. Olaf Schlüter, Division Manager E-Commerce bei Otto.de, ging noch einen Schritt weiter: „IT und Marketing verschmelzen." Mirco Freiberg, Head of IT bei Blume 2000, empfahl, die oft ausgelagerte IT zurück ins Unternehmen zu holen und unbedingt eng an der Geschäftsführung anzusiedeln. Die IT müsse ganz genau verstehen, was gebraucht wird und solle auch mit konkreten Kundenbeschwerden konfrontiert werden.
Daten werden zur zentralen Ressource, ihre Beschaffung und Analyse zum Wettbewerbsvorteil. Dr. Meeno Schrader und Nils Passau von Meteolytix zeigten anschaulich auf, welche Bedeutung präzise Daten für die Effektivierung des Handels haben. Mit aussagekräftigen Daten verschiedenster Herkunft und Art lässt sich das Kaufverhalten vorhersagen und Einkauf, Produktion, Personalplanung und Werbeaktionen optimal planen und platzieren.
Ein kohärentes Einkaufserlebnis ist jedoch nur möglich, wenn die Geräte intelligent miteinander vernetzt sind. Wie man das quasi unter Laborbedingungen zu Ende denken kann, zeigte Keynote-Speaker Lars Hinrichs, Gründer von Xing. Er stellte sein Projekt, das Smart Home „Apartimentum" vor. Für ihn gibt es zwei fundamentale Regeln: Technologie sei ein starker Innovationstreiber, der helfe, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und intelligente Geräte und Dinge seien für ihn nur jene, die auch mit dem Internet kommunizieren. Übertragen auf den Einzelhandel heißt das, stationär und digital verschmelzen.
Die Geräte werden mobiler und kleiner
„Wartezeit ist Onlinezeit“, stellte Olaf Schlüter fest. Zahlen aus den USA zeigen die Entwicklung sehr anschaulich. Dort beginnen 65 Prozent der Online-Käufe zwischen 6 und 9 Uhr morgens, also vermutlich im Zug oder in der U-Bahn und wahrscheinlich per Handy. Die Geräte, mit denen Kunden online einkaufen, werden also immer mobiler und die Bildschirme immer kleiner. Ganz im Sinne eines ‚Everywhere-Commerce’. Laut Tim Pitt, Ex Chief Marketing Officer für Jockey, heute The Retail Think Tank, benutzen 2020 nur noch 40 Prozent der Kunden den PC, um online einzukaufen, aber 60 Prozent das Handy. Aus E-Commerce werde M-Commerce. Seine Botschaft daher: „Get mobile as quickly as possible."
Die Währung der Zukunft: Aufmerksamkeit
Zeit und Aufmerksamkeit der Kunden werden zu immer knapperen Ressourcen, um die der Einzelhandel kämpfen muss. Für Olaf Schlüter müssen Marken deshalb zu Geschichtenerzählern werden und dies über alle Touchpoints hinweg. Oder, wie es Tim Pitt ausdrückt: „If Content is king, then context is queen." Nur mit Emotionalisierung und einem echtem Zusatznutzen lasse sich die Aufmerksamkeit des Kunden noch gewinnen, so Schlüter. Deshalb gehe es für ihn in der Zukunft besonders um die Frage der Personalisierungsfähigkeit. Der Handel müsse beantworten können, was der Kunde gerade jetzt brauche und wie sein individueller Shoppingpfad aussehe.
Gerhard Märtterer von der Eversfrank Gruppe fasst es so zusammen: „Consumer sind Individuen. Wer es schafft, seine Kunden stets zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Medienmix sehr persönlich und mit wirklich relevanten Inhalten anzusprechen, der hat den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung im Zeitalter der Multichannel-Kommunikation."